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BÜCHER & MEDIEN

BERLINER DIALOG 15, 4-1998 - Epiphanias

Pawlows Hund konnte nicht anders
Lehrbuch der Beeinflussung erklärt, wie man sich wehren kann
Rezension von Guntram Thilo

Pawlows Hund konnte nicht anders, er mußte einfach speicheln, wenn das Glöckchen erklang - wir aber können anders, auch wenn ähnliche Mechanismen ins Spiel gebracht werden von Menschen, die uns etwas verkaufen oder zu etwas überreden wollen. Das ist die Botschaft in Robert Cialdinis Lehrbuch "Die Psychologie des Überzeugens".

Voraussetzung ist allerdings, daß wir die Mittel erkennen, die eingesetzt werden, um uns zur Einwilligung zu bewegen, und dabei wieder hilft dies "Lehrbuch". Es enthält ein ausführliches Literaturverzeichnis und am Ende der Kapitel Verständnis- und Vertiefungsfragen sowie Zusammenfassungen, ist aber keine trockene Darbietung von Wissensstoff, wie der Begriff "Lehrbuch" im Untertitel vermuten läßt, denn in den ersten Auflagen war das Buch ein populärwissenschaftliches Sachbuch mit vielen Episoden aus dem täglichen Leben, und dieser Stil ist beibehalten worden und macht das Werk zu angenehmer Lektüre, in der sogar Gegenstrategien vorgestellt werden.
Die Gegenstrategien sind jedoch z.T. unwissenschaftlich, wenn z. B. die "Stimme des Magens" oder die "Stimme aus dem tiefsten Grunde des Herzens" als Kriterium empfohlen werden.
Besser ist da schon der Ratschlag, man solle sich klar machen, daß das Gegenüber bewußt solche Mittel einsetze, um uns gefügig zu machen. Dann entfallen auf einmal die unwiderstehlichen Zwänge, die wir sonst empfinden.
Leider ist es dem Übersetzer an vielen Stellen nicht gelungen, für alle Begriffe deutsche Äquivalente zu finden. So bleibt "compliance" durchweg unübersetzt (das "Willfährigkeit" der Lexika wäre auch wirklich nicht angemessen), warum er aber "konsistent" statt "konsequent" für das englische "consistent" beibehält, bleibt unerfindlich. An anderer Stelle wieder, wo man das Englische unbedingt zum Verständnis braucht, fehlt es. Cialdini berichtet im Zusammenhang mit der Befolgung sinnloser Anordnungen von angeblichen "Autoritäten" von der Anordnung eines Arztes, Ohrentropfen sollten in das "right ear" des Patienten gegeben werden, und "right ear" habe der als "r. ear" abgekürzt, woraufhin die Krankenschwester die Tropfen rektal verabreicht habe ("rear" = Hinterteil). Wenn es schon überhaupt schwer fällt, amerikanische Krankenschwestern für so dumm zu halten, bleibt die ganze Sache vollends unverständlich, wenn man nur liest, der Arzt habe "r. Ohr" geschrieben und die Krankenschwester die Tropfen "rektal" verabreicht.
Auch wenn die Übersetzung auch aus inhaltlichen Gründen nicht immer überzeugt: Das Buch ermöglicht wichtige Einsichten in die Wirkungsweise von Manipulation.
Welcher psychischen Mechanismen bedienen sich nun diejenigen, die uns zu etwas überreden wollen? Es handelt sich immer um automatisierte Verhaltensweisen, die sich im Alltag bewährt haben, ja unerläßlich sind, um innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit oder angesichts des gegebenen Kenntnisstandes Entscheidungen zu treffen, oder gar um solche, die seit Urzeiten zum Überleben notwendig waren.

Wenn Abkürzungen zu Kurzschlüssen werden
Manche dieser automatisierten Verhaltensweisen überraschen kaum, so z. B., daß wir oft ohne Überlegen die Qualität einer Ware nach ihrem Preis beurteilen oder daß Sympathie (Prinzip der Tupperparty) oder Autorität (Doktor- und Professortitel in der Werbung) zu bestimmten Verhaltensweisen veranlassen.
Bei dieser Erkenntnis läßt es Cialdini aber nicht bewenden, er fragt dann weiter nach den Attributen der Autorität oder nach den Eigenschaften, die jemand sympathisch machen.
Cialdini berichtet von wissenschaftlich fundierten Experimenten ebenso wie von Alltagserfahrungen und Ausnahmesituationen. So haben z. B. die Chinesen während des Koreakrieges amerikanische Kriegsgefangene ganz "ohne Zwang" zur Kooperation zu bewegen gewußt, indem sie sich die inneren Zwänge zunutze machten, die dadurch entstehen, daß jeder Mensch bestrebt ist, in Übereinstimmung mit einer einmal getroffenen Entscheidung zu leben, zu dem zu stehen, was man einmal gesagt hat, also konsequent zu sein. Anfängliche, unbedeutende Zugeständnisse können so zu immer größeren Zugeständnissen führen. Das sah dann etwa so aus, daß ein amerikanischer Soldat im Verhör zunächst einmal zugab, auch die USA seien nicht fehlerfrei. Dann sollte er solche Fehler nennen, dann sie aufschreiben, und schließlich konnten seine Äußerungen in die chinesische Propagandamaschinerie eingebaut werden. Wie umfangreich der Wirkungskreis solcher Mechanismen ist, zeigt sich z. B. daran, daß man mit ein und demselben Prinzip so unterschiedliche Phänomene erklären kann wie den häufigen Einsatz von Lachkonserven in Fernsehsendungen, die Selbstmordserie nach der Veröffentlichung von Goethes "Werther", den Massenselbstmord der Anhänger des "People's Temple" in Jonestown, Guyana, sowie das Weiterbestehen und intensivierte Missionieren chiliastischer Gruppen, nachdem ihre Voraussage des Weltuntergangs sich als falsch erwiesen hat.
Das Prinzip der sozialen Bewährtheit liefert die Erklärung: Insbesondere in Situationen, wo wir unsicher sind, schauen wir gern auf andere, uns möglichst ähnliche Menschen und richten unser Verhalten an ihnen aus. Also finden wir, selbst wenn wir die Technik kennen, Sendungen lustiger, über die andere lachen (und wenn es vom Band ist), war Selbstmord auf einmal eine akzeptierte Verhaltensweise, folgten die Anhänger des Reverend Jones dem Beispiel der ersten, die das Giftgebräu tranken.
Und wenn die Wirklichkeit nicht mit der eigenen Vorstellung übereinstimmt, dann muß man nur um so mehr Leute finden, die die eigenen Vorstellungen teilen, also "missionieren", um sich seiner Sache (durch das Übergewicht der sozialen gegenüber der "echten" Realität) weiterhin sicher sein zu können.
Von besonderer Wirksamkeit ist das Prinzip der Gegenseitigkeit (in der Übersetzung heißt es "Reziprozität"), das uns veranlaßt, eine empfangene Wohltat oder Vergünstigung, einen Gefallen, den uns jemand erwiesen hat, durch ähnliches zu vergelten. Erst dieses Prinzip ermöglicht das Zusammenleben der Menschen, seinetwegen kann jemand einen ersten Schritt der Kooperation tun, weil er sicher sein kann, eine Gegenleistung zu erhalten. Nach dem selben Prinzip aber drängt man uns Werbegeschenke auf und erwartet, daß wir uns revanchieren. Auch Hare-Krishna-Jünger haben sich dieses Prinzip der Gegenseitigkeit zunutze gemacht, als sie bei ihren Geldsammlungen Blumen "verschenkten" und damit ihr Sammelergebnis ganz entscheidend verbesserten.

Cialdinis Buch kann uns zu einem besseren Verständnis von uns selbst verhelfen, in Fällen, wo wir uns nach einer Entscheidung verwundert die Augen reiben und uns fragen, was in aller Welt uns geritten hat, uns gerade so und nicht anders zu entscheiden. Es kann uns aber vielleicht auch helfen, solche Kurzschlußentscheidungen zu vermeiden.

Robert B. Cialdini: Die Psychologie des Überzeugens. Ein Lehrbuch für alle, die ihren Mitmenschen und sich selbst auf die Schliche kommen wollen. Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Wengenroth. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, Verlag Hans Huber 1997


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