Zu den wahren Wurzeln von Scientology

von Helle Meldgaard

Einleitung

Scientology tritt nach außen wie eine Kombination einer christlichen Kirche mit einer multinationalen Firma auf, behauptet, Buddhismus in seiner endgültigen Form zu sein, ist aber vom inneren Gehalt her von Natur aus okkult. Diese tatsächlichen Wurzeln von Scientology werden nicht offengelegt, sondern sind als ein Code gegenwärtig, der erst dechiffriert werden muß.1)

Die Pyramide der Religionen

Scientology hat das Konzept eines pyramidenförmigen Aufbaus der Religionen. Dieser Gedanke ist nicht neu. Viele Bewegungen haben den Anspruch erhoben, die Vollendung oder der Höhepunkt der menschlichen Suche nach Wahrheit zu sein. Im vorigen Jahrhundert fand sich diese Idee in erster Linie in der Lehre der Theosophie. Scientology unterscheidet sich jedoch von dem Konzept der theosophisch-okkulten Bewegungen. Offensichtlich stellen sich Scientologen nicht vor, daß sie Kontakt zu irgendwelchen Meistern einer göttlichen Hierarchie hätten. Der einzige "Meister", auf den sie sich beziehen, ist Hubbard persönlich.

Ihr Pyramidenmodell kommt zum Beispiel in der für die Darstellung der "religiösen" Seite von Scientology geschaffenen Zeitschrift "Advance!" zum Ausdruck und wird bildlich dargestellt in dem Buch "What is Scientology?" S. XVIII - CIX (1978).

In "Advance!" heißt es in der Einleitung zu einer Artikelserie über die Suche des Menschen nach Freiheit im Lauf der Geschichte:

"Die Geschichte der menschlichen Suche nach Freiheit durch Wissen ist die größte Abenteuergeschichte aller Zeiten und die bedeutendste. Diese 'Advance!'-Artikel sind nicht chronologisch geordnet. 'Advance!' bewegt sich ungezwungen und nach Belieben auf der Zeitspur (time track) hinauf und hinab. In einer Ausgabe speist Ihr mit Sokrates, in der nächsten mit Lao-Tse, in einer anderen mit Zoroaster; in wieder anderen Fällen werden Themen wie Gespenster und Wahrsagerei untersucht. Jeder Artikel aber endet in der Gegenwart und zeigt, daß Scientology der Gipfel der höchsten Hoffnungen unseres geistigen Erbes ist." 2)

Alle möglichen (und unmöglichen) Verbindungen und Vorläufer-Traditionen werden in diesem Zusammenhang genannt.

Man sollte nun erwarten, daß die Traditionen und Ideen, die in dem oben erwähnten Selbstverständnis weiterentwickelt worden sein sollen, ausführlich in der scientologischen Literatur behandelt werden, da ja Scientology mit so großer Gewißheit den Anspruch erhebt, die Vollendung all solcher Religionen zu sein. Aber tatsächlich kommen die meisten Themen nur in diesem einen Zusammenhang der Herleitung vor und werden nicht weiter ausgeführt.

Aus den Vorstellungen vom Christentum und Buddhismus, wie sie in Scientology ausgedrückt werden, und die hier nicht weiter ausgeführt werden sollen, sprechen auch keine besonderen und originellen Erkenntnisse über Buddhismus und Christentum. Interessant sind aber die Parallelen zu Auffassungen über Christentum und Buddhismus, wie man sie in okkulten und theosophischen Lehren häufig findet, in Lehren, die ihre Tradition selbst ebenfalls als Fortsetzung der Tradition aller möglicher Weisheitslehren ansehen. Heutzutage sind diese Ansichten Gemeingut in der New-Age-Philosophie.

Gerade bei einer sonst umfangreichen Liste der für das religiöse Selbstverständnis von Scientology angeblich wichtigen Vorläufer-Religionen fällt aber auf, daß Scientology offensichtlich ganz und gar vermeidet, sich auf theosophische und okkulte Grundlagen zu beziehen wie zum Beispiel auf Aleister Crowley. Theosophie und Okkultismus scheinen absolut "out" zu sein!

Der Einfluß des westlichen Okkultismus in der Form Aleister Crowleys

Scientology ist nicht daran gelegen, als eine theosophisch-okkulte Bewegung eingestuft zu werden.

In der langen Liste der historischen Grundlagen von Scientology gibt es nicht den geringsten Hinweis auf irgendeinen direkten okkulten Einfluß. Aber in diesem Zusammenhang ist, "was nicht gesagt wird", ausschlaggebend!

Das Okkulte beschäftigt sich ja mit dem, "was verborgen ist", und ist gekennzeichnet durch eine geheime Einsicht und Wissen über sowohl praktische wie auch theoretische Bedingungen, in die man initiiert werden muß. Natürlich enthüllt man seine Abhängigkeit von dem, was gerade verborgen sein soll, nicht.

"Mein sehr guter Freund": Master Therion

In einer Reihe von Kassetten-Aufnahmen mit dem Namen "The Philadelphia Doctorate Course Lectures" von 1952 kann man Band 18 ("Conditions of Space, Time, Energy") entnehmen:

"Nun könnte er einfach sagen, ich habe Aktion. Ein Zauberer, äh ... die magischen Kulte des 8., 9., 10., 11. Und 12. Jahrhunderts im Mittleren Osten waren faszinierend. Das einzige moderne Werk, das irgend etwas damit zu tun hat, ist stellenweise ein bißchen wild, aber es ist an sich ein faszinierendes Werk, und dieses Werk wurde von Allister (sic!) Crowley geschrieben, dem verstorbenen Allister Crowley, meinem sehr guten Freund. Und äh ... er ... er hat das selbst wunderbar äh ... ein Stück Ästhetik rund um diese magischen Kulte. Äh ... es ist sehr interessant zu lesen, eine Ausgabe eines Buches in die Hand zu bekommen, ziemlich selten, aber man kann es kriegen, 'The Master Therion', T-h-e-r-i-o-n, 'The Master Therion' von Allister Crowley. Er unterschreibt mit 'die Bestie', das Zeichen der Bestie ist sechs sechsundsechzig. Sehr, sehr irgendwie oder so, aber jedenfalls das ... Crowley hat eine Menge von Informationen aus diesen alten magischen Kulten ausgegraben. Und äh ... er ... er, um die Wahrheit zu sagen, handhabt Ursache und Wirkung ganz gut. Ursache und Wirkung wird ... wird nach einem Ritual gehandhabt". 3)

Dieser Text, der sehr enthüllend für Scientology ist, weil er von Hubbards Verbindung mit Crowley handelt, fiel in mindestens zwei Fällen der Zensur zum Opfer, ja man kann sagen, um die Verbindung zwischen Scientology und dem Okkultismus zu verheimlichen, hat Scientology den Text geradezu verfälscht. Die zwei betreffenden Fundstellen sind:

  1. "Advance!" Ausgabe 46, 1977, S. 4 und

  2. "OT News" Nr. 3, Copyright 1983, S. 1. (Meines Wissens habe ich diese Angelegenheit erstmalig veröffentlicht.)

In beiden Fällen lautet der Text jetzt folgendermaßen:

"Die magischen Kulte des 8., 9., 10., 11. Und 12. Jahrhunderts im Mittleren Osten waren faszinierend. (x) Diese alten magischen Kulte, um die Wahrheit zu sagen, handhabten Ursache und Wirkung ganz gut. Ursache und Wirkung wurden nach einem Ritual gehandhabt. 4)

Wenn man diesen Text mit der o.a. Transkription des Bandes vergleicht, sieht man sofort, daß der Teil, in dem Crowleys Name erscheint, sowohl in ,Advance!" als auch in ,OT News" aus dem sonst korrekt zitierten Text herausgenommen worden ist.

Was liegt Scientology an der Fälschung von Texten?

Daß Scientology Hubbards Verbindung zu dem großen Okkultisten Crowley zu verbergen versucht, ist gar keine Neuigkeit. Zu Beginn der siebziger Jahre belästigte Scientology ständig Schriftsteller und Journalisten, die von Hubbards Verbindung zu Crowley sprachen. Viele wurden mit Prozessen überzogen, fast immer mit dem Ergebnis, daß die Betreffenden ihre Behauptungen widerriefen. Darüber hinaus unterzeichneten viele eine "eidesstattliche Erklärung", in der sie sich dafür entschuldigten, Scientology "in den Schmutz gezogen zu haben", indem sie Hubbard mit Crowley in Verbindung brachten.

Heute sind die Beweise für den Zusammenhang von Scientology mit der okkulten theosophischen Tradition und insbesondere mit Crowley so schlüssig, daß man nur schwer versteht, wie Scientology um eine Anerkennung dieser Verbindung herumkommen will. Untersucht man die Wurzeln von Scientology, fällt ins Auge, welche Anstrengungen unternommen werden, die Bewegung als Vollendung von allem Möglichen unter der Sonne erscheinen zu lassen, nur nicht von dem, was die Hauptsache ist, nämlich der okkult-theosophischen Tradition.

Helle Meldgaard

Der vorstehenden Beitrag ist ein stark gekürzter Auszug aus dem Aufsatz von Helle Meldgaard "Scientology's Religious Roots in: studia missionalia, Hrsg. Editrice Pontificia Universita' Gregoriana Rom, vol. 41-1992, ,Religious Sects and Movements", S. 169 - 185. Zu Grunde liegt eine wissenschaftliche Arbeit, die an der theologischen Fakultät der Universität Aarhus, Dänemark, 1991 zur Erlangung des Magistertitels eingereicht wurde und den Titel trägt: "En analyse og kritisk vurdering af Scientology's religi(se forudsętninger og srępręg" ("Eine Analyse und kritische Bewertung der religiösen Wurzeln und Charakteristika von Scientology").


Anmerkungen

1) Für weitere Informationen über Hubbards Leben und die Praktiken und Ziele von Scientology siehe besonders drei Werke: Jon Atack: "A Piece of Blue Sky" (1990), Bent Corydon & L. Ron Hubbard, Jr.: "Messiah or Madman?" (1987) und Russel Miller: "The Barefaced Messiah" (1987).

2) "Advance!" Ausg. 21 S. 5 (1973)

3) Der Text wird zitiert nach dem von Scientology selbst hergestellten Transskript des Bandes, S. 17. Die später weiter verwandten Textteile sind kursiv gesetzt.

4) Ich habe die Stelle, an der die Auslassung vorgenommen wurde, mit (x) markiert.