Falsches Dharma enthüllen - oder unter den Teppich kehren?

von Johannes Aagaard

Gliederung

  1. Das Rad der Lehre verdreht
  2. Bona-fide-Religionen
  3. Gegensätze, Gemeinsamkeiten und die Notwendigkeit des Dialogs
Daß der Dalai Lama einen Fehler gemacht hat und irregeführt wurde, ist nicht besonders interessant, weil wir als Menschen alle dazu neigen, auf Lügen und Schwindel hereinzufallen. Und der Dalai Lama ist natürlich in dieser Beziehung keine Ausnahme von der Regel.

Viel interessanter ist, daß dieser Fehler im Buddhismus "als solchem" mehr oder weniger in der Natur der Dinge zu liegen scheint. Und zwar deshalb, weil der Buddhismus keine Kriterien hat für "wahre Lehre". Während im Christentum religiöse Äußerungen und Verhaltensweisen gerade an der "Lehre" gemessen werden und solche "lehrmäßige" Kritik zum Kern der Sache gehört, spielt solch eine Beschäftigung im Buddhismus nun einmal einfach keine Rolle.

Denn wenn alle Statements relativ sind und keine letzte Wirklichkeit besitzen, gibt es keine wirkliche Not dazu, sich allzuviel über den Unterschied zwischen wahren relativen Aussagen und unwahren relativen Aussagen aufzuregen. Letztlich hätten solche Unterscheidungen keine Bedeutung im Buddhismus.

Das Rad der Lehre verdreht

Shoko Asahara mit seiner "höchsten Wahrheit" ist aber weder ein Ausdruck von genuinem Buddhismus noch von einer bloßen Abweichung. Er stellt in Wirklichkeit eher eine Art von buddhistischem Satanismus dar wenn der Vergleich einmal gestattet ist. Er hat ja das Dharma (wörtlich: "das, woran man sich zu halten hat" also die buddhistische Lehre bzw. Religion) in jeder nur vorstellbaren Weise verdreht: zum glatten Gegenteil des Buddha-Dharma.

Eigentlich müßte er daher durch alle buddhistischen Führer, die ihre DharmaLehre verantwortlich vertreten, aus der buddhistischen Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Aber solch eine Disziplin wird im Buddhismus nun einmal nicht praktiziert und auch nicht akzeptiert.

Diese "passive" Haltung gegenüber der wahren Natur des Dharma führt aber dazu, daß sogar Scientology ebenso wie Aum Shinri-Kyo fähig sind, ihre jeweiligen "Lehren" als eine Art "modernen Buddhismus" zu verkaufen. Dabei sind in beiden Fällen die jeweiligen Organisationen in Wort und Tat dem Buddhismus in jeder Bedeutung des Wortes und jeder Spielart entgegengesetzt, sei es nun dies oder jenes "-yana", diese oder jene Schulrichtung.

Wir im Dialog Center International bewundern manche der wahren buddhistischen Tugenden und Haltungen, und darum finden wir es traurig, ansehen zu müssen, daß buddhistische Führer von der Qualität des Dalai Lama durch ihre vielleicht gutgemeinten Empfehlungen mithelfen, Fälschungen des Dharma zu verschleiern.

Wir verstehen, daß es für Buddhisten schwierig ist, Unterscheidungen zu vertreten und öffentlich klare Standpunkte in Bezug auf wahres und falsches Dharma einzunehmen. In solch einer Situation kann es in respektvoller Anerkennung für das, was wirklich buddhistisches Dharma ist, eine echte Hilfestellung sein, daß wir als Christen falsches Dharma bloßstellen und auf einen falschen "Buddhismus" hinweisen, der von zynischen Schwindlern als wahre buddhistische Lehre verkauft wird. Es könnte sogar sein, daß christliche Theologen dem Buddhismus keinen echten Dienst erweisen müssen, indem sie (von außen) die nötige Unterscheidung durchführen, durch die falscher "Buddhismus" identifiziert und als das bloßgestellt werden könnte, was er wirklich ist: ein Schwindel und eine schlechte Nachahmung, die dem wahren BuddhaDharma nur schaden und Menschen irreführen wird.

Wenn wir die Buddhisten um einen vergleichbaren kritischen Dienst bitten könnten, dann würden wir es begrüßen, wenn sie Mormonen, Jehovas Zeugen, Erfolgs-Christentum und okkulte Sekten etc. ... , die vorgeben, Christen zu sein, als wertlose Verfälschungen des Christentums ohne jede Gültigkeit verstehen würden, und das Christentum nicht mit den z.T. bizarren Lehren und Praktiken solcher Gruppen identifizieren würden.

Bona-fide-Religionen

In der gegenwärtigen Begegnung zwischen den Weltreligionen ist es zur vordringlichen Aufgabe geworden, irgendwie zu unterscheiden zwischen bona-fideReligionen (also Religionen in gutem Glauben, redliche Religionen d. Red. ) und nicht-bona-fide-Religionen (also "Religionen" in böser Absicht, unredlichen Religionen - d. Red.). Es gibt nämlich Religionen in "gutem Glauben" und es gibt andere Religionen, die nicht "in gutem Glauben", sondern bewußt unredlich sind.

Bei dieser Unterscheidung sprechen wir dieses eine Mal über "wahre" und "nichtwahre" Religion; das wäre eine Unterscheidung zwischen fides bona (richtigem Glauben) und fides non bona (nicht-richtigem Glauben). Dies wäre eine andere, aber ebenso wichtige Unterscheidung, denn selbst wenn du in gutem Glauben bist, kann es sein, daß dein Glaube kein guter ist.

Der Unterschied zwischen bona-fide-Religion und nicht-bona-fide-Religion, zwischen "echt" und "falsch" ist dringlich geworden, seitdem eine Reihe neuer Religionen aufgetreten sind, die vorgeben, von Natur aus religiös zu sein. In Wirklichkeit sind sie aber alles andere als religiös.

Nehmen wir zum Beispiel das Verhältnis zwischen Religion und Wirtschaft. Alle Religionen müssen die nötigen Mittel aufbringen, um ihre religiösen Aktivitäten aufrechtzuerhalten. Die Finanzen sind für die religiösen Zwecke da, und damit gibt es überhaupt kein Problem.

In einigen der sogenannten "Neuen Religionen" aber sind die Dinge auf den Kopf gestellt. Sie betreiben einige religiöse Aktivitäten um ihre finanziellen Ziele und andere, nicht-religiöse Abzweckungen zu verfolgen. Solche Pseudo-Religionen beanspruchen zwar den Schutz der Religionsfreiheit, aber in Wirklichkeit sind sie Fälschungen. Sie beuten die Religionsfreiheit aus um ihre eigenen Zwecke von sehr irdischer Art zu verfolgen.

Die bona-fide-Religionen müssen sich gegen solche Fälschungen engagieren. Wenn sie ihnen nicht widersprechen, wird der Mißbrauch, der durch diese Pseudoreligionen betrieben wird, auch die Reputation aller echten Religionen beschädigen.

Die vielen tausend neuen religiösen Organisationen, die z.Zt. expandieren und sich über die ganze Welt ausbreiten, stellen ein sehr ernstes Problem für Buddhismus und Christentum dar. Ich möchte gemeinsame Anstrengungen zwischen Buddhisten und Christen zur Klärung des fundamentalen Unterschiedes zwischen bona-fide-Religionen und nicht-bona-fideReligionen vorschlagen.

Buddhismus und Christentum könnten dadurch gemeinsam einen sehr wichtigen Beitrag leisten zur Klarstellung, was Religion ist und was nicht....

Als zwei bona-fide-Religionen müssen Buddhismus und Christentum herausfinden, wie sie sich zueinander verhalten können in voller Anerkennung der fundamentalen Differenzen und zugleich in Anerkennung der offensichtlichen Ähnlichkeiten in Bezug auf den Weg, in dem die beiden Religionen ihre Mission in die Welt ausdrücken. Der wichtigste Schritt, der jetzt gemacht werden müßte, wäre, die Notwendigkeit gegenseitiger Beziehungen anzuerkennen, um die Sendung in eine Welt zu fördern, die bedroht wird durch böse Mächte und falsche Religion, welche versucht, wahre Religion an sich zu schädigen und zu kompromittieren.

Gegensätze, Gemeinsamkeiten und die Notwendigkeit des Dialogs

Wahre Buddhisten und wahre Christen haben eine Menge gemeinsam, und das sollte nicht vergessen werden unter dem Eindruck all der verdrehten Versionen, die den desorientierten Massen der modernen Welt als Surrogate angeboten werden.

Christentum und Buddhismus sind zwar in vielen wichtigen Aspekten verschieden, ja, sie sind in mancherlei Beziehungen sogar wie Gegensätze. Aber zur gleichen Zeit brauchen die beiden Religionen einander; sie sind fähig, sich gegenseitig ihre echte Wirklichkeit zu erklären.

Diese beiden Religionen sind fast spiegelgleich zu einander: Obwohl fast alles in ihnen verschieden gesehen wird, spiegeln sich in ihnen die selben Realitäten des Lebens und des Todes; im Gegenüber geben sie sich die nötigen Tiefendimensionen. Darum könnte der buddhistischchristliche Dialog so wichtig für beide Seiten sein. Das Dialogcenter International will mit seinem Arbeitszweig ABCD ("A Buddhist Christian Dialog") zu solcher Begegnung beitragen. (Übersetzung: Thomas Gandow)


Bona-fide-Religionen
Dieser Abschnitt gibt i.W. Gedanken wieder, die Prof. Aagaard 1990 bei einer Vorlesung: "Buddhismus in its Encounter with Christianity in the Modern World" im (buddhistischen) Fo Kuan Shan-Kloster auf Taiwan vorgetragen hat. Der vollständige Aufsatz findet sich in "1990 Anthology of Fo Kuang Shan International Buddhist Conference", S. 429 - 437.

Prof. Dr. Johannes Aagaard, 67,
ist Missionswissenschaftler in Aarhus, Dänemark. Er ist einer der Pioniere der Erforschung der "New Religious Movements" in Europa und weltweit. Er ist Initiator und Präsident des Dialog Center International. In den Kirchen Europas ist Aagaard als Autorität nicht nur auf dem Gebiet der Neuen Religionen, sondern auch des interreligiösen Dialogs anerkannt. In den letzten Jahren hat er die Förderung eines ehrlichen christlich-buddhistischen Dialogs zu einem Schwerpunkt seiner Aktivitäten gemacht.

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