Siegfried Schaffner,

Pädagoge in Keilhau (1849-67) und Gumperda (1867-77)

Regierungsdirektor a.D. Fritz H. Hennig
Berlin
Siegfried Schaffner entstammte einer alten werrafränkischen Pfarrerfamilie. Sein Vater, Johann Christoph Schaffner, das siebente von neun Kindern, geb. 1793 war seit 1820 Pfarrer in Neustadt am Rennsteig, als Siegfried Schaffner am 25.9.1826 als 2. Kind und 2. Sohn dort geboren wurde. Neustadt war meiningisch und eine ärmliche Gemeinde von Hofarbeitern und Schwammachern, von Waldwiesen und kleinen Kartoffeläckern. Fast zwei Drittel des Jahres war es in Nebel, Regen oder Schnee gehüllt und im Winter oftmals gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten. Leichen mußten zuweilen in einer Schneegrube versenkt werden, ehe ein Weg zum entfernten Friedhof ausgeschaufelt werden konnte. So beschreibt der Chronist Neustadt.

Im Juni 1832 wurde der Pfarrer Schaffner nach Untermaßfeld bei Meiningen versetzt, was von der ganzen Familie als Erlösung empfunden wurde. Untermaßfeld, an der Werra liegend, in einem fruchtbaren Tale, war für sie eine völlig neue Welt. Die Familie erweiterte sich um drei weitere Geschwister. Siegfried genoß den Unterricht der Dorfschule. In die alten Sprachen und das Französische führte ihn sein Vater ein. Die Grundlagen des Klavier- und Orgelspiels lernte er beim Dorfschulmeister, der ihn auch zeitweilig Schule halten ließ. Der Wirkungskreis seines Vaters war in Untermaßfeld umfangreicher geworden, weil dazu auch die geistliche Versorgung der dort befindlichen Strafanstalt gehörte. 1840 warf ihn eine Erkältung auf das Krankenlager, verbunden mit heftigen Blutstürzen. Nach kurzer Genesung erlitt er einen Rückfall und verstarb am 17. Juni 1840, 44 Jahre alt. Siegfried war knapp 14 Jahre alt. Da die Pension, die seine Mutter erhielt, sehr ärmlich war, mußte die Familie aufgelöst werden. Die Mutter nahm eine Stellung auf einem Gut bei Coburg als Haushälterin an. Für Siegfried wurde bestimmt, daß er Pfarrer wird.

Dazu trat er in das Realgymnasium zu Meiningen ein, wohnte in einem unbeheizbaren Dachstübchen beim Superintendenten und hatte den Tisch in sieben verschiedenen Häusern. Nach Überwindung der Anfänge der Mathematik hatte er darin solchen Erfolg, daß er Nachhilfestunden geben konnte und sie als Lebensberuf wählte. Eine Stellung als Ingenieur schwebte ihm vor. 1846 bestand er die Reifeprüfung mit Auszeichnung.

Für sein Studium hatte er die polytechnische Hochschule zu Wien gewählt. Mit einer "hübschen" Summe, die sein Schuldirektor gesammelt hatte, und einem herzoglichen Geschenk machte er sich auf den Weg, mit dem Postwagen nach Regensburg, mit dem Dampfer nach Nußdorf bei Wien und mit dem Omnibus zum Stephansplatz in Wien. Quartier bezog er bei seinem Freund Zetzsche, der das Zimmer mit ihm teilte. Er begann das Studium, das sich auf höhere Mathematik, Physik, Geometrie, Mechanik, Maschinenlehre, Hoch-, Wasser- und Straßenbau erstreckte. Daneben gründete er mit Landsleuten einen Gesangverein "Thuringia" und gab Privatstunden.

Im heißen Hungerjahr 1847 nahm er an praktischen Übungen der Bodenvermessung teil und leitete eine der 8 Abteilungen mit 40 Teilnehmern. Nach Abschluß der Arbeiten erkrankte er schwer an Typhus, wovon er erst nach 11 Wochen genas. Den Aufenthalt im Spital bei den "barmherzigen Schwestern" benutzte er, sich Kenntnisse in der Heilkunst anzueignen. Die Mißernte des Jahres 1847 brachte eine große Teuerung und damit allgemeine wirtschaftliche Schwierigkeiten, auch für Siegfried Schaffner, mit Mittagessen in der Garküche. 1848 wurde dann das für das alte Österreich verhängnisvolle Jahr. Schaffner schloß sich der Freiheitsbewegung an und nahm an den Kämpfen in Wien teil. Am 13. März 1848 erlitt er einen Kolbenschlag über den Schädel.

Nach Gründung der Bürgerwehr schloß er sich dieser an und stellte als Führer einer Patrouille gegen zuchtloses Gesindel in der Vorstadt Mariahilf die Ruhe wieder her. Er verhinderte auch die Zerstörung der Villa Metternichs. Nach einem schwierigen Erkundungsgang wurde er zum Hauptmann ernannt. Acht Wochen nach Beginn der Unruhen nahm er seinen Abschied und fand bei Rückkehr sein Studentenstübchen völlig ausgeplündert vor. Durch einen glücklichen Zufall wurde er Erzieher im Hause des Freiherrn von Borsch auf Schloß Pöchlarn an der Donau. Im November 1848 kehrte er mit der Familie in das inzwischen beruhigte Wien zurück. Ende Januar 1849 rettete er beim Eisgang auf der Donau dem württembergischen Gesandten Graf L. das Leben und erlitt infolge Unterkühlung ein fast tödliches Nervenfieber. Knapp genesen, beschloß er, nach Hause zurückzukehren. Ende Februar fuhr er in der ungeheizten, nur mit Ledervorhängen versehenen dritten Klasse nach Prag, von da, von Frost und Fieber geschüttelt, im Wagen über das Erzgebirge nach Dresden, wo er den älteren Bruder Alfred, danach nach Eisenach, wo er den jüngeren Bruder Hermann begrüßte. Beide starben kurze Zeit später. Über Coburg erreichte er die Heimat seiner Mutter.

Nachdem er die Nachwehen der Krankheit und der winterlichen Reise überstanden hatte, bewarb er sich um Aufnahme in den meiningischen Schuldienst. Aber der Herzog ließ ihm sagen, daß der Wiener Revolutionär auf eine Anstellung nicht zu rechnen habe.

Über seinen weiteren Lebensweg berichtet Heinrich Bergner, Verfasser der Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der Gumperdaer Anstalt 1917 folgendermaßen:

"Da bot sich ihm unvermutet schnell eine Stelle als Lehrer der Mathematik und Naturwissenschaften in der Erziehungsanstalt Keilhau bei Rudolstadt, und schon Ostern 1849 trat er in den neuen Wirkungskreis ein, der ihm so wohlgefiehl, daß er ihm 18 Jahre (bis 1867) treu blieb. Das Glück führte ihm nämlich auch sogleich die treue Lebensgefährtin zu, Elise Fröbel, eine Nichte von Friedrich Fröbel, der 1817 die Anstalt gegründet hatte. Mit diesem schönen und klugen Mädchen vermählte er sich am 27. Dezember 1850 und bezog das sogenannte "untere Haus". Drei Kinder wuchsen hier zur Freude der Eltern auf, Anna, geb. am 30. April 1852, Siegfried, geb. 7. Februar 1854 und Alfred, geb. 30. April 1857.

Als Lehrer wußte sich Schaffner trotz seiner Jugend sehr schnell seine Stellung zu schaffen. Im Unterricht fesselte er die Schüler durch seinen klaren, begeisternden Vortrag, außerhalb desselben durch die liebenswürdige und hingebende Art, womit er sich an den Turn- und Schwimmübungen und den Knabenspielen im Freien beteiligte. In den Herbstferien zog er mit größeren oder kleineren Scharen hinaus zu herrlichen Fußreisen und lernte selbst dabei die schönsten Teile Deutschlands und der Schweiz mit ihren besonderen Reizen und Heimlichkeiten kennen. An den langen Winterabenden versammelte er abends gern den ganzen Kreis um sich und bannte die lauschenden Hörer durch seine ausgezeichnete Erzählergabe.

Bald berichtete er von seinem eigenen bewegten Leben, bald trug er Scotts und Coopers Erzählungen vor und konnte sich daran freuen, daß die Knaben die Ritter- und Indianergeschichten in ihren Spielen wieder lebendig machten. Den Bauern war er mit seinen ärztlichen und landwirtschaftlichen Kenntnissen hilfreich, und noch im letzten Jahre (1867) gründete er mit großen Hoffnungen im Pfarrdorf Eichfeld eine Sonntagsschule. Diese reiche und vielseitige Tätigkeit bewahrte ihn davor, als Schulmeister zu vertrocknen, und doch fand er noch Zeit und Kraft, sich als Gelehrter in seiner Fachwissenschaft weiter zu bilden. Im Jahre 1861 erwarb er vor der Fakultät in Jena den philosophischen Doktorgrad und noch im ersten Gumperdaer Programm von 1876 veröffentlichte er eine Kurvenberechnung, welche tiefsinnig durchdacht und mit glänzendem Scharfsinn durchgeführt ist.

Inzwischen war jedoch ihm selbst seine Stellung in Keilhau unhaltbar geworden. Bei der vornehmen Zurückhaltung, womit er sich darüber aussprach, können wir die Gründe nicht mehr deutlich bezeichnen, die ihn forttrieben. Aber soviel ist klar, daß er sich mit dem damaligen Leiter in Keilhau, Johannes Arnold Barop, wegen der Beseitigung von Mißständen in unheilbarem Zwiespalt befand und unter mehreren Zukunftsaussichten auch den Plan einer eigenen Gründung erwägen konnte."

Diesen Plan konnte er in Gumperda bei Kahla verwirklichen, einem Dorf im Reinstädter Grund, in einem westlichen Seitental des Saaletales gelegen. Dort fand er ein fast unbewohntes Schloß, das er mieten und zwei Jahre später kaufen konnte. Am 28. August 1867 zog die Familie in Gumperda ein. Am 9. Juli 1867 hatte er schon vom Herzoglichen Ministerium in Altenburg -Gumperda gehörte zum Westkreis des Herzogtums Sachsen-Altenburg- die Genehmigung erhalten, eine "Lehr- und Erziehungsanstalt für Knaben" zu errichten. Die Aufgabe seiner Schule sah der Gründer folgendermaßen:

"Ihr Zweck ist: Allseitige, naturgemäße Entwicklung und Ausbildung des Menschen, damit derselbe innerlich und äußerlich erstarke, schon frühzeitig seine Bestimmung als Mensch kennen und würdigen lerne und einst als gutes, brauchbares Glied der Gesellschaft erscheine. Die Mittel zur Erreichung dieses Zweckes sind: Eingehen in das eigentliche Wesen des Kindes und Pflege desselben durch Religion, Sittlichkeit, Beispiel, Kunst, Natur und Wissenschaft."

Mit fünf Zöglingen wurde die Anstalt am 03.10.1867 eröffnet. Zu Beginn des Sommersemesters 1868 waren es 30, Ostern 1871 bereits 85 Schüler und acht Erzieher. 1870 wurde anstelle einer Scheune das "Mittelhaus" gebaut für Lehrerwohnungen und Schlafsäle. Zur körperlichen Ertüchtigung wurde ein Turnplatz, ausgerüstet mit Reck und Barren, Schwebebaum und Voltigierpferd, eingerichtet.Im Frühjahr 1868, schon ein halbes Jahr nach Gründung, ließ Schaffner einen Badeteich anlegen, eine Sensation, die den ganzen Sommer über Scharen von Neugierigen anlockte. Später wurden die Lehmdämme des Teichs und der Boden mit Kalksteinplatten belegt. 1872 kaufte Schaffner das nahegelegene "Wäldchen", um den Schülern nach dem Vorbild Keilhaus die Anlage von Buden zu ermöglichen.

Am 13. Mai 1875 wurde der untere Teil des Wäldchens als Friedhof der Familie Schaffner geweiht. In den ersten Jahren waren für mehr als 100 Insassen der Anstalt die Klassenzimmer, die Schlafräume, der Speisesaal, Küche und Keller auszustatten, Geschirr, Heizung, Licht und Wasser zu beschaffen und für die Lieferung der Lebensmittel zu sorgen und weiterhin die notwendigen Lehrmittel bereitzustellen. Die Klassenzimmer waren anfangs mit Tischen und Schemeln ausgerüstet. Für Erweiterungen kaufte Schaffner 1877 ein altes Wirtschaftsgebäude gegenüber dem Schloß, um dort das "Neue Haus" zu errichten.

Der "innere Betrieb" der Anstalt lief nach einer festgefügten Ordnung. Zwischen den Schülern und dem Leiter und seiner Familie wurde das vertrauliche "Du" gebraucht.

Der Unterrichtsplan war auf dem Fachsystem aufgebaut, weil das bei Gründung der Schule dem Wesen einer Privatschule am besten entsprach. 1877 ging man allerdings aus mancherlei Gründen auf das Klassensystem über, insbesondere wegen des Befähigungsnachweises zum Einjährigendienst. 1871 hatte Schaffner die Berechtigung zu dessen Anstellung erworben. "Schaffner war sein erster und bester Lehre", sagt der Chronist, ansonsten gab es anfangs einen beständigen Lehrerwechsel, bis in den siebziger Jahren auch hier Stetigkeit Platz ergriff. Die Schülerzahl war auf über 100 angestiegen.

Am 19. Juli 1877 erlitt Schaffner auf dem Weg zum Badeteich einen Blutsturz. Trotzdem nahm er noch einige Schüler an den Schwimmgurt und erlitt einen weiteren Blutsturz. Sie wiederholten sich im Laufe des Nachmittags. Am 20. Juli 1877 in den frühen Morgenstunden verstarb er, knapp 51 Jahre alt, nach 10 Jahren Aufbau in Gumperda. Die Leitung der Anstalt übernahm sein Sohn Siegfried, 23 und 1/2 Jahr alt. Er hatte im Sommer 1877 das Staatsexamen in Leipzig bestanden und gerade in Gumperda einige griechische und lateinische Stunden übernommen. Und nun fiel ihm die Verantwortung und die Arbeitslast für die gesamte Anstalt zu, deren Wahlspruch lautete: "Nach der Wahren und dem Guten laßt uns stets gemeinsam streben!"