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BERLINER DIALOG 28, 2005  Sekten

 

Stichwort: Christian Science / Christliche Wissenschaft
von Wolfram Mirbach
redaktionell bearbeitet von Thomas Gandow

Gründerin
Mary Baker-Eddy wurde am 6. Juli 1821 als jüngstes Kind einer Farmerfamilie in New Hampshire, USA, geboren. Von klein auf war sie kränklich und seit 1845 ständig leidend. Krank und mittellos wandte sie sich an den Geistheiler P. P. Quimby. Dieser heilte sie, nach ihrem Bericht, innerhalb von acht Tagen.
Kurz nach Quimbys Tod 1866 hatte Baker-Eddy nach einem Sturz erneut starke Schmerzen. Sie will sich selbst im Sinne des Wortes: "Stehe auf" (Mt 9,6) geheilt haben. 1877 heiratete sie ihren Schüler A. G. Eddy (1882-1926). 1908 gründete sie die Zeitung "The Christian Science Monitor". Am 3. Dezember 1910 starb sie in der Nähe von Boston.

Mary Baker-Eddy
Aus Werbematerial der Christian Science;
Archiv Gandow

Mary Baker-Eddy

Entstehung und Geschichte
Entscheidend für das Entstehen der Christian Science war die angeblich durch den Geistheiler Phineas Parkhurst Quimby (1802-66) bewirkte Heilung Mary Baker-Eddys. Von seinen Lehren entfernte sie sich nach seinem Tod und sah ihn schließlich als Vertreter des "menschlichen" Heilens an.
Mary Baker-Eddy selbst will durch göttliche Offenbarung zur "Entdeckerin und Gründerin der christlichen Wissenschaft", des "göttlichen Heilens" geworden sein. 1875 erscheint ihr angeblich von Gott eingegebenes Buch "Science and Health" (Wissenschaft und Gesundheit) - das grundlegende Werk der Christian Science. Im selben Jahr wurde auch schon der erste Christian-Science-Gottesdienst abgehalten.
1876 kam es zur Bildung der Vereinigung "Christlicher Wissenschafter" und 1879 zur ersten Kirchengründung "Church of Christ [Scientist]". Mary Baker-Eddy wird zum "Pastor" der 26 Mitglieder berufen und 1881 "ordiniert".
Diese Kirche löste Mary Baker-Eddy 1889 auf, weil es in ihr Widerspruch gegen Mary Baker-Eddys Anspruch auf Unfehlbarkeit gab. 1892 erfolgt eine Neugründung durch Mary Baker-Eddy und zwölf ihrer Schüler als "The First Church of Christ, Scientist". In dieser neuen Organisation erließ sie 1895 eine bis heute gültige Kirchenordnung, das "Church Manual" (Kirchenhandbuch). Auch dieses "Handbuch" war für Mary Baker-Eddy Offenbarung, "von einer Macht veranlaßt, die man nicht sein eigen nennen kam".
Ab 1896 faßte Christian Science in Deutschland Fuß. Seit 1903 erschien in Boston die deutschsprachige Monatszeitung "Der Herold der christlichen Wissenschaft".

Lehre
Das Böse hat für Christian Science keine Daseinsberechtigung. Daher ist Krankheit ein Irrtum. Sie kann nur durch den göttlichen Geist geheilt werden. Dieser ist das Gute schlechthin, die einzig tragende Wirklichkeit. Doch der Mensch hat sich einer Scheinwirklichkeit ausgeliefert, indem er denkt, daß Leben und Geist von der Materie ausgingen. Aufgabe des Menschen ist es, zu erkennen, daß Gott, ein abstrakter, unendlicher Geist, Alles in allem ist, daß zwischen dem Geist des Menschen und dem Geist, der Gott ist, eine wesenhafte Verbindung besteht. Der Mensch ist also dem Wesen nach körperlos, ohne Sünde und frei von Tod. Dies einzusehen, führt zur Heilung. Christian Science unterscheidet zwischen Jesus und Christus. Jesus verwirklichte in seinen Heilungen die göttliche Idee des Christus und verwies auf den Tröster, nämlich auf Christian Science.
Organisation und Praxis
Christian Science ist hierarchisch aufgebaut. An der Spitze der Mutterkirche in Boston steht ein sich selbst ergänzender fünfköpfiger Vorstand. Die Mutterkirche hat Vorrang vor den Kirchen in anderen Städten, den Zweigkirchen. Eine neue Zweigkirche darf nur entstehen, wenn ein Heiler und mindestens 16 "gesinnungstreue" Christliche Wissenschafter, davon vier Angehörige der Mutterkirche, sie gründen.
Derzeit gibt es weltweit ungefähr 1918 Kirchen und Vereinigungen, davon 72 Kirchen, Vereinigungen und Hochschulvereine in Deutschland mit etwa 2000 Mitgliedern.
Mit dem "Christian Science Monitor" gibt Christian Science eine internationale Wochenzeitschrift heraus.
Die Heiler, die die Heilmethoden der Christian Science in den Zweigkirchen durchführen dürfen, werden ebenso wie die Lehrer der Gemeinden in Boston geschult. Die Zweigkirchen sind verpflichtet, Lesesäle zu unterhalten, in denen nur offizielle Literatur von Mary Baker-Eddy und des Bostoner Christian Science-Verlages ausliegen dürfen.
Bei den regelmäßigen Zusammenkünften, sowohl den "Sonntags-Gottesdiensten" als auch Mittwochsversammlungen, steht die Verlesung von Bibeltexten und dazu passenden Stellen aus "Science and Health" im Mittelpunkt. Die Lehre von Mary Baker-Eddy wird hierbei nicht verändert. Freie Predigt ist nicht üblich.
Wichtig ist das Gebet als meditative Versenkung, nicht als Bittgebet an Gott. Auch das Vaterunser wird erweitert. Dazu hat Mary Baker-Eddy die Bitten des Vaterunser ihren Lehrvorgaben entsprechend in Feststellungen umgesetzt: "Und Gott führt uns nicht in Versuchung, sondern erlöst uns von Sünde, Krankheit und Tod."

Beurteilung aus christlicher Sicht
Die Vorstellung, Mary Baker-Eddy habe die letztgültige Auslegung der Bibel geliefert, ist vom christlichen Glauben her nicht haltbar, da diese "Auslegung" die Bibel in wesentlichen Punkten verfremdet. Dies wird besonders an der sinnverändernden Ergänzung des Vaterunsers deutlich.
Jesus wird völlig unbiblisch als erster Ausüber der Christian Science mißverstanden. Indem Christian Science die Realität des Bösen leugnet, erweist sie sich als fortschrittsgläubige Sekte, die in der Gedankenwelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts verhaftet ist. Zu dieser Zeit drang die auch in Christian Science übernommene Vorstellung Gottes als eines Kraftfeldes in die westliche Welt ein. Dieser Gedanke steht im Widerspruch zur christlichen Vorstellung von einem persönlichen Gott, zu dem man beten kann und der sich in der Geschichte zeigt. Auch das Heilungsverständnis der Christian Science ist kritisch zu betrachten. Christian Science erklärt das Böse und damit auch die Krankheit letztlich für nicht real und blendet somit diesen Bereich menschlichen Lebens aus. Es entsteht der Eindruck, daß Heilung nur eine Frage des Willens des Kranken sei. Da viele Christian Science-Eltern auch im Fall von ernster Krankheit ihrer Kinder auf ärztliche Hilfe verzichten, ist es schon zu Todesfällen gekommen.

Das Vaterunser nach Mary Baker-Eddy
Die bei einem Christian-Science-Gottesdienst Anwesenden sprechen gemeinsam die Bitten des Vaterunsers. Zu jeder Zeile aber fügt die "Leserin" oder der "Leser", also der Liturg der Versammlung, die "geistige Bedeutung" hinzu:
(Alle:) "Unser Vater, der Du bist im Himmel -
(Leser:) Unser Vater-Mutter-Gott, allharmonisch.
A: Geheiligt werde Dein Name - L: Einzig Anbetungswürdiger.
A: Dein Reich komme - L: Dein Reich ist gekommen; Du bist immergegenwärtig.
A: Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden - L: Befähige uns zu wissen, dass Gott - wie im Himmel, also auch auf Erden ­ allmächtig, allerhaben ist.
A: Unser täglich Brot gib uns heute - L: Gib uns Gnade für heute; speise die darbende Liebe.
A: Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern - L: Und Liebe spiegelt sich in Liebe wider.
A: Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel - L: Und Gott führt uns nicht in Versuchung, sondern erlöst uns von Sünde, Krankheit und Tod.
A: Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit - L: Denn Gott ist unendlich, alle Kraft, alles Leben, alle Wahrheit, alle Liebe, über allem und Alles."
(Vgl. Wissenschaft und Gesundheit S.16-17.)

Children's Healthcare Is A Legal Duty (CHILD, Inc.) ist ein von Aussteigern gegründeter, gemeinnütziger Verein zur Verhütung von religiös begründetem Mißbrauch und religiös begründeter medizinischer Vernachlässigung von Kindern http://www.childrenshealthcare.org/

Stellungnahme und Ratschläge
Der Arbeitskreis Religiöse Gemeinschaften der VELKD gibt im Handbuch Religiöse Gemeinschaften den evangelischen Kirchengemeinden folgende Ratschläge zum Umgang mit Christian Science:
Die Christian Science behauptet, ihre Grundlage sei der christliche Glaube. Sie gehört dennoch nicht zu den christlichen Kirchen, da sie ein anderes Seinsverständnis (etwa von der Schöpfung oder dem Menschen) vermitteln will. Die Bibel wird ausschließlich im Sinne Mary Baker-Eddys gedeutet. Die Christian Science gehört in den vielschichtigen Bereich der »geistigen Heilung«, als Religionsgemeinschaft stellt sie den Typ einer christlichen Heilungssekte dar.
1. Die Christian Science spendet keine Taufe
2. Es gibt kein Patenamt bei der Christian Science.
3. Angehörige der Christian Science können ein Patenamt in der evang.-luth. Kirche nicht übernehmen.
4. Ein Scientist, der zur evang.-luth. Kirche übertreten will, muß unterwiesen und getauft werden, sofern er nicht bereits gültig getauft ist.
5. Die kirchliche Trauung eines evang.-luth. und eines Christian Science-Partners ist nicht möglich.
6. Die Christian Science nimmt keine Trauungen vor.
7. Zwei Mitglieder der Christian Science können nicht von einem evang.-luth. Pfarrer getraut werden.
8. Kirchliche Mitwirkung bei der Bestattung eines Christlichen Wissenschafters ist nicht möglich.
9. Zulassung von Christlichen Wissenschaftern zum Abendmahl in der evang.-luth. Kirche ist nicht möglich.
10. Nimmt ein evang.-luth. Christ bewußt und wiederholt an Kommunionsfeiern der Christian Science teil, so trennt er sich von der evang.-luth. Kirche, und es wäre im Sinne des Vorschlags 1 mit ihm zu sprechen.
11. Nimmt ein evang.-luth. Christ an sonstigen Veranstaltungen der Christian Science regelmäßig teil oder läßt er sich von einem »Heiler« behandeln, soll in einem seelsorgerlichen Gespräch auf Entscheidung gedrungen werden.
12. Ein Bereitstellen kircheneigener Räume für Veranstaltungen der Christian Science ist nicht möglich.

Literatur
Hauth, Rüdiger (Hg.); ...neben den Kirchen, Konstanz: 1995 (10),298 ff.
Hutten, Kurt: Seher, Grübler, Enthusiasten, Stuttgart: 1982 (12),382 ff.
Reimer, Hans-Diether: Metaphysisches Heilen. Eine kritische Darstellung der "Christlichen Wissenschaft” (Christian Science) Stuttgart: 1966.
Reller, Horst u.a.; Handbuch religiöse Gemeinschaften u, Weltanschauungen, 2000 (5).

Internet-Links
Selbstdarstellung: http://www.christian-science.de/
Aussteiger: http://www.christianway.org/ und http://www.ex-christian-science.8m.com/

Vorankündigung
Schwerpunkt im nächsten BERLINER DIALOG Nr. 29
Anthroposophie - Waldorfpädagogik - Christengemeinschaft

Beiträge u.a. von
Pfr. Dr. Jan Badewien: "Faszination Akasha-Chronik"
Eine Einführung in die Geisteswelt der Anthroposophie

Prof. Joachim Ringleben: "Über die Christlichkeit der heutigen Christengemeinschaft"

Andreas Lichte: "Wundersame Waldorf-Pädagogik oder: Atlantis als Bewußtseinzustand"

Erlebnisbericht eines Waldorflehrers, der das Weite suchte.

Der BERLINER DIALOG Nr. 29 erscheint im Februar 2006
Bezug über: Dialog Zentrum Berlin, Heimat 27, 14165 Berlin
Fax: 030 - 815 70 40   info@dialogzentrum.de


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