Statt Stein und Eisen oder "Ein lebendiges Denkmal"

von Matthias Brodbeck

Den Menschen als Gliedganzes in seiner Ganzheit und als Glied eines größeren Ganzen zu sehen, dies ist ein wesentlicher Teil Fröbelschen Menschenbildes. Auch der Mensch existierte für ihn zugleich in der seine sphärephilosophische Weltsicht ausmachenden Einheit und Mannigfaltigkeit.

Aus der Mannigfaltigkeit dessen, was den Menschen ausmacht auch nur einen Teil herauszulösen, erscheint so im Fröbelschen Sinne unvorstellbar.

Wie ist es aber, wenn sich die Menschen Denkmäler schaffen? Kennen wir nicht die mehr oder weniger vom Zahn der Zeit benagten Figuren aus Stein, Eisen oder Bronze, auf Sockeln stehend, unerreichbar scheinend? Wie unerreichbar vor allem für Kinder. Schwingt da nicht oft eher die Aufforderung "Sei ehrfürchtig!" als die "Denk mal!"?

Woran liegt dies aber? Vielleicht auch daran, daß zumindest den Menschen, welche Leben und Wirken der so dargestellten nicht oder nur wenig kennen, eigentlich nur ein Name und eine kalte materielle Hülle gegenübertritt?

So oder ähnlich könnten vielleicht auch Fröbels Gedanken gewesen sein, als er 1817 auf einer Reise nach Berlin erfuhr, daß man Luther zum 300. Jubiläum der Reformation ein Denkmal von Eisen setzen wollte. Dieser Gedanke gefiel ihm nicht und er faßte nach seiner Rückfahrt den Gedanken eines "lebendigen Denkmals". (vgl. König,H. 1983 )

Fröbel hatte Kenntnis davon erhalten, daß in dem Ort, aus dem die Vorfahren Luthers stammten, in Möhra im heutigen Wartburgkreis, Nachfahren der Familie Luther in tiefster Armut ihr Dasein fristen mußten. Zwei von ihnen holte er nach Keilhau. Es handelte sich um Georg und Johann Ernst Luther, damals 18 und 11 Jahre alt.

Fröbel selbst äußerte dazu, es könne "... der letzte Zweck doch nur sein ... sie in einen Zustand zu versetzen, der es ihnen möglich machte, ihren Nachkommen diejenige Bildung zu geben, durch welche es nachmals den geistig begabteren leicht würde, sich fortzubilden und aus den engen, ärmlichen Grenzen des Hirten- und Tagelöhnerlebens herauszustreben." (Fröbel,F. 1817)

Die Dokumente über die beiden Luthers aus der Keilhauer Zeit sind nicht allzu zahlreich. In Möhra ist als Dokument jener Zeit ein Brief zu finden, den Fröbel am 11.Mai 1818 an den dortigen Pfarrer Arnold schrieb und in dem er sich lobend über die Entwicklungsfortschritte von Georg und Ernst äußert sowie das große Interesse hervorhebt, welches der "Verein für ein lebendiges Denkmal Dr. Martin Luthers" gefunden hat.

Über Georg Luther berichtet später Christian Zeh, der im Zusammenhang mit den nach dem Treffen der deutschen Burschenschaften 1817 auf der Wartburg einsetzenden "Demagogenverfolgungen" in fürstlicher Mission die Keilhauer Anstalt zu überwachen hatte: "Zöglinge waren bei meinem letzten Besuche 50, von denen Georg Luther auf die Universität abgegangen ist, um Theologie zu studieren." (Bericht über ... 1825, S.779)

Ernst blieb bis 1825 in der Keilhauer Anstalt und hielt seinem Lehrer bis zu dessen Tode die Treue. Aus Dankbarkeit fertigte er den von Middendorff entworfenen ersten Grabstein Fröbels, der die Spielgaben Kugel, Walze und Würfel symbolisiert. Dieser Stein steht heute unweit des Marienthaler Schlößchens, dem Ort an dem Fröbel 1850 die erste Kindergärtnerinnenschule der Welt gegründet hatte und wo sich am 21. Juni 1852 sein Leben vollendete.

Der Gedanke, großen Menschen lebendige Denkmäler zu schaffen, durchzog das gesamte Leben Fröbels. Mehr als Name und steinerne Hülle sollten sie sein, sie sollten den lebenden Menschen von Nutzen sein. Deshalb verwundert es nicht, daß die Gründung des Ällgemeinen deutschen Kindergartens" am 28. Juni 1840 im Ratskeller zu Blankenburg/Thür. dem 400. Jubiläum der Erfindung des Buchdruckes durch GUTENBERG gewidmet war.

Der Lutherstammort Möhra sollte, was den Gedanken der Schaffung lebendiger Denkmäler betraf, im Leben Fröbels noch einmal eine Rolle spielen. 1846 erschienen in verschiedenen Zeitungen Beiträge, die zur Unterstützung der Idee aufriefen, in Möhra ein Denkmal für Martin Luther zu errichten. Im "Thüringer Volksfreund" vom 24. Februar 1846 finden sich z.B. folgende Zeilen:

"Wir erbitten Beiträge zu diesem Denkmal, welches, wenn die bis zu einem gewissen Zeitraum angesammelten Mittel irgend ausreichen, eine Lutherbildsäule von Erz in künstlerischer Vollendung werden soll." Unter den Unterzeichnenden findet man " ... Ludw. Bechstein, Hofrath und Bibliothekar ...".

In einer der Versammlungen des Komitees zur Schaffung des Denkmals für Martin Luther brachte Fröbel folgenden Vorschlag ein:

" ... ein lebendiges Denkmal, "Luthers Kindergarten" - einen Musterkindergarten in der Nähe des Standbildes zu begründen ... Dies wäre der rechte, lebensvolle Magnet, welcher zur Beachtung des an sich toten, starren Standbildes nach Möhra von Nähe und Ferne zöge."

Vorerst mußte dieser Plan unerfüllt bleiben, denn man " ... konnte von Seiten des Komitees solche Absicht nur gut heißen, aber, vorläufig nur den nächsten Zweck im Auge, keinerlei Geldmittel dazu in Aussicht stellen." (Müller, A.W. 1862, S.152f.)

Nach dem Tode Fröbels gab es eine Reihe von Versuchen, ihm selbst ein lebendiges Denkmal zu setzen. Da gab es den Vorschlag Diesterwegs, eine Goethestiftung nach Fröbelschen Grundsätzen und Ideen zu gestalten. Da gab es 1924/25 ein Projekt für ein Fröbelhaus in Bad Liebenstein, an dem maßgeblich auch der Begründer der Bauhaus-Bewegung W. Gropius beteiligt war.

Mit dem Kindergarten hat sich Fröbel sein "lebendiges Denkmal" selbst geschaffen, welches "tote, starre Standbilder" entbehrlich macht.