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Themenschwerpunkt Anthroposophie  

BERLINER DIALOG 29, Juli 2006

Schwarz-Weiß-Konstruktionen im Rassebild Rudolf Steiners *
von Jana Husmann-Kastein

Zum Diskussionsstand
Die in Deutschland geführte Diskussion um das anthroposophische Menschenbild Rudolf Steiners, die sich auf die Komplexe Antisemitismus und Rassismus bezieht, ist nicht neu. Sie hat in den letzten 15 Jahren eine zunehmende Diversifizierung erlangt. Die Kritik wurde zunächst verstärkt Anfang der 1990er Jahre in Auseinandersetzungen um den sogenannten Ökofaschismus formuliert und war in eine Debatte um Esoterik und Faschismus eingebunden. Dabei ging es auch im weiteren Verlauf um die Frage nach der Verknüpfung zwischen neognostischen Strömungen, Okkultismus und Ariosophie und den gesamtgesellschaftlichen Komplexen des Rassismus und Antisemitismus Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts.1

Jana Husmann-Kastein
Jana
Husmann-Kastein

Neben der aufgestellten These, Steiners anthroposophischem Denksystem sei ein antisemitisches, rassistisches und völkisches Menschenbild inhärent, wurde zudem kritisiert, dieses würde in Teilen der aktuellen Waldorfpädagogik bis heute tradiert. In den Jahren 2000/2001 erreichte die Diskussion um Steiner und die aktuelle Waldorfpädagogik durch TV-Berichte, vor allem das ARD-Magazin "Report aus Mainz" mit insgesamt drei Sendungen (vom 28.02.2000, 10.07.2000, 9.04.2001), eine größere Öffentlichkeit und Brisanz. Teil der öffentlichen Kritik waren hierbei Beschwerden von Eltern über Thesen zu 'Rassen' und 'Atlantis' in den Schulheften ihrer Kinder.2 Besonders brisant: Der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, bestätigte Berichte des TV-Magazins über Vorfälle von Antisemitismus an Waldorfschulen in Deutschland.3 Zudem stellte das Bundesfamilienministerium einen Antrag bei der Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften, der sich nicht auf Steiners Werk, wohl aber auf die Publikation eines seiner Schüler bezog, nämlich das Werk von Ernst Uehli: "Atlantis und die Rätsel der Eiszeitkunst" von 1936, das WaldorflehrerInnen auf einer Literaturliste für den Geschichtsunterricht der 5. Klasse empfohlen wurde. Der Titel wurde zurückgezogen, die Diskussion insgesamt jedoch verschärft. So wendete sich die Auseinandersetzung auch ins Juristische. Es kam zu juristischen Schritten des "Bundes der Freien Waldorfschulen" u.a. gegen "Report aus Mainz" 2000/2001 und die Vereinigung "Aktion Kinder des Holocaust", die sich ebenfalls rassismuskritisch geäußert hatte.4 Erst kürzlich wurde die Rassismuskritik in den Medien erneut breiter aufgegriffen und kontrovers diskutiert.5

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* Der Artikel basiert weitgehend auf meinem Vortragsmanuskript für den Studientag des Pfarramts für Sekten- und Weltanschauungsfragen der EKBO, der für den 10.-11.02.2006 geplant war.

1 Rassismus- und Antisemitismus-kritische Veröffentlichungen zur Theosophie und Anthroposophie liegen u.a. vor von: Barth, Claudia: Über alles in der Welt: Esoterik und Leitkultur. Eine Einführung in die Kritik irrationaler Welterklärungen. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2003; Bierl, Peter: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1999; Ditfurth, Jutta: Entspannt in die Barbarei. Esoterik, (Öko-)Faschismus und Biozentrismus. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1996; Ditfurth, Jutta: Feuer in die Herzen. Plädoyer für eine ökologische Linke Opposition. Carlsen Verlag, Hamburg 1992; Geden, Oliver: Rechte Ökologie. Umweltschutz zwischen Emanzipation und Faschismus. Elefanten Press. 2. Aufl. Berlin 1999; Grandt, Guido / Grandt, Michael: Schwarzbuch Anthroposophie. Rudolf Steiners okkult-rassistische Weltanschauung. Ueberreuter Verlag, Wien 1997; Körner-Wellershaus, Ilas: Sozialer Heilsweg Anthroposophie. Eine Studie zur Geschichte der sozialen Dreigliederung Rudolf Steiners unter besonderer Berücksichtigung der anthroposophischen Geisteswissenschaft. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde. Vorgelegt der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. VDG, Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaft. Bonn 1994 (1993); Let, Petrus van der: Bedenkliche Ansichten Rudolf Steiners über Rassen. In: TANGRAM. Bulletin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR, Bern, Nr.6, März 1999, S.50-56, www.infosekta.ch/is5/gruppen/anthroposophie1999.html ;
Strohm, Harald: Die Gnosis und der Nationalsozialismus. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1997; Zander, Helmut: Anthroposophische Rassentheorie: Der Geist auf dem Weg durch die Rassengeschichte. In: Schnurbein, Stefanie von / Ulbricht, Justus H. (Hrsg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe 'arteigener' Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende. Königshausen & Neumann Verlag, Würzburg 2001, S.292-341; sowie diverse Artikel der Vereinigung "Aktion Kinder des Holocaust", u.a. von Samuel Althof und Fritz Imhof,
im Internet:  www.akdh.ch/index1.html .
2 Vgl. u.a. Sybille Jacobs von der "Initiative zur Anthroposophie-Kritik" Augsburg. In: Report aus Mainz, Sendung vom 28.02.2000. Transskription der Sendung unter:  www.akdh.ch/ps/ps_report.html .
3 Vgl. die Sendung "Wortwechsel" des Südwestfernsehens (SWR) am 19.03.2000;  Vgl.  www.akdh.ch/ps/ps_report.html .
4 Vgl.  www.akdh.ch/ps/ps_report.html .
5 Vgl. u.a. "Waldorfschulen in Sektennähe?" (rbb-Kulturradio, Zeitpunkte, 04.02.06); "Von Ariern und primitiven Rassen - Steiners Lehren und die Waldorfschulen" (ZDF, Frontal 21, 18.04.06; Wdh. 3SAT, Kulturzeit, 19.04.06); "Rassismusvorwürfe gegen Waldorfschulen" (Deutschlandfunk, DLF-Magazin, 27.4.06).
6 Vgl. dpa-Meldung "Rassismusvorwurf zurückgewiesen". dpa: 22.03.2000.

Abwehr der Kritik in Deutschland
Der "Bund der Freien Waldorfschulen" hat entsprechend, wie 2000 durch die dpa gemeldet, die "Rassismus- und Antisemitismus-Vorwürfe vehement zurückgewiesen."6 Ähnliche Reaktionen gab es bereits 1995 in den "Mitteilungen der Anthroposophischen Gesellschaft". Für eine abwehrende Haltung gegenüber der Antisemitismus- und Rassismuskritik stehen auch neuere anthroposophische Publikationen.7 Auf der aktuellen Webpage des "Bundes der freien Waldorfschulen" heißt es in einer Buchpräsentation 2005: "Ein vernichtenderer Vorwurf als der des Rassismus kann heute kaum erhoben werden - und das zu Recht. (...) Im Falle der Waldorfschulen und ihres Gründers Rudolf Steiner entbehrt ein solcher Vorwurf jeder Grundlage."8

Zielsetzung
Im Folgenden werde ich nicht dem Anspruch nachkommen, die heutige Waldorfpädagogik an sich zu beurteilen oder spezielle aktuelle Vorkommnisse von Rassismus und Antisemitismus an Waldorfschulen aufzuzeigen. Ebenso wenig geht es mir darum, allen Waldorfschulen, geschweige denn allen WaldorflehrerInnen einen gezielten Rassismus zu unterstellen. Ich beschränke den Blick auf Steiners Werk. Damit wird jedoch zugleich der nach wie vor offizielle Gründungsvater der heutigen anthroposophischen Vereinigungen und Waldorfschulen betrachtet. Hierzu möchte ich meine Grundeinschätzung, die sich aus meinen Recherchen ergibt, gleich vorweg stellen: Es gibt offenen Rassismus in Steiners Werk und Steiner entwickelt verschiedene rassentheoretische Modelle. Bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich aber auch einige, von anthroposophischer Seite formulierte Gegenargumente benennen.

Argumente gegen den Rassismusund Antisemitismusvorwurf
Die Verteidigung Steiners gründet maßgeblich auf folgenden Thesen:
1) Steiners Rasseverständnis sei nicht biologisch bzw. biologistisch begründet, sondern beschreibe ein Entwicklungsmodell von geschichtlichen Zeitaltern und Kulturepochen.9
2) Die Anthroposophen seien im Nationalsozialismus verfolgt worden. Dies bezieht sich auf das Verbot aller anthroposophischen Einrichtungen durch das Reichssicherheitshauptamt der SS 1941.
3) Es wird auf den Bericht der niederländisch anthroposophischen Untersuchungskommission von 1998 verwiesen, nachdem 'nur' 62 Stellen hinsichtlich des Rassismus problematisch seien - das sei verhältnismäßig wenig und entsprechend harmlos.10
4) Die von den KritikerInnen aufgeführten Zitate Steiners seien aus dem Kontext gerissen.11
5) Die Zitate stammten vor allem aus Vorträgen von Steiner, die er nicht selbst korrigiert habe.
6) Nicht-Anthroposophen könnten die Werke Steiners nicht verstehen, interpretieren bzw. einschätzen, wenn sie diese nur 'materialistisch' betrachteten.12
7) Die KritikerInnen seien karmisch nicht weit genug entwickelt.13
8) Die Antisemitismus-Kritik wird durch den Verweis auf Waldorfpädagogik in Israel abgewehrt.14
9) Es werden Aussagen Steiners gegen Antisemitismus angeführt. Hierbei wird sich vor allem auf Aufsätze Steiners aus der Zeit zwischen 1897-1901 bezogen.15
Mich wundert es als historisch arbeitende Kulturwissenschaftlerin weniger, dass es Rassismus, (rassistischen) Antisemitismus und rassentheoretische Modelle im Werk Steiners gibt, als die mehr oder minder durchgängige Verweigerung, dies heute als solches zu benennen und kritisch zu reflektieren. Das mag nicht für alle VertreterInnen der Anthroposophie und Waldorfpädagogik gelten - und das will ich hiermit nochmals deutlich herausstellen - aber eben doch für den Großteil der öffentlichen Stellungnahmen. Was die Beschäftigung mit Steiners Werk selbst betrifft - und darum wird es im Folgenden gehen - so möchte ich im Vorfeld meine Fragestellung zuspitzen und einige Eckpunkte zur historischen und sozio-kulturellen Situierung Steiners thematisieren.

Zeit und Quellen
Ich beschränke die Perspektive zeitlich auf Steiners Wende zur Theosophie und seine nachfolgend gegründete Anthroposophie Anfang des 20. Jahrhunderts.
Zu den Quellen: In der Tat handelt es sich maßgeblich, wenn auch nicht ausschließlich, um Vorträge bzw. Vortragssammlungen, insbesondere aus den Jahren 1908-10, 1915, 1920-23, die sich rassentheoretisch als relevant erweisen. Das Argument, die Vorträge seien von Steiner nicht korrigiert worden, ist nur bedingt haltbar, denn sie erscheinen schließlich unter seinem Namen und werden von der Nachlassverwaltung als solche vertrieben. Anzumerken ist dabei, dass unter anderem der Vortragszyklus: "Die Mission einzelner Volksseelen" von 1910, der sich hinsichtlich von Steiners Rasseverständnis als besonders ergiebig erweist, von Steiner selbst autorisiert wurde, worauf mich Detlef Hardorp, bildungspolitischer Sprecher der Waldorfschulen Berlin-Brandenburg, freundlicherweise noch einmal hinwies.16 Insgesamt handelt es sich nicht um einige wenige 'unwichtige' Schriften, in denen Steiner die Kategorie 'Rasse' verhandelt.17 Ich werde mich jedoch auf einige wenige beispielhafte Ausschnitte beschränken.
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7 Vgl. u.a. Bader, Hans-Jürgen / Leist, Manfred / Ravagli, Lorenzo: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit. Anthroposophie und der Antisemitismusvorwurf. Verlag Freies Geistesleben. Zweite, neubearbeitete Auflage. 2005;
8 Kurzbeschreibung zum Buch von Bader, Hans-Jürgen / Ravagli, Lorenzo: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit. Anthroposophie und der Rassismusvorwurf. Verlag Freies Geistesleben. Zweite, neubearbeitete Auflage 2005. http://waldorfschule.info/upload/pdf/rassismus_flyer.pdf.
9 Vgl. u.a. Lindenberg, Christoph: Zu der Tendenz und Technik der Ausführungen von Petrus van der Let. http://www.infosekta.ch/is5/gruppen/anthroposophie1999.html;
Lindenberg nimmt dabei u.a. Bezug auf die Einschätzung des (NS-) Philosophen Alfred Bäumler von 1938, der die Anthroposophie als "eines der konsequentesten antibiologischen Systeme" bezeichnet hatte. Vgl. Baeumler, Alfred: Rudolf Steiner und die Philosophie, Berlin, 1938. In: Werner, Uwe: Anthroposophie in der Zeit des Nationalsozialismus. Oldenbourg, München 1999.
10 Vgl. u.a. Lindenberg, Christoph: Zu der Tendenz und Technik der Ausführungen von Petrus van der Let. http://www.infosekta.ch/is5/gruppen/anthroposophie1999.html.
11 ebenda
12 Vgl. u.a. Untersuchungskommission 'Anthroposophie und die Frage der Rassen' (Hrsg.): Anthroposophie und die Frage der Rassen. Zwischenbericht der niederländischen Untersuchungskommission. Gekürzte und überarbeitete Übersetzung. Autorisierte Übersetzung: Ramon Brüll. Info3 Verlag, Frankfurt a.M. 1998,S.181.
13 Vgl. kritisch dazu u.a. Bierl, Peter: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1999, S.9f.
14 Vgl. u.a. Hardorp, Detlef: Waldorfpädagogik und Judentum. In: Anthroposophie in der TAZ. EXKLUSIV im WALDORF.NET.  http://www.waldorf.net/judentum.htm , ungekürzte Fassung des Artikel: Steiner und das Judentum. In: TAZ, 13./14.05.2000.
15 Vgl. Steiner, Rudolf: Gesammelte Aufsätze zur Kultur und Zeitgeschichte 1897-1901. (GA 31); Vgl. Ravagli, Lorenzo: Rudolf Steiner als aktiver Gegner des Antisemitismus. www.waldorf-schule.de/aktuell/Ravagli-Aufsatz.htm ; Recherche-Stand 11.12.2001.
16 Den Hinweis gab mir Detlef Hardorp in einer e-mail vom 05.02.2006.
17 Vgl. u.a. Steiner Rudolf: Die Apokalypse des Johannes (GA 104), Vortrag vom 21. Juni 1908; Steiner, Rudolf: Aus der Akasha-Chronik. Aufsätze 1904-1908 (GA 11); Steiner, Rudolf: Geisteswissenschaftliche Menschenkunde. Neunzehn Vorträge, gehalten in Berlin vom 19. Oktober bis 17. Juni 1909 (GA 107), Vortrag vom 3. Mai 1909; Steiner, Rudolf: Christologie. Anthroposophie - ein Weg zum Christusverständnis. Vorträge, ausgewählt und herausgegeben von Heten Wilkens. Verlag Freies Geistesleben. Stuttgart 1986, Vortrag vom 16./17.04.1912; Steiner, Rudolf: Die Geheimwissenschaft im Umriss. 1923 (GA 13); Steiner, Rudolf: Die geistigen Hintergründe des ersten Weltkrieges. 16 Vorträge, Stuttgart 1914-1918 und 1921 (GA 174b), Vortrag vom 13.02.1915; Steiner, Rudolf: Das Johannes-Evangelium (GA 103), Vortrag vom 30.05.1908; Steiner, Rudolf: Die Mission der einzelnen Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie. Vorträge 1910 (GA 121); Steiner, Rudolf: Der Orient im Lichte des Okzidents (GA 113), Vortrag vom 27.08.1909; Steiner, Rudolf: Über Gesundheit und Krankheit. Grundlagen einer geisteswissenschaftlichen Sinneslehre. Achtzehn Vorträge, gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach vom 19. Oktober 1922 bis 10. Februar 1923 (GA 348 / TB 722), Vortrag vom 13. Dezember 1922; Steiner, Rudolf: Vom Leben des Menschen und der Erde, Über das Wesen des Christentums. 13 Vorträge gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach vom 17. Februar bis 9. Mai 1923 (GA 349 / TB 723), Vortrag vom 03.03.1923; Steiner, Rudolf: Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen (GA 202), Vortrag vom 14.12.1920; Steiner, Rudolf: WELT, ERDE UND MENSCH, deren Wesen und Entwicklung, sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur. Ein Vortragszyklus, gehalten in Stuttgart vom 4. bis 16. August 1908 (GA 105); Steiner, Rudolf: Die Welträtsel und die Anthroposophie. Zweiundzwanzig öffentliche Vorträge, gehalten zwischen dem 5. Oktober 1905 und 3. Mai 1906 im Architektenhaus zu Berlin (GA 54), Vortrag vom 9.11.1905.

Zur historische Situierung Steiners und zur Geschichte des rassentheoretischen Denkens
Steiner agiert und schreibt zu einer Zeit, in der auf wissenschaftlicher wie auf gesellschaftspolitischer Ebene die Eugenik, der Sozialdarwinismus und das rassentheoretische Denken nicht nur 'salonfähig', sondern zutiefst gesellschaftlich verankert sind, und diesem dominanten, antisemitischen und kolonialistisch-rassistischen 'Zeitgeist' geht wiederum eine lange Tradition des europäischen Kolonialismus und Antisemitismus voraus. Aus dieser vereinfachten und groben gesellschaftlichen Situationsbeschreibung ergibt sich für die Analyse meines Erachtens jedoch keine Relativierung, sondern vielmehr eine notwendige Differenzierung des rassentheoretischen Denkens. Das Besondere an Steiners rassentheoretischen Ansätzen ist seine kosmologische, spiritualistische oder auch okkulte Herleitung, die sich an theosophische Vorläufer anlehnt und die sich zugleich mit biologistischen Konstruktionen verbindet. Auch lässt sich sein Evolutionsmodell der Menschheit dem strukturellen Entwicklungsgedanken nach mit den evolutionistischen Modellen seiner Zeit in Beziehung setzen.18

Nähere Fragestellung und Ausgangsthesen
Was mich übergeordnet an Steiners Rassenmodellen im Vergleich mit naturphilosophischen wie positivistisch naturwissenschaftlichen Rassentheorien besonders interessiert, ist die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Wissenschaft bzw. von religiösen Traditionen und ihrer Verwissenschaftlichung und Verweltlichung. Was heißt das? Das heißt zunächst, dass ich davon ausgehe, dass das rassentheoretische Denken ein Produkt der Moderne, also ein Produkt des europäischen Säkularisierungsprozesses ist. Säkularisierung, also den Prozess der Verweltlichung, der sich mit der Aufklärung konkretisiert, verstehe ich dabei in Anlehnung an verschiedene kulturtheoretische Arbeiten jedoch nicht nur als eine Ablösung vom religiösen Denken, sondern vielmehr als Verweltlichung und Verwissenschaftlichung religiöser und symbolischer Denkstrukturen.19 In Bezug auf die Geschichte der Rassentheorie heißt das: Die rassentheoretischen Modelle sind nicht nur imaginäre, abstrakte Konstruktionen - wie etwa das dominante, im 18. Jahrhundert entwickelte Modell der vier Hauptrassen mit seiner abstrakten Farbsystematik - der Einteilung in weiße, schwarze, rote und gelbe Menschen - zeigt. Sondern in die rassentheoretischen Konstruktionen fließen religiöse und symbolische Traditionen des Abendlandes strukturell ein, die auf die eine oder andere Weise verweltlicht und verwissenschaftlicht werden. Besonders anschaulich hat dies der Historiker Sander L. Gilman in Bezug auf die rassentheoretische Konstruktion des Juden herausgearbeitet. Er verweist darauf, dass sich die farbsymbolisch relevante Konstruktion des Juden als 'Bastardrasse' mit 'schwarzem Blut', wie sie sich Ende des 19. Jahrhunderts etwa im antisemitischen Werk von Houston Stewart Chamberlain findet, der kulturellen 'Logik' nach an die historisch vorangegangenen, christlich antijudaistischen Bilder der "schwarzen Synagoge" anbinden lassen.20 Ähnlich argumentiert die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun, wenn sie herausstellt, dass der 'Arier' als Gottmensch und der 'Jude' als Satansmensch konstruiert werden.21 Das heißt, dass Gott wie auch Satan als ursprünglich symbolische, religiöse 'Figuren' in der Rassentheorie eine menschliche Gestalt annehmen, und in diesem Sinne verweltlicht werden. Es vollzieht sich demnach quasi eine 'kulturelle Menschwerdung Gottes' und seines Gegenspielers im rassentheoretischen Denken - und diese Konstruktion ist entsprechend schwarz-weiß-symbolisch codiert. Insgesamt geht es mir darum - wenn auch hier stark verkürzt - herauszustellen, dass die rassentheoretischen Konstruktionen - ihren Anfängen nach und welcher Art auch immer - zutiefst dualistisch strukturiert sind. Dies zeigt sich nicht nur in der Gegenüberstellung vom 'Arier' und 'Juden', sondern auch in der übergeordneten Polarisierung von Weißen und Nicht-Weißen, welche die Hautfarbensystematik durchzieht. Dem rassentheoretischen Denken liegt entsprechend ein Schwarz-Weiß-Schema zugrunde, in dem sich antike mythologische und religiöse Traditionen der Schwarz-Weiß-Symbolik des Abendlandes auf vielfältige Weise einschreiben. Diese dualistischen, farbsymbolischen Traditionen des Abendlandes lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Vom weiß symbolisierten Lichtgott Zeus über den unsichtbaren Schöpfergott der hebräischen Bibel, von Jesus Christus als 'Weiß-Färber' und 'Licht der Welt' bis zum lichten Pneuma der Gnosis - die Farbe Weiß als Symbol des Lichts ist in der abendländischen Tradition mit Geist und Männlichkeit assoziiert und findet ihren Gegenpol in der durch die Farbe Schwarz und durch Weiblichkeit symbolisierten irdischen Materie. Das grundlegende symbolische Zuordnungsschema des Abendlandes lautet: Schwarz - Weiblichkeit - Materie versus Weiß - Männlichkeit - Geist. An diese Grundstruktur gliedert sich ein komplexes Symbolsystem abstrakter Prinzipien an.
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18 Vgl. u.a. Ute Siebert: Offener Brief an Lorenzo Ravagli und Leserbrief in der TAZ vom 20.03.2001, als Reaktion auf TAZ/Bildung, 14.03.2001, S.16, "Warten und weiterlesen" von Christian Füller und "Der Antisemitismus war ihm zu ordinär" von Lorenzo Ravagli; Vgl. Zander, Helmut: Anthroposophische Rassentheorie: Der Geist auf dem Weg durch die Rassengeschichte. In: Schnurbein, Stefanie von / Ulbricht, Justus H. (Hrsg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe 'arteigener' Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende. Königshausen & Neumann Verlag, Würzburg 2001, S.314-316.
19 Vgl. u.a. Braun, Christina von: Versuch über den Schwindel. Religion, Schrift, Bild, Geschlecht. Pendo Verlag, Zürich/München 2001, S.437f.
20 Vgl. Gilman, Sander L.: Rasse, Sexualität und Seuche. Stereotype aus der Innenwelt der westlichen Kultur. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1992, S.26.
21 Braun, Christina von: Und der Feind ist Fleisch geworden. Der rassistische Antisemitismus. In: Braun, Christina von/Heid, Ludger: Der ewige Judenhaß. Philo Verlag, 2. Aufl., Berlin/Wien 2000, S.149-213, 172.

In der Konstruktion Europäer versus Außereuropäer22 verweltlicht sich diese symbolische Struktur in der Inszenierung vom Kultur- versus Naturmenschen.
Das Hautfarbenschema selbst wird durch die symbolischen Traditionen strukturiert, das heißt, dass die (christlichen) Europäer dezidiert weiß, Afrikaner dezidiert schwarz und andere Außereuropäer anderweitig 'bunt', auf jedenfall nicht-weiß wurden, hat weniger mit den unterschiedlichen Graden von Pigmentierung zu tun, als mit einer kulturellen Logik der farbsymbolischen Traditionen. Das bedeutet in Bezug auf die Konstruktion von Weißsein: der Prozess der 'kulturellen Menschwerdung Gottes', wie er im Konstrukt vom Arier als Gottmenschen offensichtlich wird, ist bereits mit den Ursprüngen und Vorläufern des rassentheoretischen Denkens verknüpft.
Meine These lautet entsprechend: Die Konstruktion dezidiert 'weißer' Haut ergibt sich im Zuge des Säkularisierungsprozesses, in dem sich der Europäer allmählich diskursiv die Attribute Gottes aneignet, maßgeblich das 'Licht der göttlichen Vernunft' und entsprechend die farbsymbolische Weiß-heit Gottes und Christi. Diese symbolischen Codierungen werden im Verwissenschaftlichungsprozess rassentheoretischer Farbgebung biologisiert und finden im Konstrukt der weißen Haut ihre Verweltlichung und Materialisierung. Ende 19. Jahrhundert sind diese symbolischen Traditionen und diskursiven Verweltlichungsprozesse in gewisser Weise bereits 'unsichtbar' geworden, d.h. 'Rasse' gilt als 'Naturwahrheit', die Hautfarbensystematik als neutrale Beschreibung. Auf diesen säkularen Konstruktionen basieren auch die okkultistischen und spiritualistischen Rassenkonstruktionen. Hier lassen sich jedoch - so meine Ausgangsthese am Beispiel Steiners - die symbolischen Traditionen deutlich ablesen: In Steiners 'kosmologischen', spiritualistischen und okkulten Begründungsstrategien kommt es zu einer Re-Spiritualisierung der Hautfarben und zu einer Mythologisierung des Rassebegriffs.
Ziel ist im Folgenden nicht die Aufzählung von diskriminierenden Aussagen zum rassistisch markierten 'Anderen', sondern die beispielhafte Verdeutlichung dieser strukturellen Dimensionen rassentheoretischer Konstruktionen. Dabei fokussiere ich die Konstruktion von Weißsein als Ausgangsnorm. In der Analyse konzentriere ich mich auf den Hautfarbendiskurs.23

Steiners Rassensystematiken - Überblick
Doppeldeutigkeit von Steiners Rassebegriff
In der Auseinandersetzung mit Steiners Rasseverständnis gilt es zunächst, zwei Ebenen zu unterscheiden: Erstens versteht Steiner 'Rasse' als eine der heutigen Menschheit übergeordnete Kategorie, 'Rasse' erscheint hier als Einteilungskategorie in verschiedene Zeitalter und 'Menschheitsstadien'. Dafür steht das sogenannte 'Wurzelrassensystem', das Steiner weitgehend von der Theosophin und Okkultistin Helena P. Blavatsky übernimmt,24 wie in der kritischen Sekundärliteratur bereits verschiedentlich dokumentiert wurde. In diesem Evolutionsmodell entwickelt sich der Mensch nach Steiner überhaupt erst zu seiner heutigen physischen und seelischen Gestalt. Es beinhaltet einen Prozess vom Geistkörper zum physisch festen Körper, zur 'Verknöcherung'.25 Der Begriff der "Arischen Wurzelrasse" beschreibt hier eine mehrere Epochen umfassende Kategorie. Die heutige Menschheit wird im siebengliedrigen System eingeordnet in die "5. Nachatlantische Kulturepoche" (1413-3573).
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22 Der Begriff 'Außereuropäer' stellt eine begriffliche Notlösung dar. Er beinhaltet die Problematik einer Reinszenierung der eurozentrischen Struktur von Zentrum und Peripherie, wie sie auch der begrifflichen Gegenüberstellung Weiß versus Nicht-Weiß eingeschrieben ist. Hier wird der Begriff dennoch verwendet, gerade um die eurozentrischen Konstruktionsprozesse beschreiben zu können.
23 Steiners Konstruktion des Juden und der Kategorie Nation werde ich aussparen. Auf die geschlechtssymbolischen Codierungen der Schwarz-Weiß-Symbolik habe ich bereits hingewiesen. Diese werde ich hier jedoch nicht dezidiert verhandeln. Das heißt auch, ich werde auf den sogenannten geschlechtsspezifisch konstruierten Rassismus nicht näher eingehen. Mit den Schwarz-Weiß-Konstruktionen ist die Geschlechtssymbolik jedoch fundamental verknüpft.
24 Vgl. Blavatsky, Helena Petrowna: Die Geheimlehre. Gekürzte Ausgabe. Hrsg. v. Elizabeth Preston und Christmas Humphreys. Unter Benützung der Übersetzung des Gesamtwerkes von Dr. Lothar Froebe neu übersetzt und bearbeitet von Dr. Norbert Lauppert. ADYAR Theosophische Verlagsgesellschaft. Satteldorf 1973 (1888); Vgl. u.a. Steiner, Rudolf: Aus der Akasha-Chronik. Aufsätze 1904-1908. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1995 (GA 11); Steiner, Rudolf: Die Geheimwissenschaft im Umriss. 16.-20. Aufl. Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum. Dornach / Schweiz 1925 (1923) (GA 13); Steiner, Rudolf: Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwicklung, sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur. Ein Vortragszyklus, gehalten in Stuttgart vom 4.-6. August 1908. Novalis Verlag, Freiburg im Breisgau 1956 (GA 105).
25 "Denken wir uns ein gewisses atlantisches Menschenstadium, wo der Mensch schon entgegengeht seiner späteren Verhärtung in den Knochenleib hinein." Steiner, Rudolf: Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwicklung, sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur. Ein Vortragszyklus, gehalten in Stuttgart vom 4.-6. August 1908. Novalis Verlag, Freiburg im Breisgau 1956 (GA 105), Vortrag vom 10.08.1908, S.106.

Zeitalter und Kulturepochen, "Wurzel"- und "Unterrassen" - Überblick 26 
Planetarische Verkörperungen der Erde
1. Saturnzustand / Der alte Saturn
2. Sonnenzustand / Die alte Sonne
3. Mondenzustand / Der alte Mond
4. Erdenzustand / Die Erde

Zeitalter der Erde / Wurzel- und Unterrassen:
1.Polarisches Zeitalter / Polarische Wurzelrasse
2. Hyperboräisches Zeitalter / Hyperboräische Wurzelrasse
3. Lemurisches Zeitalter / Lemurische Wurzelrasse
4. Atlantisches Zeitalter
 
   - 1. Atlantische Kulturepoche / 1. Unterrasse / Rmoahls
   - 2. Atlantische Kulturepoche / 2. Unterrasse / Tlavatli-Völker
   - 3. Atlantische Kulturepoche / 3. Unterrasse / Tolteken
   - 4. Atlantische Kulturepoche / 4. Unterrasse / Ur-Turanier
   - 5. Atlantische Kulturepoche / 5. Unterrasse / Ur-Semiten
   - 6. Atlantische Kulturepoche / 6. Unterrasse / Akkadier
   - 7. Atlantische Kulturepoche / 7. Unterrasse / Mongolen
 5. Nachatlantisches Zeitalter / Arische Wurzelrasse
   1. Nachatlantische Kulturepoche / Altindische Unterrasse (7227-5067 v.Ch.)
   2. Nachatlantische Kulturepoche / Urpersische Unterrasse (5067-2907 v.Ch.)
   3. Nachatlantische Kulturepoche / Ägyptisch-chaldäische Unterrasse (2907-747 v.Ch.)
   4. Nachatlantische Kulturepoche / Griechisch-lateinische Unterrasse (747 v. Ch.-1413 n.Ch.)
   5. Nachatlantische Kulturepoche / 5. Nachatlantische Unterrasse (1413-3573 n.Ch.)
   6. Nachatlantische Kulturepoche (3573-5733 n.Ch.) zukünftig
   7. Nachatlantische Kulturepoche (5733-7893 n.Ch.) zukünftig
 6. zukünftiges Zeitalter / zukünftige nachatlantische Wurzelrasse
 7. zukünftiges Zeitalter / zukünftige nachatlantische Wurzelrasse

5. Jupiterzustand
6. Venuszustand
7. Vulkanzustand

Neben diesem, der heutigen Menschheit übergeordneten Evolutionsmodell, in dem die Kategorie 'Rasse' zum Tragen kommt, versteht Steiner 'Rasse' zweitens jedoch zugleich als eine Strukturkategorie der heutigen Menschheit. Hierbei entwickelt er drei mehrgliedrige Modelle, wie im nächsten Abschnitt skizziert werden soll.
Grundlagen der Rassenmodelle bilden insgesamt kosmologisch spiritualistische Erklärungsansätze. Die erste Differenzierung von 'Rassen' ist nach Steiner in der 'lemurischen Zeit' erfolgt. Allgemein geht er vom Einfluss planetarischer Kräfte und geistiger Wesenheiten auf die Formgebung und Entwicklung des jeweiligen 'Rassecharakters' aus. Das heißt unter anderem: Luzifer differenziere die 'Rassen',27 er gebe ihnen Gestalt und äußere Farbe.28 Steiner imaginiert, wie bereit mehrfach herausgestellt wurde, eine ganze Heerschar von 'Rassegeistern', 'Zeitgeistern', 'Volksgeistern', Elohim und Erzengeln und nicht zuletzt habe auch "Jahve" mit der Rassenentwicklung zu tun.29 Ich werde mich im Folgenden auf Rassenmodelle konzentrieren, in welchen Steiner die Menschheit auch in ihrer heutigen Form beschreibt bzw. konstruiert.

Fünfgliedriges Rassenmodell
Steiner definiert "Fünf Grundrassen im Erdendasein"30 oder auch "fünf Hauptrassen der Menschheitsentwicklung".31 Hierzu zählt er erstens die "Merkur-Rasse" als "schwarze Rasse"32 bzw. "äthiopische Rasse"33 , die er Afrika zugeordnet; zweitens die "Venus-Rasse" als "malayische Rasse"34 , die Asien zugehörig sei; drittens die "Mars-Rasse" als "mongolische Rasse"35 ; viertens die "Jupiter-Menschen" als "europäische Menschen", die entsprechend dem "europäische(n) Gebiet"36 angehörten; und fünftens die "Rasse des finsteren Saturn" als "indianische Rasse" bzw. "amerikanische Rasse"37 , die er "Amerika" zuordnet.

Viergliedriges Rassenmodell
Steiners viergliedriges System entspricht farblich dem im 18. Jahrhundert entwickelten System des Botanikers Carl von Linné: "Erinnern Sie sich daran, wie es Rassen gibt, die schwarze, rote, gelbe und weiße Rasse, und wie diese Rassen ursprünglich verknüpft sind mit gewissen Gebieten unserer Erde."38 Er beschreibt das viergliedrige Farbsystem entlang von vier Entwicklungsstadien. In diesem Kontext analogisiert er Bilder vom Individual- und Kollektivkörper und lehnt sich an das Modell des Naturphilosophen Carl Gustav Carus an.39
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26 Vgl. u.a. Steiner, Rudolf: Aus der Akasha-Chronik. Aufsätze 1904-1908. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1995 (GA 11); Steiner, Rudolf: Die Geheimwissenschaft im Umriss. 16.-20. Aufl., Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum, Dornach / Schweiz 1925 (1923) (GA 13); Steiner, Rudolf: Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwicklung, sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur. Ein Vortragszyklus, gehalten in Stuttgart vom 4.-6. August 1908. Novalis Verlag, Freiburg im Breisgau 1956 (GA 105); Baumann, Adolf: Wörterbuch der Anthroposophie. Grundlagen, Begriffe, Einblicke. mvg-Verlag, München 1991, Stichwort Erd- und Menschheitsentwicklung, Nachatlantisches Zeitalter; Zander, Helmut: Anthroposophische Rassentheorie: Der Geist auf dem Weg durch die Rassengeschichte. In: Schnurbein, Stefanie von / Ulbricht, Justus H. (Hrsg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe 'arteigener' Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende. Königshausen & Neumann Verlag, Würzburg 2001, S.297.
27 Vgl. Steiner, Rudolf: Christologie. Anthroposophie - ein Weg zum Christusverständnis. Vorträge, ausgewählt und herausgegeben von Heten Wilkens. Verlag Freies Geistesleben. Stuttgart 1986, Vortrag vom 16./17.04.1912, S.78.
28 Vgl. Steiner, Rudolf: Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie. Vorträge 1910. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1974 (GA 121 / TB 613), Vortrag vom 15.06.1910, S.160.
29 Vgl. u.a. Steiner, Rudolf: Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie. Vorträge 1910. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1974 (GA 121 / TB 613), Vortrag vom 12.06.1910, S.114f.
30 a.a.O: S.109.     31 a.a.O: S.120.
32 a.a.O: S.109.     33 a.a.O: S.111.
34 a.a.O: S.110, 113.   35 a.a.O: S.110.
36 a.a.O: S.110; "Modifikationen dieses Jupiter-Einflusses sind im Grunde genommen alle vorderasiatischen und namentlich europäischen Völker [...]." a.a.O: S.117.   37 a.a.O: S.110.
38 Steiner, Rudolf: Geisteswissenschaftliche Menschenkunde. Neunzehn Vorträge, gehalten in Berlin vom 19. Oktober bis 17. Juni 1909. Verlag der Rudolf Steiner Nachlaßverwaltung, Dornach 1959 (GA 107), Vortrag vom 3. Mai 1909: Die Ausprägung des Ichs bei den verschiedenen Menschenrassen, S.279.
39 Carus, Carl Gustav: Natur und Idee oder das Werdende und sein Gesetz. Eine philosophische Grundlage für die spezielle Naturwissenschaft. 2. Nachdruck der Ausgebe Wien 1861. Georg Olms Verlag, Hildesheim / Zürich / New York 1990, S.468; Insgesamt nimmt Steiner positiv Bezug auf Carus' Verständnis vom physischen Leib. Vgl. u.a. Steiner, Rudolf: Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1962 (1904) (GA 9), S.24; Dass die konkreten Bezüge an den jeweiligen Stellen von Steiner nicht angeführt werden, erklärt sich letztlich aus der von ihm proklamierten Methodik der Eingebung, des 'Schauens' bzw. des 'Lesens' in der sogenannten Akasha-Chronik, dem vorgestellten 'immateriellen Weltgedächtnis'.

Bei Steiner ergibt sich entsprechend folgende Zuordnung: "Afrika" und die "schwarze Rasse" stünden für "Kindheitsmerkmale", "Asien" und die "gelbe" oder "bräunlichen Rassen" für "Jugendmerkmale", Europa für "reifste Merkmale" und Amerika assoziiert Steiner mit dem "Absterben der Menschheit"40. Aus Carus' 'planetarischem Modell' der "Tag-, Nacht- und Dämmerungsvölker"41 , übernimmt Steiner unter anderem auch die Identifizierung der sogenannten 'Indianer' durch das Bild der Abenddämmerung sowie Carus' Gedanken ihres vermeintlich naturgemäßen Aussterbens. Bei Steiner wird dies mit seinem karmisch spiritualistischen System verknüpft:
"Nicht etwa, weil es dem Europäer gefallen hat, ist die indianische Bevölkerung ausgestorben, sondern weil die indianische Bevölkerung die Kräfte erwerben musste, die sie zum Aussterben führte." 42

Dreigliedriges Entwicklungs- und Rassenmodell
In seinem dreigliedrigen Modell unterscheidet Steiner zwischen folgenden Typen: erstens dem 'Zeus-Typus', zweitens dem 'Hermes- (oder Merkur-)Typus' und drittens dem 'Faun-Typus'.43 Die Typen beschreiben Götter-Typen und zeitliche Typen bzw. Kulturepochen sowie Ideal-Typen in der griechischen Kunst. Steiner verbindet sie mit 'Rassetypen': "Wir erkennen, wie sich in den einzelnen Gestalten der griechischen Kunst - in den Gestalten der Mythologie - die Rassenbildung erhalten hat (...)." 44 Und kurz vorher schreibt er:
"Da haben wir, was der Grieche in seiner Art zum Ausdruck bringen wollte. (...) was man als seinen eigenen Typus bezeichnen könnte, diejenige Rasse, die den arischen Stamm begründet hat, das brachte er in dem erhabenen idealen Zeustypus zum Ausdruck." 45
Hier wird auch Steiners ambivalente Verwendung des Begriffs 'arisch' deutlich, der über seinen Epochenbegriff der 'arischen Wurzelrasse' hinaus Bedeutung erlangt.
Die Dreigliederung lässt sich mit seinem Grundsystem der Dreigliederung 46 in Beziehung setzen. Mit der Bezugnahme auf die antike Kunst verweist Steiner letztlich auf die abstrakte, mathematische Konstruktion von Rassetypen, auf geometrische Ideal-Typen, die in der Physiognomie und Rassentheorie seit dem 18. Jahrhundert als 'Naturgesetze' erscheinen.
Bei Steiner steht die griechische Plastik für die äußere Konfiguration des "Rassentypus der nördlichen Volksmassen".47 Ihm erscheinen die abstrakten Körperkonstruktionen jedoch als kosmologische Wahrheit, die mit seinem metaphysisch geladenen Naturbegriff korrespondiert. Konzeptionell wie auch begrifflich veranschaulicht sich in dem Modell Steiners Mythologisierung des Rassebegriffs. Daneben zeigen sich noch weitere Herleitungsmodi von Rassetypen, auf die ich hier jedoch nicht weiter eingehen kann.48

Schwarz-Weiß-Symbolik und Rassismus
Grundstruktur
Insgesamt korrespondieren Steiners Rassenkonstruktionen zur heutigen Menschheit mit seinem übergeordneten Entwicklungsmodell, d.h. die Grundstruktur von der Materialisierung des Geistes hin zu einer erneuten Vergeistigung wird auf sein Entwicklungsschema der 'Rassen' angewandt. Konkret meint das: Außereuropäer werden durch 'Verhärtung', 'Verknöcherung', mangelnde Ich-Entwicklung und den Begriff der Degeneration gekennzeichnet,49 die als weiß beschriebenen Europäer stehen für geistige Potenz und die Entwicklung hin zu einer zukünftigen Vergeistigung. In diesem Sinne lässt sich auch Steiners Aussage verstehen: "Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse".50 Den Konstruktionen liegen die Bilder der 'stofflichen' Verdunklung und dem entgegen der Aufhellung durch Vergeistigung zu Grunde. Sie sind Ausdruck einer (neo)gnostischen Weltfeindlichkeit, in dem die verhärtete, 'verknöcherte' Materie mit dem Tod, der Schattensymbolik und der Farbe Schwarz in Beziehung gesetzt wird, und dieser Zusammenhang schreibt sich dezidiert in den Hautfarbendiskurs ein. Die Konstruktion des rassistisch markierten 'Anderen' stabilisiert dabei das Konstrukt der 'weißen' Ausgangsnorm, mit der sich das Erlösungsversprechen, das Entwicklungspotential zur Erleuchtung und einer erneuten Vergeistigung verbindet. Die dem Entwicklungsschema eingeschriebene Bewegung von der Verdunklung zur Aufhellung kann schließlich auch mit Steiners bereits genannten und mit Bezug auf Carus' entwickelten 'entwicklungspsychologischen' Ansätzen im Rassesystem - der Bewegung vom kindlichen, 'dunklen' Unbewussten zum reifen, 'hellen' Ich-Bewusstsein - in Zusammenhang gebracht werden.
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40 Steiner, Rudolf: Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie. Vorträge 1910. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1974 (GA 121 / TB 613), Vortrag vom 10.06.1910, S.77-79.
41 Vgl. Carus, Carl Gustav. Denkschrift zum 100jährigen Geburtsfeste Goethes. Über ungleiche Befähigung der verschiedenen Menschenstämme für höhere geistige Entwicklung. Leipzig 1849.
42 Steiner, Rudolf: Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie. Vorträge 1910. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1974 (GA 121 / TB 613), Vortrag vom 10.06.1910, S.79.
43 Vgl. Steiner, Rudolf: Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwicklung, sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur. Ein Vortragszyklus, gehalten in Stuttgart vom 4.-6. August 1908. Novalis Verlag, Freiburg im Breisgau 1956 (GA 105), Vortrag vom 10.08.1908, S.109.
44 a.a.O: S.110. 45 a.a.O: S.109.
46 Vgl. Körner-Wellershaus, Ilas: Sozialer Heilsweg Anthroposophie. Eine Studie zur Geschichte der sozialen Dreigliederung Rudolf Steiners unter besonderer Berücksichtigung der anthroposophischen Geisteswissenschaft. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde. Vorgelegt der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. VDG, Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaft. Bonn 1994 (1993).
47 Vgl. Steiner, Rudolf: Der Orient im Lichte des Okzidents. Vorträge 1909. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1977 (GA 113 / TB 624), Vortrag vom 27.08.1909, S.103.
48 So konstruiert Steiner u.a. auch "drei Hauptrassen der Menschheit" entlang von "drei Systemen der Anatomie und Physiologie des Menschen, dem Stoffwechsel-Gliedmaßensystem, dem rythmischen System und dem Nerven-Sinnessystem." Untersuchungskommission 'Anthroposophie und die Frage der Rassen' (Hrsg.): Anthroposophie und die Frage der Rassen. Zwischenbericht der niederländischen Untersuchungskommission. Gekürzte und überarbeitete Übersetzung. Autorisierte Übersetzung: Ramon Brüll. Info3 Verlag, Frankfurt a.M. 1998, S.266.
49 "Solche Gruppen von Menschen, bei denen das Knochensystem sozusagen zuviel abgekriegt hatte, blieben dann als degenerierte Menschen zurück. Sie konnten sich nicht mehr hineinfinden in die Verhältnisse der nachatlantischen Zeit; und die letzten Überbleibsel davon sind die amerikanischen Indianer. Sie waren degeneriert." Steiner, Rudolf: Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwicklung, sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur. Ein Vortragszyklus, gehalten in Stuttgart vom 4.-6. August 1908. Novalis Verlag, Freiburg im Breisgau 1956 (GA 105), Vortrag vom 10.08.1908, S. 107;
"Die letzten Überbleibsel derjenigen Menschengruppe, bei denen das Ernährungssystem verhärtet ist, bilden heute die schwarze Rasse." Steiner, Rudolf: Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwicklung, sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur. Ein Vortragszyklus, gehalten in Stuttgart vom 4.-6. August 1908. Novalis Verlag, Freiburg im Breisgau 1956 (GA 105), Vortrag vom 10.08.1908, S.107;
"Und dann gibt es solche Menschen, die dadurch degeneriert sind, dass das Nervensystem auf zu früher Stufe verhärtet ist und nicht lange genug weich blieb, um zu einem höheren Gedankenwerkzeug tauglich zu werden - davon sind die letzten Überbleibsel malayische Rasse. Steiner, Rudolf: Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwicklung, sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur. Ein Vortragszyklus, gehalten in Stuttgart vom 4.-6. August 1908. Novalis Verlag, Freiburg im Breisgau 1956 (GA 105), Vortrag vom 10.08.1908, S.107.
50 Steiner, Rudolf: Vom Leben des Menschen und der Erde, Über das Wesen des Christentums. 13 Vorträge gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach vom 17. Februar bis 9. Mai 1923. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1993 (GA 349 / TB 723), Vortrag vom 03.03.1923, S.67.

Hautfarbendiskurs
"Dasjenige, was gewissermaßen von unserer Haut, einschließlich der Sinneswerkzeuge, nach innen hin organisiert wird, das wird uns aus dem großen Kosmos gegeben." 51
"Wenn der Mensch sein Inneres ganz ausprägt in seiner Physiognomie, in seiner Körperoberfläche, dann durchdringt das gleichsam mit der Farbe der Innerlichkeit sein Äußeres." 52

Ein näherer Blick auf die Hautfarbenkonstruktion zeigt, inwiefern bei Steiner von einer Respiritualisierung der Farben gesprochen werden kann, welcher der Prozess der Entspiritualisierung im Zuge rassentheoretischer Farbgebung vorausgeht. Schon in Steiners namentlicher Systematik der 'Zeus-Rasse' und 'Jupiter-Rasse' als Bezeichnung für die sogenannten Kaukasier und Europäer ist eine farbsymbolische Identifizierung deutlich angelegt: Der in der Mythologie weiß codierte Zeus, attributiert durch das Licht, den Blitz und verkörpert im weißen Stier, ist Symbol für Geist und Männlichkeit. Ähnlich gestaltet sich der symbolische Zusammenhang Jupiter - Geist - Licht. Die Re-Inszenierung der symbolischen Traditionen zeigt sich schließlich besonders deutlich, wenn Steiner das Konstrukt der 'weißen' Haut explizit mit Christus in Verbindung setzt. So geht er davon aus, wie Ilas Körner-Wellershaus zusammenfasst, "dass der Christus im Mysterium von Golgatha die spirituellen Impulse so tief ins Physische 'heruntergeführt' habe, dass sie in der weißen
Hautfarbe der Menschen ersichtlich geworden seien; in ihnen habe der Geist sein 'Gehäuse' gefunden."53 Damit verdeutlicht sich bei Steiner wörtlich das, was ich im Vorhinein als Prozess einer 'kulturellen Menschwerdung Gottes' im rassentheoretischen Denken bezeichnet habe. Man könnte ebenso von der Gleichzeitigkeit einer Rassisierung des Christusbildes und einer Vergöttlichung der 'weißen Rasse' sprechen. Dies veranschaulicht sich auch in Steiners Erläuterungen zur 'Farbe des Inkarnats', die er als Farbe des inkarnierten Christus und als 'gesunde Menschenfarbe' versteht. Hierbei erscheint jedoch die Farbe 'Pfirsichblüt' als farbliche Norm, welche statt der abstrakten Farbe Weiß den Anschein einer natürlichen normativen Wirklichkeit der 'Fleischfarbe' des Menschen vermittelt.54 Die Konstruktion lässt sich somit als eine erweiterte Naturalisierung und als eine parallele Farbvariante in Steiners Konzeption von Weißsein lesen. Sie widerspricht nicht, sondern verfestigt die Schlussfolgerung, dass Steiner in Opposition zur 'schwarzen', 'braunen', 'gelben' und 'roten' Haut eine Weiße55 Norm konstruiert, die an anderen Stellen in Form der dezidiert 'weißen Rasse' als 'eigentliche' Menschheit erscheint:
"Die Weißen sind eigentlich diejenigen, die das Menschliche entwickeln. Daher sind sie auf sich selber angewiesen. Wenn sie auswandern, nehmen sie die Eigentümlichkeiten der anderen Gegenden etwas an, doch sie gehen nicht als Rasse, sondern mehr als einzelne Menschen zugrunde (...)." 56
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51 Steiner, Rudolf: Von wem habe ich meine Seele geerbt? Der Weg des Menschen von Volk zu Volk. Ein Vortrag in Bern am 14. Dezember 1920. Archiati Verlag e.K., Reihe: Rudolf Steiners Geisteswissenschaft für Anfänger, München 2004 (GA 202), S.10.
52 Steiner, Rudolf: Geisteswissenschaftliche Menschenkunde. Neunzehn Vorträge, gehalten in Berlin vom 19. Oktober bis 17. Juni 1909. Verlag der Rudolf Steiner Nachlaßverwaltung, Dornach 1959 (GA 107), Vortrag vom 3. Mai 1909: Die Ausprägung des Ichs bei den verschiedenen Menschenrassen, S.288.
53 Körner-Wellershaus, Ilas: Sozialer Heilsweg Anthroposophie. Eine Studie zur Geschichte der sozialen Dreigliederung Rudolf Steiners unter besonderer Berücksichtigung der anthroposophischen Geisteswissenschaft. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde. Vorgelegt der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. VDG, Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaft. Bonn 1994 (1993), S.387; vgl. Steiner, Rudolf: Die geistigen Hintergründe des ersten Weltkrieges. 16 Vorträge, Stuttgart 1914-1918 und 1921, Dornach 1974 (GA 174b), Vortrag vom 13.02.1915, S.38.
54 Vgl. u.a. Steiner, Rudolf: Farbenerkenntnis. Ergänzung zu dem Band 'Das Wesen der Farben'. Hrsg. und kommentiert v. Hella Wiesberger und Heinrich O Proskauer. Rudolf Steiner Verlag, Dornach / Schweiz 1990, S.174; Steiner, Rudolf: Das Künstlerische in seiner Weltmission. Dornach 1961 (GA 276). In: Kugler, Walter: Rudolf Steiner und die Anthroposophie. Wege zu einem neuen Menschenbild. 2. Aufl., DuMont Buchverlag, Köln 1979 (1978), S.148f.
55 Die Großschreibung des Adjektivs Weiß dient mir zur Verdeutlichung, dass es sich bei dieser Attributierung nicht um eine biologische - oder wie bei Steiner biologistisch spiritualistische - Gegebenheit, sondern um eine historisch entwickelte, sozio-kulturelle Konstruktionen handelt. Vgl. zur Großschreibung u.a. auch Wachendorfer, Ursula: Weiß-Sein in Deutschland. Zur Unsichtbarkeit einer herrschenden Normalität. In: Arndt, Susan (Hrsg.): Afrika-Bilder. Studien zu Rassismus in Deutschland. Unrast Verlag, Münster 2001, S.87-101, 99, Anm.1; Die Schreibweise wurde in Anlehnung an die Großschreibung des Adjektivs Schwarz als (sozio) politischem Identitätsbegriff entwickelt, unterscheidet sich jedoch von diesem hinsichtlich der politischen Dimensionen sozialer Ungleichheits- und Dominanzverhältnisse. Vgl. zum politischen Identitätsbegriff Schwarz u.a. Hügel, Ika / Lange, Chris / Ayim, May / Bubeck, Ilona / Aktas, Gülsen / Schultz, Dagmar: Entfernte Verbindungen. Rassismus - Antisemitismus - Klassenunterdrückung. Orlanda Frauenverlag, Berlin 1993, S.13; Weitgehend verwende ich in diesem Artikel jedoch die Schreibweise 'weiß' und 'schwarz', um die dezidiert farblichen Konstruktionen hervorzuheben.
56 Steiner, Rudolf: Vom Leben des Menschen und der Erde, Über das Wesen des Christentums. 13 Vorträge gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach vom 17. Februar bis 9. Mai 1923. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1993 (GA 349 / TB 723), Vortrag vom 03.03.1923, S.62.

Ich möchte im Folgenden nur noch kurz auf zwei weitere Aspekte eingehen, welche die rassentheoretische Konstruktionslogik bei Steiner verdeutlichen. Das erste ist der Zusammenhang von Physikalisierung und Spiritualisierung, das zweite ein weiteres Beispiel für die Übernahme des Biologismus seiner Zeit. Die Verbindung von 'physikalischen' und spirituell geladene Phänomenen zeigt sich unter anderem anschaulich in Steiners Konstruktion 'schwarzer' Haut im Verhältnis zum 'kosmischen Licht'. So schreibt er: "Diese Schwarzen in Afrika haben die Eigentümlichkeit, dass sie alles Licht und alle Wärme vom Weltraum aufsaugen. Sie nehmen das auf."57 In der Folge konstruiert Steiner einen Zusammenhang von 'schwarzer' Haut, Sonne, Hitze und 'Triebleben' und reproduziert so sozio-kulturell tradierte Zuschreibungsmuster.58 Diese basieren der Konstruktionslogik nach auf christlich farbsymbolischen Codierungen, in denen die Farbe Schwarz als Farbe des Teufels mit Sexualität und Sünde assoziiert ist. Werden im christlichen Kontext jedoch 'Sünder' und 'Heiden' schwarz codiert, so fließen im säkularen Kontext diese Traditionen in die Konstruktionen der 'schwarzen' und 'bunten' Haut strukturell ein. Das Bild der Triebhaftigkeit des 'Anderen' dient hier der Selbstkennzeichnung der Weißen Europäer durch Rationalität und Geist. So heißt es auch bei Steiner: "Und wir Europäer, wir armen Europäer haben das Denkleben, das im Kopf sitzt."59 An anderer Stelle greift Steiner das schon bei Carus vorzufindende Bild des Kohlenstoffs auf, um die vermeintliche 'Ich-losigkeit' der 'schwarzen Rasse' und somit ein Weißes Ich zu inszenieren:
"Diejenigen Menschen aber, die ihre Ich-Wesenheit zu schwach entwickelt hatten, die den Sonneneinwirkungen zu sehr ausgesetzt waren, sie waren wie Pflanzen: sie setzten unter der Haut zuviel kohlenstoffartige Bestandteile ab und wurden schwarz." 60
Daher seien die heutigen Schwarzen schwarz.

Haar- und Augenfarbe
Die farbsymbolischen Codierungen schreiben sich auf vielfältige Weise in die rassentheoretischen Körperkonstruktionen ein. Dafür spricht auch Steiners folgende, in den letzten Jahren mehrfach angeführte biologistische Aussage:
"Die Menschen würden ja, wenn die Blauäugigen und Blondhaarigen aussterben, immer dümmer werden, wenn sie nicht zu einer Gescheitheit kommen würden, die unabhängig ist von der Blondheit. Die blonden Haare geben eigentlich Gescheitheit." 61

Die Typologisierung entlang der Haare entspricht der Rassensystematik des Sozialdarwinisten Ernst Haeckel, lässt sich aber etwa auch an Thesen von Carl Gustav Carus und des 'Ariosophen' Lanz von Liebenfels anbinden. Hier ist der farbsymbolische Zusammenhang von Weiß, Geist und Rationalität entlang des blonden Haars in die menschliche Natur verlagert, zur vermeintlich biologischen Wahrheit und entsprechend verweltlicht worden.

Schlussfolgerung
Mir ging es mit meinen angestellten Überlegungen und Erläuterungen weniger darum zu beweisen, dass es Rassismus in Steiners Werk gibt, als darum aufzuzeigen, welche kulturell tradierten Denkstrukturen sich entlang von Steiners rassentheoretischen Konstruktionen beispielhaft aufzeigen lassen. Insgesamt plädiere ich dafür, Steiners Schriften als kulturhistorische Zeugnisse zu lesen und zu interpretieren, ohne die problematischen Aspekte zu relativieren. Auch die oben genannten, zur Verteidigung angeführten sinngemäßen Aussagen Steiners wie "Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit" relativieren diese dargestellten Aspekte nicht. Ebenso wenig kann Steiners vermeintlich egalitäre - ich will es mal so nennen - 'Internationalisierung durch Seelenwanderung' - nämlich u.a. Steiners Vorstellung, dass die europäischen Seelen einst in den Körpern der sogenannten Indianer inkarniert gewesen seien62 - ebenso wenig kann diese Vorstellungen darüber hinwegtäuschen, dass Steiner ein hierarchisches Entwicklungsschema der 'Rassen' entwirft. Und dieses Entwicklungsschema korrespondiert eben strukturell - wie ich versucht habe, ansatzweise zu zeigen - sowohl mit seinem übergeordneten Entwicklungsschema als auch mit dem zeitgenössisch rassentheoretischen Entwicklungsgedanken. Steiners Differenzierungssystematiken an sich beinhalten Essentialisierungen und Diskriminierungen. Insgesamt schreiben sich dabei die farbsymbolischen Codierungen des Abendlandes deutlich ein.
Zum Schluss möchte ich aus einem Leserbrief vom 5. Februar 2006 im Tagesspiegel zitieren, der mit Blick auf den für den 10.-11. Februar 2006 geplanten Studientag des Pfarramts für Sekten- und Weltanschauungsfragen der EKBO in Berlin noch vor dessen kurzfristiger Absage erschien. Hierin heißt es:
"Was soll dabei herauskommen, wenn wir uns die historisch überholten, ungereimten Ansichten unserer altvorderen Gründerväter um die Ohren schlagen wollen? Dann müsste nicht nur über den Rassismus eines Rudolf Steiner, sondern wohl auch über den Antijudaismus eines Martin Luther gesprochen werden." 63

Ich kann der letzten Forderung nur zustimmen. Sicherlich ist auch der Antijudaismus bei Martin Luther ein wichtiges Thema, das von der Evangelischen Kirche ja bereits bearbeitet wird. Was grundsätzlich dabei herauskommen soll, sich mit den Gründervätern auseinander zu setzen, kann ich nur so beantworten: Ich hoffe, dass wir über diese Auseinandersetzung zu einem offenen, kritischen und differenzierten Umgang mit der Geschichte des Antijudaismus, Antisemitismus und des rassentheoretischen Denkens gelangen, ohne die sich die Gegenwart des Rassismus und Antisemitismus nicht begreifen lässt.

Jana Husmann-Kastein, M.A. Kulturwissenschaft und Gender Studies, ist assoziiertes Mitglied des Graduiertenkollegs "Geschlecht als Wissenskategorie" der Humboldt-Universität zu Berlin.
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57 "Und dieses Licht und diese Wärme im Weltraum, die kann nicht durch den ganzen Körper hindurchgehen, weil ja der Mensch immer ein Mensch ist, selbst wenn er ein Schwarzer ist. Es geht nicht durch den ganzen Körper durch, sondern hält sich an die Oberfläche der Haut, und da wird die Haut dann selber schwarz." Steiner, Rudolf: Vom Leben des Menschen und der Erde, Über das Wesen des Christentums. 13 Vorträge gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach vom 17. Februar bis 9. Mai 1923. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1993 (GA 349 / TB 723), Vortrag vom 03.03.1923, S.55.
58 "Und weil er eigentlich das Sonnige, Licht und Wärme, da an der Körperoberfläche in seiner Haut hat, geht sein ganzer Stoffwechsel so vor sich, wie wenn in seinem Innern von der Sonne selber gekocht würde. Daher kommt sein Triebleben. Im Neger wird da drinnen fortwährend richtig gekocht, und dasjenige, was dieses Feuer schürt, das ist das Hinterhirn." Steiner, Rudolf: Vom Leben des Menschen und der Erde, Über das Wesen des Christentums. 13 Vorträge gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach vom 17. Februar bis 9. Mai 1923. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1993 (GA 349 / TB 723), Vortrag vom 03.03.1923, S.55; Vgl. u.a. auch Zander, Helmut: Anthroposophische Rassentheorie: Der Geist auf dem Weg durch die Rassengeschichte. In: Schnurbein, Stefanie von / Ulbricht, Justus H. (Hrsg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe 'arteigener' Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende. Königshausen & Neumann Verlag, Würzburg 2001, S.315.
59 Steiner, Rudolf: Vom Leben des Menschen und der Erde, Über das Wesen des Christentums. 13 Vorträge gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach vom 17. Februar bis 9. Mai 1923. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1993 (GA 349 / TB 723), Vortrag vom 03.03.1923, S.58.
60 Steiner, Rudolf: Geisteswissenschaftliche Menschenkunde. Neunzehn Vorträge, gehalten in Berlin vom 19. Oktober bis 17. Juni 1909. Verlag der Rudolf Steiner Nachlaßverwaltung, Dornach 1959 (GA 107), Vortrag vom 3. Mai 1909: Die Ausprägung des Ichs bei den verschiedenen Menschenrassen, S.288.
61 Steiner, Rudolf: Über Gesundheit und Krankheit. Grundlagen einer geisteswissenschaftlichen Sinneslehre. Achtzehn Vorträge, gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach vom 19. Oktober 1922 bis 10. Februar 1923, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1994 (GA 348 / TB 722), Vortrag vom 13. Dezember 1922, S.103.
62 Vgl. u.a. Steiner, Rudolf: Von wem habe ich meine Seele geerbt? Der Weg des Menschen von Volk zu Volk. Ein Vortrag in Bern am 14. Dezember 1920. Archiati Verlag e. K., Reihe: Rudolf Steiners Geisteswissenschaft für Anfänger, München 2004 (GA 202), S.23f.
63 Herrman Detering, ev. Pfarrer, Berlin Charlottenburg.


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