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STANDPUNKTE

Die APA-Lüge - ein Wissenschaftsskandal

Kommentar von Thomas Gandow

Die Enquete-Kommission wird von der KultLobby als voreingenommen diffamiert. Immerhin leistete sich die Kommission das Vergnügen, den Copyright-Advokaten und Büchersammler Massimo Introvigne als Experten anzuhören.

Introvigne sagte allerdings wenig zu den Themen, zu denen er eigentlich eingeladen war - die Situation der Kulte und neureligiösen Bewegungen in Italien - sondern mehr zu seinem Lieblingsthema "Gehirnwäsche". Im Eifer des Gefechts unterlief ihm nicht nur mündlich in der Sitzung ein handwerklicher Fehler: Dott. Massimo Introvigne behauptete zwar schon wiederholt, jetzt aber in einer schriftlichen Stellungnahme für die Enquete-Kommission des deutschen Parlaments:

,Nach dem Memorandum der American Psychological Association von 1987, das die Theorien der geistigen Manipulation im Zusammenhang mit religiösen Bewegungen als 'nicht wissenschaftlich' zurückwies ... vertreten Wissenschaftler und Gerichte mehrheitlich, ja fast einstimmig - die Auffasssung, daß die Gehirnwäsche und die geistige Destabilisierung nicht existieren".

Mut zur Lüge

Trotz aller sonst so geschmeidigen Formulierungskünste des Advokaten: Diesmal hat Herr Introvigne, wenn auch im Nebensatz, eine nachweisbare, faustdicke Lüge formuliert und quasi amtlich vorgetragen. Tatsächlich steht in dem "APA-Memorandum" nämlich etwas entscheidend anderes: Es stammt übrigens vom Ausschuß der APA für soziale und ethische Verantwortung in der Psychologie; dieser Ausschuß ist "nach sorgfältiger Prüfung zu der Überzeugung gelangt, daß wir nicht genug Information zur Verfügung haben, die uns zu einer Stellungnahme in dieser Frage befähigen könnte."

Es stellt sich die Frage, welche Ethik Introvigne ermächtigt, bewußte Schwindeleien in sein angeblich streng objektives "wissenschaftliches" Wirken einzuschließen. "Mut zur Ethik" heißt eine VPM-nahe Kongreßreihe; der 6. dieser rechtsgewirkten Kongresse findet in Feldkirch (Vorarlberg/Österreich) vom 4.-6.September 1998 statt. Einer der Referenten, die ausgerechnet unter dem Motto : 'Bonum commune - Ethik in Gesellschaft und Politik' referieren werden, ist Introvigne.

Es wird nun Zeit, daß sich Wissenschaftsjournalisten mit Introvignes Ethik, aber auch mit den obskuren organisatorischen Hintergründen, Arbeitsweisen und "Forschungsergebnissen" des reiselustigen Copyright-Advokaten und Hobby-Religionswissenschaftlers kritisch befassen und ihre realen Auswirkungen auf Wissenschaftsbetrieb und Rechtsprechung untersuchen.

Auch "Psychologie heute" hereingefallen

Dem aufgrund seiner nicht nur methodisch umstrittenen Umfrage zu "Jugend und Religion" bekannt gewordene Freiburger Heiner Barz ist es immerhin gelungen, in einem Artikel in der Zeitschrift mit dem anspruchsvollen Titel: "Das Bild des Menschen - PSYCHOLOGIE HEUTE" die APA-Lüge unterzubringen. Barz schreibt dort in einer polemischen Würdigung der Arbeit der EnqueteKommisssion des Deutschen Bundestages zu sogenannten Sekten und Psychogruppen über eine Anhörung des Europaparlaments in Straßburg: "Immer wieder wurden in Straßburg die Vereinigten Staaten zum Vergleich herangezogen, wo beispielsweise die amerikanische Gesellschaft der Psychologen bereits 1987 feststellte, daß Thesen von 'Gehirnwäsche' oder 'geistiger Manipulation' jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehrten." (Psychologie Heute - August 1998, S. 47)

Es ist nicht bekannt, ob Barz ohne eigene Recherche nur auf die von der Kult-Lobby um Introvigne kolportierte APA-Lüge hereingefallen ist - und das APA-Memorandum selbst gar nicht kannte - was schlimm genug, aber bei Barz nicht unvorstellbar wäre - oder ob er wissentlich in seinem an Unterstellungen und Vorurteilen reichen Artikel diese Desinformation verbreitete.

Obwohl die Kult-Lobbyarbeit in Deutschland noch in dilettantischen Anfängen steckt, muß die Auseinandersetzung mit ihr nicht nur auf juristischem und politischem, sondern auch auf wissenschaftlichem Bereich geführt werden. Dabei reichen guter Wille oder vorauseilende Selbstkritik und Bescheidwisserei leider nicht aus. Diese Auseinandersetzung erfordert vielmehr kritische Forschung und Recherche.

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