Fünf Mark anpusten und dann in den Slip

Kaizen - Mit Millionenversprechen locken dubiose Anlageberater
geldhungrige Kunden in finanzielle Abenteuer

Berliner Zeitung vom 06.01.1997, Seite 3
Frank Nordhausen
  1. Sex, Geld und Magie
  2. Nach dem großen Knall
  3. Raffiniert konstruiert

Sie klatschen immer lauter und trampeln im Rhythmus der Musik. "Wahnsinn", ruft Thomas Gretz ein großer Blonder, Anfang Vierzig. "Wir können Millionen von Menschen reich machen!" Etwa hundert Leute, Fleischermeister, Anwälte und Studenten, sind in ein Hotel im Spreewald gepilgert, um mehr darüber zu erfahren. Die Teilnehmer müssen einen neuen Fünfmarkschein anpusten und in ihren Slip stecken. "Und jetzt greift alle an euren Hundert-Millionen-Dollar-Punkt", fordert Gretz. Das soll das Geld zum Fließen bringen, unermeßlichen Reichtum für jeden. Da hält es keinen mehr: Die Leute stehen auf, klopfen auf ihre Stühle und kreischen. Wie im Spreewald treffen sich zur Zeit immer wieder hunderte von Interessenten besonders in Berlin und Umgebung zu Kursen wie "Fit for Cash - fit for Sex." Sie lockt das Versprechen, schon zur Jahrtausendwende mehrfacher Millionär zu sein. Wie Mareike Scheidat aus Berlin. Die Ärztin erfuhr von einer Mitarbeiterin, daß es da eine sehr interessante Anlagemöglichkeit gebe. Sie war zwar mißtrauisch, aber auch neugierig. Auf einem lrifor2nationsalend stellte Thomas Gretz ihr und anderen Interessenten etwas "ganz Neues, Tolles" vor: ein Unternehmen mit "ungeheuren Renditen" namens Kaizen. Wer jetzt einsteige, könne bald mit einer Dividende von mindestens 50.000 Mark rechnen. Noch seien einige der begehrten Anteilscheine zu haben. "Man hat das mit Coca-Cola verglichen," berichtet Mareike Scheidat. "Wenn man da vor 100 Jahren eine Aktie gekauft hätte, könnte man jetzt gut davon leben."

Sex, Geld und Magie

Der Name Kaizen ist japanisch, bedeutet Verbesserung und bezeichnet eine seriöse Managementmethode. Damit hat die Kaizen-Bewegung des, Thomas Gretz mit Briefkastensitz in Liechtenstein freilich nichts zu tun. Für den Eintritt zahlen die Anleger 7.500 Mark - dafür dürfen sie sich dann "Founder" nennen und sind an der Kaizen Academy AG oder ihrer Tochter Kaizen Development AG beteiligt. Für jedes Land der Welt so die Idee, werden je 200 Anteilscheine ausgegeben. Acht Länder sind bereits "gestartet". Ein Deutscher kann auch eine italienische "Aktie" erwerben; die Scheine berechtigen zur Teilnahme an Kaizen-Seminaren über Sex, Geld und Magie und zum Bezug einer Dividende. Die 7.500 Mark Einlage, so hieß es, sollten sich im Devisenhandel vermehren. "Das Versprechen war: reich werden, ohne etwas dafür zu tun", resümiert Mareike Scheidat. Sie fragte zwar nach, ob es sich um ein illegales Schneeballsystem handelte. Aber Gretz erwiderte: "Damit haben wir nichts zu tun." Trotz ihrer Bedenken stieg sie ein. Die Hoffnung auf leicht verdientes Geld ist manchen bereits teuer zu stehen gekommen.

Schon haben sich einige Founder für den Anteilschein und weitere Kosten verschuldet und sind jetzt darauf angewiesen, wie in anderen Kettenspielen neue Mitglieder zu rekrutieren - Für sechs geworbene Founder gibt es 7.000 Mark. Doch sie werden offenbar nicht nur finanziell abhängig. Die Berliner Sektenbeauftragte Anne Rühle mußte sich schon mit Kaizen befassen. Sie warnt, das System könne auch zu "psychischer Abhängigkeit" führen. In den Seminaren ist viel von Aura, Mentalebene und Spiritualität die Rede. Die meisten Teilnehmer aber ahnen nicht, daß die Kaizen-Führer in ihren Kursen Psychotechniken wie das umstrittene Neuro-Linguistische-Programmieren (NLP) einsetzen, um die Anhänger auf ihre Ziele zu polen. Nach dem Motto: Alleine bist du nichts, sondern nur mit der Gruppe. Die eigentliche Aufgabe der Gruppe formulierte Kaizen-Boß Gretz im Spreewald so: "In den nächsten Jahren bricht das internationale Geldsystem zusammen - und wißt ihr, wer dann am meisten Geld verdient? Wir sind drin." Dann beginne das "Zeitalter des Wassermanns", - und nur Kaizen werde überleben. Ihre Theorie beziehen Gretz und seine Kompagnons auch aus dem Buch "Geheimgesellschaften und Ihre Macht im 20. Jahrhundert", das sie in den Seminaren empfehlen. Dieses Buch wurde im Juni 1996 wegen antisemitischer Inhalte bundesweit beschlagnahmt und verboten. Es vertritt die These, die Juden seien schuld am Zweiten Weltkrieg und planten erneut eine riesige Weltverschwörung.

Nach dem großen Knall

Mareike Scheidat und andere Zuhörer erinnern sich wie Gretz ihnen die Zukunft ausmalte: "Deutschland wird Europa beherrschen. Das gab es schon einmal - und damals gab es hier einen hochspirituellen Mann. Aber er kam zu früh". Gemeint war offensichtlich Adolf Hitler. Gretz habe dann gesagt: "Jetzt stehen die Zeichen günstiger. Und den kommenden Mann haben wir auch schon: Er heißt Alain Porcedda." Der Luxemburger Porcedda steuert die Kaizen-Aktivitäten in Berlin; er wird als "rücksichtsloser Machtmensch" beschrieben. Um die Welt nach dem großen Knall zu retten, wollen Porcedda und Gretz den Einfluß von Kaizen zuvor mit Devisenspekulationen sichern. Das Instrument dafür befindet sich in Rapperswil in der Schweiz und heißt Disque d'or AG - eine Brokerfirma mit zweifelhaftem Ruf. In dieses Unternehmen soll das Geld der Kaizen-Founder geschaufelt werden. Wohin die Millionen dann wirklich fließen, kann kein Founder überschauen. Die Hintermänner bleiben im Halbdunkel, weil die Besitzverhältnisse der diversen Kaizen-AGs verschleiert werden. Aber nicht alles läßt sich verbergen. Der deutsche Arzt Thomas Gretz gilt als Erfinder und Kopf von Kaizen. Er verbindet seit Jahren äußerst geschäftstüchtig Esoterik und Profit. Ihm gehört die Firma Kosmo Tech AG aus Safnern (Schweiz), die den Vertrieb der Anteilscheine und Seminare leitet. Zahlreiche andere Firmen wie Vita-Lex in Panama (Geschäftsführer: Gretz) sind in das Kaizen-System eingebunden. Die wichtigste ist die Disque d'or AG, die das Geld "Interbankenhandel" anlegen soll. Der renommierte Wirtschaftsdienst Gerlach-Report vergleicht die Verschachtelte Kaizen-Struktur inzwischen mit dem betrügerischen European Kings Club (EKC), deren Führer kürzlich zu Haftstrafen zwischen vier und sieben Jahren verurteilt wurden. Gretz lebt bei Biel in der Schweiz und leitet dort eine "Kosmologen-Akademie". Daher handelt es sich um einen Strukturvertrieb, bei dem Leute geworben, Seminare und Bücher verkauft werden. Gretz war zudem mit verschiedenen anderen Strukturvertrieben verbunden; seine Psychomethoden hat er offenbar 1984 bei bep (Bewußtseinserweiterungsprogramm) gelernt, einem Schneeballsystem, gegen das 1986 ein Urteil wegen Betrugs erging. Fast alles, was Kaizen auszeichnet, war dort schon vorhanden: Eine undurchschaubare Firmenstruktur, Anteilscheine, Esoterik-Seminare. Die Werbesprüche von bep, der Kosmologen-Akademie und Kaizen sind teilweise identisch. Im Frühjahr 1996 tat sich Gretz mit dem Verkaufsprofi Alain Porcedda zusammen, der eine lange Vergangenheit am grauen Kapitalmarkt besitzt. Der 43jährige "kommende Mann" ist Verbraucherschützern als Vermittler von Time-Sharing- Geschäften mit Ferienwohnungen bekannt. Gretz und Porcedda kannten sich aus gemeinsamen Zeiten beim Strukturvertrieb Fun World aus der Schweiz. Für Fun World verkaufte Porcedda die "Waschkarte", ein teures Stück Plastik, das angeblich 90 Prozent Waschmittel einspart, in Wahrheit aber völlig nutzlos ist. Offenburg, 7.September 1996. In der Messehalle sitzen 1300 Kaizen-Founder aus ganz Europa. Sie wollen den Kick-Off erleben, das Signal zum Start des Systems. Auch Mareike Scheidat wartet auf den Moment, wo erstmals Dividende gezahlt wird. Doch zunächst quält sich eine billige Imitation von Michael Jackson über die Bühne; dann erst werden unter großem Tamtam 16 Leute nach vorn gebeten. "Die haben 7.000 Mark Provision gekriegt, weil sie jeweils sechs Leute geworben hatten", berichtet Mareike Scheidat, "der Reibach wurde wie immer geschickt verpackt.

Über zehn Millionen Mark haben die Founder bereits eingezahlt. Weil ihnen das offenbar nicht reicht, bieten die Kaizen-Bosse ständig neue Anlageformen an. In den nächsten sechs Monaten sollen 22 Länder neu erschlossen werden; pro Land werden wieder 200 Anteilscheine ausgegeben. Gehen diese Pläne auf, könnten mehr als dreißig Millionen Mark in die Kaizen-Kasse fließen. Seit einiger Zeit versuchen Gretz und Porcedda auch, den Foundern zahlreiche Strukturvertriebsprodukte anzudrehen. Da taucht die Waschkarte wieder auf oder das Unternehmen United World aus dem Gretz-Wohnort Biel. Diese Firma verspricht ihren Kunden für rund hundert Mark 3.000 Quadratmeter Regenwald in Mittelamerika zu schützen; zugleich wird eine Krankenversicherung mit dem angeblich "weltweit besten Preis/Leistungsverhältnis" angeboten - aber normale Zahnbehandlung ist nicht inbegriffen. Um all diese Produkte zu vertreiben, wurden viele gedrängt, hauptberuflich für Kaizen zu schuften. "Die Leute können nicht mehr klar denken, sondern haben nur noch die Dollarscheine auf der Brille", erläutert die Aussteigerin Mareike Scheidat. Sie glaubt, daß die Kaizen-Seminare wie eine "Gehirnwäsche" wirken und abhängig machen. Denn wer einsteigt, gerät wie bei einer Sekte in einen Streß, der keine Zeit mehr zum Luftholen läßt: ständig Seminare, Übungen, Verkaufstraining. Gleichzeitig solle man allen alles von sich erzählen und liefert sich damit total aus. Es seien sogar Keile zwischen Lebenspartner getrieben worden, wenn diese Kaizen kritisierten. "Sie haben versucht, meine Partnerin zu beeinflussen, sich notfalls von mir zu trennen", erzählt der ehemalige Founder Thomas S. aus Jena - für ihn ein Grund Kaizen zu verlassen. Eine Frau aus Berlin arbeitete fünf Monate nur für Kaizen, erhielt in der ganzen Zeit keinen Pfennig und sitzt heute auf 20.OOO Mark Schulden. Als sie zu viele kritische Fragen stellte, wurde sie von heute auf morgen ausgeschlossen. Alain Porcedda bezeichnete sie sogar als Hexe. In ihrem Tagebuch steht: "Ich bin die Inkarnation des Bösen, der ewige Judas. Wenn ich nicht selbst die Welt von mir befreie, werden es andere tun." Einige Zeit dachte sie ernsthaft an Selbstmord, bevor sie sich entschloß, Anzeige zu erstatten.

Raffiniert konstruiert

Im November 1996 berichtete das Sat-1-Magazin "Akte96" erstmals über die Kaizen-Sekte. Anschließend hätten zahlreiche Founder ihr Geld zurückgefordert, erzählt der Berliner "Akte"-Redakteur Peter Huth. Inzwischen haben weitere Founder Strafanzeige wegen Betrugs gestellt. Aber das System ist so raffiniert konstruiert, daß die Fahnder in Deutschland und der Schweiz in Schwierigkeiten geraten. "Wir müssen nämlich nachweisen, daß es sich um ein verbotenes Schneeballsystem handelt", sagt Kriminalrat Michael Schutz vom Berliner LKA. Schneeballsysteme funktionieren nach dem Motto: Hoffnung ohne Chance. Kassieren kann ein Spieler nur durch Anwerben neuer Mitglieder - dafür erhält er Provision. Doch bei Kaizen sind im Gegensatz zu "normalen" Kettenspielen die Anteilscheine offiziell limitiert, und es gibt einen Gegenwert in Form von Seminaren. Daher blieb auch eine Anzeige von Mareike Scheidat bisher wirkungslos. Thomas Gretz war für die Berliner Zeitung nicht erreichbar, der Zürcher "Sonntagszeitung" sagte er aber: "Kaizen ist keine Sekte. Die Firmen bieten Kurse an. Das ist alles." Doch als die Kaizen-Chefs am 16. Dezember wie üblich Neulinge in Berlin ködern wollten, platzte ein Gerichtsbote in die Versammlung. Er überreichte Alain Porcedda eine einstweilige Verfügung. Das renommierte "echte" Kaizen Institute mit Sitz in Frankfurt am Main hatte gegen den Doppelgänger geklagt. Jetzt dürfen Gretz und Porcedda weder den Namen noch das Zeichen Kaizen weiter benutzen. tun sie es trotzdem, droht ihnen ein Ordnungsgeld bis zu 500.000 Mark. Vier Wochen zuvor stieg Mareike Scheidat aus, nachdem sie den Eindruck gewonnen hatte, daß Kaizen "nur Abzocke und Betrug" sei. Sie tauchte in einem Seminar auf, forderte ihre 7.500 Mark zurück und rief: "Wenn ich nicht sofort mein Geld bekomme, packe ich aus." Da erschien Alain Porcedda, zückte seine Brieftasche und zählte ihr die Tausender bar auf die Hand.