Ideologisierung der Religionsfreiheit Freiheit für Organisationen oder für Individuen

Eine europäische Sicht

von Johannes Aagaard
Statement für die Eröffnung der Diskussion bei der Tagung der International Dialog Akademy in Rothenburg o. T. am 10. 3. 1997.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika hat die Ideologisierung des "First Amendement to the Constitution" (der ersten Ergänzung zur Verfassung) schrittweise zu einem Gegensatz zu echter Religionsfreiheit geführt. Sie hat zu einer Stärkung der Macht der religiösen Organisationen gegenüber den Individuen geführt. Religionsfreiheit wurde so die Freiheit von Organisationen, Individuen zu manipulieren. Und alle Versuche, die Individuen gegen die Organisationen zu verteidigen, werden nun als Verstoß gegen die Religionsfreiheit interpretiert. In Bezug auf die Scientology-Organisation (SO) ist diese Entwicklung besonders fatal. Es wird immer schwieriger, festzustellen, was eigentlich innerhalb der SO vor sich geht, denn die SO steht außerhalb jeder öffentlichen Kontrolle. Und ohne zu wissen, worum es geht, geben Behörden in den USA einer Organisation Rechte und Freiheiten, die die Rechte und Freiheiten der Individuen stiehlt. In Europa muß es anders bleiben In Europa ist es anders und muß es anders bleiben. Wir müssen auch weiterhin verlangen, daß religiöse Organisationen durchsichtig sind. Die Behörden müssen im Stande sein, die finanziellen und administrativen Aktivitäten der SO zu beurteilen.

Alles muß korrekt und gesetzeskonform vor sich gehen. Auch der Betrug einer religiösen Organisation bleibt Betrug. Und nicht jede Organisation, die gern als Religion auftreten möchte, kann als Religion akzeptiert werden. Staat und Religion sollen beide selbständig bleiben, aber beide müssen sich öffentlich verantworten. Es gibt eine Offenlegungspflicht. Eine Organisation, die sich weigert, eine solche Pflicht anzuerkennen und ihr nachzukommen, kann selbstverständlich keine Anerkennung bekommen als öffentliche Realität und Funktion. Gesetze sind für alle da Auch gilt bei uns: Gesetze sind für alle da. Niemand kann da ausgenommen werden, und die Behörden haben sorgsam darauf zu achten, daß niemand sich im Namen des Gesetzes gesetzeswidrig benimmt. Auch religiöse Institutionen und Organisationen müssen darum bereit sein, sich unter öffentliche Kontrollmaßnahmen zu stellen.

Der Einzelne, ob Scientologe oder nicht - muß natürlich die volle Freiheit behalten, Scientologe zu bleiben - oder nicht. Es ist aber eine Pflicht des Staates, so weit wie möglich dazu beizutragen, daß für jeden Einzelnen Informationen, auch kritische Informationen zugänglich sind. Es muß alternative Information und Aufklärung zugänglich sein, damit man nicht ohne weiteres von Scientology manipuliert werden kann. Öffentlicher Dienst Eine schwierige Frage ist noch zu behandeln: Ist es wirklich notwendig, auch die Möglichkeit zu haben, "Berufsverbote" auszusprechen? Es muß möglich sein. Prinzipiell sind Scientologen zwar relativ verschiedene Leute. Es gibt aber erfahrungsgemäß einige völlig manipulierte Scientologen, für die die SO oberster Maßstab ist. Sie können nicht loyal sein, nicht in den Kirchen, und nicht in den Staaten. Ihre Loyalität gehört total Scientology. Wenn man den Beweis hat, daß es so ist, nämlich daß ein Scientologe prinzipiell nicht als vertrauenswürdig gelten kann, dann kommt ein öffentliches Amt natürlich nicht in Frage. Er kann nicht öffentlich und für die Allgemeinheit handeln. So ein Mensch muß selbstverständlich Privatperson bleiben. Er wird dadurch nicht eines Rechtes beraubt.

Er kann nur nicht das Privileg bekommen, "öffentliche Person" im öffentlichen Dienst zu werden. In Staat und Europa Hauptaufgabe des Staates in Bezug auf alle Organisationen ist es, daran mitzuwirken, daß Forschung und Studien funktionieren, so daß es wirklich möglich wird, genau zu wissen, worum es dabei geht. Die Ergebnisse solcher Forschung müssen öffentlich zugänglich sein, und auch daran muß der Staat mitwirken. Scientology operiert in allen europäische Staaten, und wir haben als Europäer die selben Probleme in dieser Beziehung. Ebenso wie sich die EU nun mehr und mehr gemeinsam mit den Problemen befassen muß, die von der internationalen Kriminalität herrühren, ebenso ist es auch notwendig, daß sich die EU gemeinsam mit den Problemen beschäftigt, die die Scientology-Organisation verursacht.