Der Prophet klebt am Golde

Ryuho Okawa und seine Wissenschaft vom Glück

von Rainer Wassner

Die Lichter im Stadion gehen aus. Weißer Rauch entsteigt dem Bühnenboden. Trommelschlag, der Vorhang geht auf. Im Scheinwerferlicht erscheint ein pausbäckiger Mann im dunklen Geschäftsanzug. 50.000 Bewunderer sind in den Tokyo Dome gekommen, um seinen 35. Geburtstag zu feiern. Das Geburtstagskind behauptet, der japanische Messias zu sein, Zugang zu einer neunten Dimension zu besitzen und Offenbarungen von Buddha, Jesus, Konfuzius, Mohammed, dem Propheten Elias und Nostradamus, dem französischen Kryptophilosophen aus dem 16. Jahrhundert, zu empfangen. In welcher Sprache bleibt unklar.

Nachdem Takashi Nakagawa, so sein bürgerlicher Name, am juristischen Staatsexamen an der Universität Tokio gescheitert war, versuchte er sich am Schreibtisch eines großen japanischen Handelshauses. Am 23. März 1981 hatte er den ersten Kontakt mit den Unsterblichen, zu denen auch Wissenschaftler wie Einstein und Newton gehören. 1986 quittierte er den Job, einer Anweisung der japanischen Sonnengöttin Amaterasu folgend und nennt sich seitdem Ryuho Okawa. So steht es jedenfalls in seinen Büchern. Der Lohnarbeit entronnen, begann Okawa Anhänger für seine neue Sekte zu werben, die er "Institut für die Erforschung des menschlichen Glücks", kurz "Wissenschaft vom Glück" (Kofuku no Kagaku), nannte. Gut geplante und organisierte Missionierungskampagnen steigerten die Mitgliederzahl binnen fünf Jahren auf - angeblich - zwei Millionen. Er fügte dem ohnehin boomenden New-Age-Büchermarkt weitere 300 Publikationen und Wortkassetten hinzu, die zu Bestsellern avancierten. Um Vollmitglied seines Instituts zu werden, muß der Proselyt mindestens zehn von ihnen kaufen, lesen und darüber eine Aufnahmeprüfung ablegen.

In seinen Büchern bezeichnet Okawa Japan als die auserwählte Nation, als den Leviathan, der das nahe Weltende als einziger überleben werde. Vorausgesetzt, seine Lehre werde weitergetragen: "Im 21. Jahrhundert wird es keine Feinde mehr für den Leviathan geben. Er wird dem alten Adler (d.h. die USA) die Kehle durchschneiden und den erschöpften roten Bären (die frühere Sowjetunion) und das alte Europa auslachen. Er wird China als Sklave und Korea als Prostituierte nehmen." Passagen wie diese aus den "Weissagungen des Nostradamus" erinnern fatal an die 30er und 40er Jahre, als Japans kaiserliche Armee sich halb Asien auf grausamste Weise unterwarf. Kein Wunder, daß Ausländern das neue Evangelium nicht gepredigt werden soll. Anhand der ins Englische übersetzten Bücher können sie sich trotzdem unterrichten.

Wes Geistes Kind Okawas Organisation ist (die erst im April 1990 vom Erziehungsministerium als Religion anerkannt wurde), bewies im letzten Herbst die Auseinandersetzung mit der Wochenzeitung "Friday" und ihrem Verlag Kodansha. Kaum war in "Friday" zu lesen gewesen, Okawa habe einst einen Psychiater aufgesucht, veranstalteten 1000 empörte Mitglieder eine Protestkundgebung, auf der sie verkündeten, die Presse sei Statthalter des Satans.

Zudem blockierten sie an vier aufeinanderfolgenden Tagen alle 295 Telefon- und 94 Faxanschlüsse des Verlages mit haßerfüllten Anrufen und Faxmitteilungen. Wenig später wurde Schadenersatzklage in Höhe von 25 Millionen Yen (250.000 Mark) erhoben - wegen Diffamierung des Führers. Der Verlag reagierte mit einer Gegenklage, weil der gesamte Geschäftsbetrieb zum Erliegen gekommen war. Die Verfahren sind noch anhängig. Anlaß zur Besorgnis? Nicht wenige winken ab. Die wirkliche Mitgliederzahl der fröhlichen Wissenschaft läge bestenfalls bei 200.000, eher darunter, argumentieren sie. Die Gruppe sei von den Medien hochgespielt worden. Man müsse die übliche Rotation der "Yuppie faithful" in Rechnung stellen: heute dieser Verein, morgen jener. Und vor allem: Okawa werde an den eigenen Prophetien zugrunde gehen, die besagen um die Jahrhundertwende solle das gesamte japanische Volk bekehrt sein. Der offensichtliche Widerspruch zur Realität werde ihn zu Fall bringen.

Okawa muß das nicht stören. Seine "Religion" macht sich bezahlt. 27 Millionen Exemplare seiner Bücher sind verkauft. Letztes Jahr zahlte er die dritthöchste Steuer aller japanischen Schriftsteller. Mit den Mitgliedsbeiträgen und den Spenden summierte sich das zu einem Jahreseinkommen von 45 Millionen Dollar. Die eigene Werbeagentur Dentsu ist japanischen Zeitungen zufolge die größte Anzeigenagentur der Welt.

Durchaus glaubhaft: ganzseitige Anzeigen in 41 Zeitungen und 30 Magazinen, Spots in 500 TV und 200 Radioprogrammen sowie 50.000 Taxiaufkleber verkünden, daß das Universum nach Okawas Predigten beschaffen sei. Okawa tritt neuerdings in goldener Robe auf, eine goldene Krone auf dem Haupt, in der Hand ein goldenes Zepter. Gold war schon immer das Zeichen des Gottes Mammon. Da trifft es sich gut, daß Okawa auch die Inkarnation des Hermes, des altgriechischen Gottes für Handel und Wissenschaft sein will.


Dr. Rainer Waßner, 53,
studierte Soziologie, Ethnologie und Philosophie und lehrt und forscht heute in Hamburg.