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BERLINER DIALOG 15, 4-1998 - Epiphanias

Jehovas Zeugen an der Haustür (IV)
Kostenfrei, aber nicht kostenlos
von Thomas Gandow

Frage: "Niemand - auch kein Zeuge Jehovas - muß für die Schriften etwas bezahlen" -
Schön und gut, aber wie werden die Schriften dann finanziert?
Antwort:
Schön, daß niemand - auch kein Zeuge Jehovas - für die Schriften etwas "bezahlen muß".
Aber irgendjemand muß doch dafür aufkommen? Natürlich ist dies so.
Im "Unser Königreichsdienst", September 1991, S. 3-4, heißt es genau in diesem Sinne:
"Daß die Gesellschaft diese Veröffentlichungen kostenfrei zur Verfügung stellt, bedeutet natürlich nicht, daß mit deren Herstellung und Verteilung keine Kosten verbunden sind. ... Wieso kann die Gesellschaft ihre Veröffentlichungen kostenfrei zur Verfügung stellen? Die gesamten Kosten des gottesdienstlichen Werkes der Gesellschaft werden durch die Spenden gedeckt, die für das weltweite Werk eingehen. Diese Unterstützung wird in erster Linie von den ergebenen Dienern Jehovas geleistet."

Zum Hintergrund der "kostenlosen" Literaturabgabe in Deutschland sollte man wissen, daß im Jahre 1990 die WachtturmOrganisation und ihre Druckerei in Selters in der Gefahr stand, die Gemeinnützigkeit zu verlieren und durch die Oberfinanzdirektion und das Finanzamt Limburg steuerlich veranlagt werden sollte. Wohl deshalb werden ungefähr seit dem 1. Juli 1990 in Deutschland keine Preise mehr für die Druckerzeugnisse angegeben. Etwa seitdem schreibt die Wachtturm-Gesellschaft, daß sie alle Druckerzeugnisse (in Deutschland) kostenfrei abgibt.
Aber auch in Deutschland weiß jeder Zeuge Jehova recht genau, was ein "Wachtturm", ein "Erwachet" oder die Bücher vor 1990 gekostet haben, und wird sich nun in seinem Spendenverhalten darauf einstellen. Er braucht dazu kein besonderes Erinnerungsvermögen: Die auch heute weitervertriebene "Umfassende Konkordanz zur Neuen-WeltÜbersetzung der Heiligen Schrift" enthält z.B. auf den letzten Seiten eine Übersicht von JZ-Bibeln, Hilfsmittel zum Bibelstudium und andere Bücher mit den entsprechenden Preisangaben. Danach kostet eine Studienbibel 27,- DM, die Grossdruckausgabe 120,- DM und beispielsweise das Buch "Die Offenbarung ihr großartiger Höhepunkt ist nahe" 8,DM. "Änderung der Kostensätze vorbehalten" steht in dieser Kostenaufstellung. In der Schweiz und in Österreich gibt es übrigens noch regelrechte Preislisten.

Es heißt dazu auch:
"Dort, wo es nach dem Gesetz als kommerziell ausgelegt wird, wenn beim Verbreiten biblischer Literatur ein Betrag genannt wird, überlassen Jehovas Zeugen die Publikationen gern den Personen, die ernsthaftes Interesse zeigen und versprechen, sie zu lesen. Wer etwas spenden will, um das biblische Lehrwerk zu fördern, kann geben, was er möchte. So ist es zum Beispiel in Japan. In der Schweiz wurden bis vor kurzem Spenden für Literatur angenommen, aber nur bis zu einer festgesetzten Summe; wenn Wohnungsinhaer mehr geben wollten, gaben die Zeugen den Differenzbetrag einfach zurück und überließen ihnen zusätzliche Literatur. Iht Wunsch war nicht, Geld zu sammeln, sondern die gute Botschaft von Gottes Königreich zu predigen." (jv 349 21)

Die heutige allgemeine Praxis in den deutschsprachigen Ländern wird wohl am besten beschrieben in der Schweizer Ausgabe von UKD 11/96, wo es heißt:
"Die Kosten der Veröffentlichungen, die wir im Predigtdienst abgeben, werden zum Teil durch die Spenden gedeckt, welche wir selbst oder die Empfänger der Literatur zugunsten des weltweiten Werkes der Gesellschaft geben und die im Königreichssaal eingeworfen werden. ... Es sind Jehovas hingegebene Diener, die in erster Linie diese finanzielle Unterstützung leisten."

Zwar leisten in erster Linie "Jehovas hingegebene Diener" die Zahlungen für die Veröffentlichungen und das "weltweite Predigtwerk", das vornehmlich in Wachtturm- und Literaturverbreitung besteht, aber dann und wann versuchen die Wachtturm-Verkündiger auch, die Besuchten dezent auf die Situation hinzuweisen. In einem Rollenspiel der WTG für eine "Dienstzusammenkunft" wird das gewünschte Vorgehen geschult. Der Wohnungsinhaber in diesem Rollenspiel fragt:
"'Was kostet die Zeitschrift?' Der Verkündiger sagt: 'Unsere Literatur wird kostenfrei angeboten. Wer den Wunsch hat, unser gottesdienstliches Werk durch eine freiwillige Spende zu fördern, kann dies tun.' Er macht eine Pause, um die Worte wirken zu lassen. Der Wohnungsinhaber antwortet einfach: 'Das ist interessant.' Er sagt, er würde die Zeitschrift gern lesen, macht jedoch keinerlei Anstalten, etwas zu spenden. Der Verkündiger gibt ihm die Zeitschrift und fragt, ob er wiederkommen dürfe um sich weiter über das Thema zu unterhalten. Der Wohnungsinhaber erklärt sich einverstanden. Nach der Demonstration fragt der Vorsitzende den Verkündiger, warum er dem Wohnungsinhaber nicht angeboten hat, die Zeitschrift regelmäßig zu bringen. Der Verkündiger hatte zu Recht den Eindruck, daß das Intersse nur gering war und es wohl besser ist, wieder vorzusprechen, um festzustellen, wie groß das Interesse des Wohnungsinhabers wirklich ist, so daß er dann entscheiden kann, ob er eine Zeitschriftenroute einrichtet." (UKD 4/92)

Mein Ratschlag: Niemand ist gezwungen, für die Zeitschriften etwas zu bezahlen. Wir sollten darum auch nicht aus Mitleid für den "Wachturm", für "Erwachet" oder irgend eine Schrift, die uns der Wachtturm-Verkündiger ins Haus bringt, etwas bezahlen oder eine Spende anbieten.
Denn eins ist nach den Aussagen der Wachtturm-Gesellschaft deutlich: Alle "Spenden" sind Spenden für das Gesamtwerk. Man zahlt nicht für eine einzelne Schrift einen Kostenbeitrag, sondern unterstützt mit einer Spende die gesamten, weltweiten Aktivitäten der Sekte. Mit unseren Opfergroschen würden wir auch nicht dem einzelnen Verkündiger einen Gefallen tun und auch nicht sein Taschengeld entlasten, da er ja alle Spendengelder an die Gesamtorganisation weiterleitet.
Außerdem stellt sich in manchen Bundesländern die Frage, ob das so verstandene Geldeinsammeln an der Haustür nicht vielleicht eine nicht-genehmigte Haussammlung für das "weltweite Werk" der Sekte darstellt? Daran sollten wir uns nicht beteiligen - und auch den Wachtturm-Verbreiter nicht in Versuchung bringen, etwas möglicherweise Illegales zu tun.

Im Übrigen: Geben wir eine "Spende", so werden wir damit den Jehovas Zeugen nicht los. Im Gegenteil: Nun muß und wird er versuchen, einen "Zeitschriftentour" einzurichten und uns regelmäßig alle vierzehn Tage aufsuchen.

Nachdruck gestattet bei Quellenhinweis: "Aus BERLINER DIALOG 4-98, (c) 1998 Pfr. Th. Gandow,
Pfarramt für Sekten- und Weltanschauungsfragen der EKiBB, Heimat 27, D-14165 Berlin, Fax 030 / 815 47 96".


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