Sekten und Gurubewegungen in der Humboldt-Universität

Beobachtungen auf einem Studenten-Kongress

von Oliver Koch

Inhalt

  1. Religiöse Szene in Berlin
  2. "Anti-Sektenbeauftragte"
  3. Irenik, Krischna, Luther
  4. Der Freundschaftsbeauftragte
  5. Apologetik und das Klatschen einer Hand
  6. Fazit
  7. Veröffentlichungen von Friedrich-Wilhelm Haack im Verlag der A.R.W.

Angelockt durch so vielversprechende Überschriften wie "Esoterik und religiöse ,Sekten-", "Neue Feinde der Demokratie?" und "Sekten, Politik und Wissenschaft" besuchten Studenten aus Erlangen einen Kongress über "Politik in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft", der vom 13. 7. bis 16. 7. 1995 in Berlin an der Humboldt-Universität stattfand, und in dessen Rahmen es auch kritisch um verschiedene religiöse Bewegungen und Sekten gehen sollte.

Sicherlich konnte man bei einem näheren Blick auf das Programm schon im Vorfeld gewarnt sein, denn der fast 70-prozentige Anteil von ISKCON-Podiumsrednern, ISKCON-PR-Leuten etc. ließ schon darauf schließen, daß die Konferenz besonders von Krishna-Anhängern forciert wurde. Der Rest der im Programm genannten aktiv Teilnehmenden "beschränkte" sich auf Religionswissenschaftler und Politologen. Als theologischer Vertreter war als einziger Prof. Weber aus Frankfurt angekündigt. Daß dann auch noch Vertreter von Scientology und Mun-Bewegung aufs Podium drängten, war für uns nicht vorhersehbar.

Beauftragte der Kirchen oder sonstige Fachleute, z.B. der EZW, waren anscheinend verhindert oder nicht oder zu spät eingeladen und gar nicht erst erschienen.

Nahezu die Hälfte des Publikums bestand aus dauerfröhlichen KrishnaAnhängern, die übrigens auch vor dem Uni-Gebäude fleissig auf die übliche Art und Weise (Prasad-Verteilen in Form von "Essensausgabe" und "vegetarischer Kost", Bücherangebote etc.) warben. Wie sich später herausstellte, bestand der Rest der Teilnehmer aus einem bunt zusammengewürfelten Haufen von Munis, Scientologen, selbsternannten Geistheilern etc. Ach ja - da waren wohl auch noch einige kritische Geister, die aber in der Masse der eben genannten Teilnehmer fast untergingen.

Religiöse Szene in Berlin

Der Beginn des Kongresses weckte jedoch Hoffnungen. Die Einleitung des Gesprächsleiters H. Keller (Student an der FU Berlin) war neutral gehalten. Mit einer Aufforderung zu fairem, dialogischem Reden konnte man eigentlich nichts falsch machen. Der folgende Beitrag des Religionswissenschaftlers Prof. Hartmut Zinser (FU Berlin) war fundiert, differenziert und bemüht, die religiöse Situation und Szene in Berlin objektiv darzustellen.

Daß einige Zuhörer sich gleich danach zu Wort meldeten und begannen, regelrecht gegen die Kirchen zu hetzen, war schon äußerst verwunderlich. Der Sektenbeauftragte der Berliner Kirche, Pfr. Gandow, der in dieser Woche bei einer Konferenz in Dänemark war, wurde z.B. in Abwesenheit als "Volksverhetzer" angegriffen, der den "religiösen Markt" in Berlin zu Unrecht völlig "dramatisiere".

Schon jetzt wäre wohl die Gesprächsleitung an der Reihe gewesen, prinzipielle Kritik an den plumpen und polemischen Beschuldigungen zu äußern, damit diese die Konferenz nicht überschatten würden. Leider hat sie aber diese Gelegenheit nicht nur am Anfang verpaßt.

"Anti-Sektenbeauftragte"

Nun nahm das eigentliche Übel erst seinen Lauf. Es folgten an den nächsten Tagen Vorträge hauptsächlich von ISKCON-Anhängern oder pro-Krishna eingestellten "Fachleuten". Im Ganzen ermangelte es diesen Vorträgen an der notwendigen Kritik; aber wer hätte die schon üben sollen? Denn zu einem Dialog gehört nun einmal ein Gegenpart, weil sonst jede Diskussion im Sande verlaufen oder in Selbstbeweihräucherung enden muß. So geschah es dann auch: Die Krishna-Anhänger hatten sich schnell auf einer Art Mitleidsebene eingependelt. Die Frage nach den Menschenrechten in der ISKCON-Bewegung wurde einfach umgedreht und behauptet, man sei in diesem Lande, das die Menschenrechte stets im Munde führe, ständigen Angriffen der Kirchen ausgesetzt.

Eigene dialogische Bemühungen der ISKCON würden von der (angeblich wohl kirchlich desinformierten) Öffentlichkeit in den Wind geschlagen. Die ISKCON wolle aber selbst nichts anderes, als in Ruhe und Frieden leben, usw...

Im Laufe dieser Unschuldsshow wurde dann auch der Begriff des "Anti-Sektenbeauftragten" geprägt, ein weiteres Indiz dafür, daß sich die anwesenden Gruppierungen innerlich immer näher kamen. Denn sie hatten ihre große Gemeinsamkeit entdeckt, die alle Unterschiede zu überdecken vermochte: Ihren Haß gegen die beiden Kirchen und vor allem gegen ihre Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen.

Irenik, Krischna, Luther

Höhepunkt des angeblichen Dialogs war dann der Auftritt des Prof. Weber, Lehrstuhl für Irenik, Frankfurt am Main, der in der vorherigen Ankündigung als "evangelischer Theologe" vorgestellt wurde, der wohl auch die apologetische Seite etwas beleuchten würde. Sein Vortrag war unter dem Titel: "ISKCON - eine Kritik aus theologischer Sicht" angekündigt und hatte Hoffnung auf die langersehnte Kritik aus theologischem Munde gemacht. Statt dessen wurden nun aber angebliche Gemeinsamkeiten zwischen KrishnaBewegung und Christentum (besonderer Schwerpunkt: Luthertum) behauptet. Weber hat lutherisches Gedankengut (!) im Glaubenskomplex der ISKCON wiedergefunden, er entblödete sich nicht, Christus und Krishna sprachetymologisch gleichzusetzen und folgerte daraus wörtlich: "Ob wir von Christus oder Krishna reden - es ist egal". Jegliche Kritik am Ende dieses Vortrages wurde diesmal von der Diskussionsleitung "aus Zeitgründen" unterbunden und auf die spätere Podiumsdiskussion vertagt.

Der Freundschaftsbeauftragte

Einträchtig saßen nun Krishna-Anhänger, Munis und Scientologen beieinander und beteuerten die Harmlosigkeit ihrer Bewegungen. Die sich noch äußernde spärliche Kritik wurde übergangen. Überraschend war für uns dann der Auftritt eines Herrn aus dem Publikum, der sich als Pfarrer vorstellte und zunächst begann, die kirchliche Position etwas zu rechtfertigen. Er schwenkte jedoch sehr schnell um und befand sich bald schon im Einklang mit den Veranstaltern und forderte z.B., die "Sektenbeauftragten" sollten doch ihren Titel in "Freundschaftsbeauftragte" ändern u.ä.. Dieser Herr stellte sich uns später auf unsere Anfrage als neuer Beauftragter einer westdeutschen Landeskirche vor, was uns sehr verwunderte.

Apologetik und das Klatschen einer Hand

Wir selbst konnten und wollten dann nur wenig Kontra geben, denn allein durch die Übermacht der Krishna-Leute, Scientologen, Mun-Anhänger usw. die alle die Gemeinsamkeit der antikirchlichen Einstellung kultivierten, waren die Möglichkeiten dafür sehr begrenzt. Auch die Veranstalter waren wohl relativ unzufrieden, daß die wenigen "kirchlichen" Teilnehmer nicht in der Luft zerrissen werden konnten. Vielleicht hat sogar diese "Taktik" letztlich mehr bewirkt, als wenn sich kritische Geister vor den Karren einer angeblich offenen Diskussion hätten spannen lassen.

Fazit:

Ein gewaltiger Etikettenschwindel,
wie ein Kommilitone treffend bemerkte. Denn es war erstens ein Kongress angekündigt gewesen, der sich kritisch mit "Sekten" und religiösen Bewegungen beschäftigen sollte, stattgefunden aber hat einer, bei dem "Sekten über Sekten" diskutiert haben. Und zweitens war diese Konferenz geplant als Teil eines "StudentInnen"-Kongresses der Humboldt-Universität. Daß dieser, bzw. die Teilveranstaltung zu "Sekten" für die Propaganda der Sekten und religiösen Extremgruppen, für Hetze gegen die Kirchen oder zum Aufbau eines "Verfolgte-Unschuld"Images ausgenutzt wurde, war sicherlich nicht im Sinne der Studierenden.

Dennoch kann man wohl eine positive Seite ein wenig schadenfroh zur Sprache bringen: Durch die fehlende Anwesenheit wirklicher Fachleute und kirchlicher Beauftragter (so sehr wir uns ihre fundierten Beiträge gewünscht hatten), lief niemand ins Messer und der Angriff ins Leere und den die drei Tage auf den Konflikt wartenden "Sektenmitgliedern" wurde der Wind völlig aus den Segeln genommen.

Oliver Koch, stud. theol., 22,
studiert in Erlangen und Marburg und ist Mitarbeiter einer missions- und religionswissenschaftlichen Arbeitsgruppe in Erlangen, mit der er im Rahmen einer Exkursion an dem Kongress in Berlin teilnahm.

Veröffentlichungen von Friedrich-Wilhelm Haack im Verlag der A.R.W.

Geheimreligion der Wissenden.
Neugnostische Bewegungen. 83 S., DM 8.

Hexenwahn und Aberglaube in der Bundesrepublik.
Eine Dokumentation. 48 S., DM 8.

Die freibischöflichen Kirchen
im deutschsprachigen Raum.
Amtsträger und Institutionen. LV, 207 S., DM 72.

Kein Blatt vor dem Mund.
Von der Religions-Freiheit, Ja und Nein zu sagen.
278 S., DM 36.

Rendezvous mit dem Jenseits.
Der moderne Spiritismus/Spiritualismus und die
Neuoffenbarungen. Bericht und Analyse.
176 S., DM 28.

Die Fraternitas Saturni (FS) als Beispiel für einen
arkan-mystogenen Geheimorden des 20.Jahrhunderts.
143 S., DM 36.

Führer und Verführte.
Jugendreligionen und politreligiöse Jugendsekten.
190 S., DM 8,60

Der Weg des Lebens nun ist dieser ...
Apologetik an der Schwelle des 3. Jahrtausends.
140 S., DM 36.

Was können wir tun, wenn ... (deutsch/englisch)
28 S., DM 5.

Gotteskraft aus Menschenhänden.
Die japanischen Ki-Bewegungen. 70 S., DM 18.

Die Lebensgottheit und der Bibelgott.
New Age, Okkultismus, Christenglaube.
86 S., DM 18.

Jesus Christus und/oder San Myung Mun.
Begegnungen zwischen möglichen
Bekenntnisstandpunkten oder status confessionis?
(enthalten in: "Bekennen in der Zeit", DM 12.80)

Hirten im eigenen Auftrag. Sheperding/Discipling.
Bob Weiner's Maranatha & Kip McKean's Boston
Church of Christ. 40 S., DM 5.50

Religion und Dekoration. Freibischöfe, Neo-Orden,
Vagantenpriester. 420 S. (DIN-A-4), DM 200.

Das Mun-Imperium. Beobachtungen, Informationen, Meinungen.
(Findungshilfe Mun-Bewegung) 244 S., DM 36.

Anmerkungen zum Satanismus.
286 S., DM 36.

Findungshilfe Religion 2000.
Apologetisches Lexikon. 286 S., DM 36.
ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR RELIGIONSUND WELTANSCHAUUNGSFRAGEN
Postfach 50 01 07, 80971 München, Fax: 089 / 641 41 52


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