Juristische Aspekte des Themas Jugendsekten

Ausschnitt aus: Sektenreport. Analysen, Orginalmaterial, Hilfestellung. 2. akt. u. erw. Aufl., hrsg.v. Thomas Frank, Uli Grandtner, Stephan Kippes. München: Junge Union Bayern, 1993 S. 124 - 137
  1. Öffentliches Recht und Jugendsekten
    1. Jugendreligionen und Grundrechtsschutz
    2. Konsequenzen für Handlungsbefugnisse des Staates
    3. Staatliche Unterstützung von Privatinitiativen gegen Psychokulte
    4. Jugendsekten und Gewerberecht
    5. Jugendsekten und Vereinsrecht
  2. Zivilrechtliche Aspekte
    1. Erbrechtliche Probleme
    2. Rückzahlungsansprüche bei Austritt aus einer Sekte
  3. Arbeits- und sozialrechtliche Aspekte
    1. Arbeitsrecht
    2. Sozialrecht
  4. Zusammenfassung

Öffentliches Recht und Jugendsekten

Jugendreligionen und Grundrechtsschutz

Artikel 4 I,II des Bonner Grundgesetzes garantiert die "Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses" sowie die "ungestörte Religionsausübung". Damit ist der größte Teil der hier behandelten Sekten und Kulte diesem Grundrecht unterstellt. 145) Das hat erhebliche Auswirkungen. Der Begriff "Religion" ist im Lichte dieses Freiheitsrechts weit auszulegen. Nach der Rechtsprechung "reicht es aus, daß eine Vereinigung gemeinsame religiöse oder weltanschauliche Auffassungen von dem Sinn und der Bewältigung der menschlichen Existenz in umfassender Weise bezeugt. 146) Religion bedeutet also vor allem ein einheitliches Grundkonzept vom Sinn der menschlichen Existenz und die Deutung der Stellung des Menschen innerhalb dieses Kontextes. Dabei wird als Religion nicht nur das verstanden, was traditionellem mitteleuropäischem Gedankengut entspricht 147), sofern sich die betreffende Weltanschauung nur auf dem Boden gewisser Fundamentalnormen bewegt (also keine Hexenverbrennungen, Polygamie etc.). Die Grenzen der freien religiösen Betätigung liegen also vor allem dort, wo in Grundrechte anderer eingegriffen wird 148).

Konsequenzen für Handlungsbefugnisse des Staates

Die Grundrechte schützen primär den Bürger vor staatlichen Eingriffen 149). Sie sollen also gewährleisten, daß der Staat nicht willkürlich in den Freiheitsbereich des Einzelnen eingreift. Für Religionsgemeinschaften ist anerkannt, daß dieses Abwehrrecht ihnen als Personengesamtheit gewährleistet ist 150). Sofern also einer der hier behandelten Kulte unter den Begriff der Religionsgemeinschaft fällt, sind dem Staat in weitem Umfang die Hände gebunden. Eingriffe in das Wirken dieser Gruppen bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Zudem unterliegt der Staat dem Gebot religiöser und weltanschaulicher Neutralität 151). Man mag das bedauern, vor allem vor dem Hintergrund der Auswirkungen, die im Sektenreport ja skizziert wurden. Wenn man sich aber zur freiheitlichen und rechtsstaatlichen Grundordnung bekennt, so muß man auch in Kauf nehmen, daß Freiheiten entgegen ihrem eigentlichen Zweck ausgelebt werden. Eine Verfassung, welche die Grundfreiheiten garantiert, anerkennt bis zu einem gewissen Punkt eben auch die Freiheit des Einzelnen, seine Freiheit negativ auszuüben, das heißt sich in Abhängigkeiten zu begeben. Bei alledem hat der Staat aber doch gewisse Möglichkeiten, die verstärkt zu nutzen wären. Viele Lebensbereiche werden durch Informationshandeln des Staates erfaßt. Auch im Bereich der Jugendsekten darf der Staat die Bürger informieren, ja sogar warnen. Dies ergibt sich zum einen daraus, daß Grundrechte nicht nur Abwehrrechte gegenüber dem Staat sind, sondern auch einen Schutzauftrag an den Staat erteilen, die Grundrechte in ihrem Bestand zu sichern. Unter gewissen Umständen kann sich dies sogar zur Pflicht des Staates verdichten, Maßnahmen zum Schutz von Grundrechten zu ergreifen; so vor allem, wenn höchstrangige Grundrechtspositionen anderer auf dem Spiel stehen 152). Im Bereich der Jugendsekten wurden auf den vorangegangenen Seiten zahlreiche Beispiele gezeigt, wie Jugendsekten und -kulte ihre Mitglieder in Abhängigkeiten treiben, welche Gefahren objektiv von ihnen ausgehen. Der Staat darf nach der Rechtsprechung vor diesen Gefahren warnen 153). Der Staat ist also nicht auf bloße Information beschränkt, sondern darf versuchen, seine Bürger von einer Mitgliedschaft bei diesen Bewegungen abzuhalten.

Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für dieses Engagement des Staates ist in der Aufgabe des Staates verankert, gesellschaftliche Entwicklungen zu verfolgen und darüber zu informieren. So wurde es z. B. als zulässig angesehen, daß die Bundesregierung vor der Transzendentalen Meditation warnte. Dies sei von der Öffentlichkeit der Bundesregierung gedeckt 154). Begrenzt werde diese Informationsarbeit des Staates nur durch das Verhältnismässigkeitsprinzip, wonach eine Warnung vor einer Jugendsekte geeignet, erforderlich und angemessen sein muß 155). Dies bedeutet vor allem, daß staatliche Stellen nicht Tatsachen verzerren oder auf sachfremden Erwägungen beruhende Werturteile abgeben dürfen. Diese Rechtsprechung wird zwar in der juristischen Literatur angegriffen 156); dennoch ist sie zu begrüßen, weil sie staatlichen Führungsorganen die Möglichkeit gibt, in sachlicher Weise den Problemen mit Jugendsekten und -kulten zu begegnen. Mittlerweile ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß auch auf kommunaler Ebene eine Kompetenz angesiedelt ist, vor Aktivitäten von Jugendsekten zu warnen 157). Diese Kompetenz ergibt sich aus dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden, welches jedenfalls auch den Bereich der örtlichen Jugendhilfe erfaßt. Dabei ist eine Gemeinde ebenfalls nicht auf typische Verwaltungshandlungen beschränkt. Begrenzt wird diese Kompetenz der Gemeinden gleichfalls nur durch das Verhältnismässigkeitsprinzip 158). Zu hoffen bleibt, daß staatlicherseits in verstärktem Maße von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird.

Staatliche Unterstützung von Privatinitiativen gegen Psychokulte

Ein Großteil der Aufklärungsarbeit gegen Jugendsekten wird von Privatinitiativen (z.B. Elterninitiativen) getragen, meist mit erheblichem Mittelaufwand. Daher stellt sich die Frage, ob staatlicherseits nicht eine Unterstützung dieser Initiativen möglich ist. In vielen gesellschaftlich wichtigen Bereichen wird ja bekanntermaßen der Staat nicht unmittelbar selbst tätig, sonder mittelbar durch Förderung privaten Engagements (Beispiel Vereinssportförderung). Dieses Modell ist aber nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. 3. 1992 159) nicht ohne weitere Voraussetzungen auf die Initiativen gegen Jugendsekten übertragbar. Danach stellt die finanzielle Unterstützung eines Vereines, der vor Psychokulten warnt, zum einen einen Eingriff in das Grundrecht des Psychokultes dar. Zum anderen sieht das BVerG hier (anders als bei den Warnungen durch den Staat selbst) die Grundrechte des Kultes in nicht mehr gerechtfertigter Weise als verletzt an. Dies vor allem, weil der Staat dafür eine gesetzliche Grundlage schaffen müßte, die die Privatinitiativen bei ihrer Tätigkeit bindet. Anders als staatliche Stellen selbst, könne eine Privatinitiative mit ihren Aktionen nämlich bis an die Grenze der "Schmähkritik" 160) gehen. Der Staat kann sich nicht mittels Unterstützung Privater seiner Verantwortung für sachlich gerechtfertigte Äußerungen bezüglich dieser Psychokulte entledigen. Damit wird ein Auftrag an den Gesetzgeber deutlich, die Förderung von Elterninitiativen und ähnlichen Vereinen zur Aufklärung gegen Jugendsekten auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Insoweit muß ein politischer Prozeß in Gang gesetzt werden. Fraglich dürfte dann allerdings werden, ob die Gesetzgebungskompetenz beim Bund oder bei den Ländern liegt 161).

Jugendsekten und Gewerberecht

In einem Verfahren vor dem VG Hamburg 162) ging es um die Frage, ob eine, unter dem Namen "College für angewandte Philosophie, Hamburg e. V." firmierende Gruppe der Scientology, verpflichtet ist, ihren Verkauf von Büchern und E-Metern 163) als Gewerbe anzuzeigen ($14 GewO). Das Gericht sah in dieser Tätigkeit des Vereins eine Gewerbeausübung und bejahte somit die Anzeigepflicht gemäß $14 GewO. Breit legte das Gericht in der Begründung das Spannungsverhältnis zwischen Religionsfreiheit und Gewerberecht dar. Auffällig an der Entscheidung ist, daß sie an vielen Stellen den Charakter der Scientology als Religion anzweifelt, die Frage letztendlich aber offenläßt 164).

Das Gericht sah es als erwiesen an, daß der Scientology-Verein mit Gewinnerzielungsbsicht seinen Verkauf von Materialien der Scientology betreibt. Somit sah es die Gewerbeordnung auch im Hinblick auf Art 140 GG in Verbindung mit Art 137 III WRV für anwendbar an. Diese Entscheidung zeigt, daß sich staatliche Stellen auch im Geltungsbereich des Gebots religiöser Neutralität einer Einordnung der Tätigkeiten von Jugendsekten nicht enthalten müssen. Sie dürfen und müssen prüfen, ob im Einzelfall Religionsausübung, oder aber bloße gewerbliche Betätigung vorliegt. In erfreulicher Offenheit geht das Urteil auch die Einordnung des klagenden Scientology-Vereins unter den Religionsbegriff an 165). Damit eröffnet es die Möglichkeit, die Tätigkeiten von, sich selbst als Religion bezeichnenden Gruppen, unter dem Aspekt der Religionsfreiheit, aber auch unter anderen gesetzlichen Aspekten kritisch zu würdigen. Dies könnte auch in Zukunft ein brauchbarer Ansatzpunkt sein, die vorgeblich religiöse Tarnung von letztlich auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmungen von Jugendsekten zu entlarven 166).

Jugendsekten und Vereinsrecht (167)

Zivilrechtliche Aspekte

Erbrechtliche Probleme

Vor allem bei erbrechtlichen Fragen können Probleme auftreten, wenn ein zukünftiger Erbe in eine Sekte abrutscht. Man stelle sich nur folgenden Fall vor: Der einzige Sohn eines Unternehmers gerät in eine Sekte, die auf sein Geld aus ist. Dann stehen langfristig die Interessen des Unternehmens, unter Umständen Arbeitsplätze auf dem Spiel. 1. In einem, om OLG Düsseldorf entschiedenen Fall 168) ging es um die Tochter einer Unternehmerin, die der Scientology-Sekte beigetreten war. Die Mutter ordnete die Testamentsvollstreckung über den dieser Tochter zustehenden Erbteil an. Dies hat gemäß $2211 BGB erhebliche Beschränkungen des Erben im Hinblick auf das Erbe zur Folge. Das Gericht hatte nun zu prüfen, ob die Anordnung der Testamentsvollstreckung durch die Mutter und Erblasserin gegen die guten Sitten verstieß. Dies wurde von der betroffenen Tochter damit begründet, durch die Testamentsvollstreckung solle sie zum Austritt aus der Sekte bewegt werden, ein Motiv, welches sie in ihrem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit beeinträchtige. Das OLG Düsseldorf wies diesen Einwand der Tochter zurück. Es verneinte die Sittenwidrigkeit, weil nicht die "Beendigung der Beziehungen dieser Tochter zur Scientology-Church vorrangiges Ziel" der Mutter war, sondern - als "mindestens gleichrangiger, billigenswerter Berweggrund ... die Sicherung des Fortbestandes der einen wesentlichen Teil des Nachlasses ausmachenden Firma ..." 169).

Diese Argumentation läßt sich auf das gesamte Erbrecht folgendermaßen übertragen: Die Testierfreiheit dessen, der mit erbrechtlichen Mitteln auf den Bestand seines Vermögens nach dem eigenen Tod einwirken möchte, ist dahingehend eingeschränkt, daß Beschränkungen der Erben nicht als Druckmittel dienen dürfen, um allein auf deren religiöse/weltanschauliche Einstellungen Einfluß auszuüben. Allerdings gilt dies nur bei offensichtlich und ausschließlich in der Absicht der religiösen Beeinflussung vorgenommenen Beschränkungen.

2. Die Enterbung durch Testament ist sittenwidrig, wenn im Testament selbst "eine unredliche, also verwerfliche, Gesinnung des Erblassers zum Ausdruck kommt und eine Verwirklichung erstrebt" 170). Hierbei ist der Begriff der Sittenwidrigkeit eng auszulegen, der Wille des Erblassers ist - bis auf extreme Ausnahmefälle - unbeschränkt. Ob für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Beschränkung des Erben 171) - wie es scheint - ein geringerer Maßtab anzulegen ist, als bei der Enterbung wäre einmal eine eingehende Untersuchung wert (gerade im Hinblick auf Probleme mit Jugendsekten). Jedenfalls ist die Testierfreiheit des Erblassers insoweit eingeschränkt, als ein sektenzugehöriger Erbe einen Anspruch auf den gesetzlichen Pflichtteil aus dem Erbe einen Anspruch auf den gesetzlichen Pflichtteil aus dem Erbe geltend machen kann. Diesen Pflichtteilsanspruch ($$ 2303 ff BGB) zu beschränken oder auszuschließen, hat der Erblasser nur in krassen Ausnahmefällen (vgl. $2333 BGB) das Recht 172).

3. In diesem rechtlichen Rahmen besteht also die Möglichkeit, auf einen Familienangehörigen, der Sektenmitglied geworden ist, einzuwirken. Dabei ließe sich auch noch daran denken, das Sektenmitglied zu einem Erbverzichtsvertrag zu bewegen ($$ 2346 ff BGB). Sinn eines solchen Vorhabens könnte sein, das Sektenmitglied dadurch zum Nachdenken zu bringen. Es wird sich in diesem Falle sicher mit der Sekte absprechen, diese wird ihm strikt abraten; dadurch könnten dem Sektenmitglied die Augen für, auf sein Geld ausgerichtete Motive der Sekte geöffnet werden.

Rückzahlungsansprüche bei Austritt aus einer Sekte

Einen interessanten Fall entschied das LG München I 173). Es ging darum, daß ein Scientology-Mitglied bei seinem Austritt aus der Sekte aufgrund einer Regelung der Sekte über 9.000 DM an die Scientology zahlte. Dieser Betrag erfaßte sogenannte Leistungen der Sekte während der Mitgliedschaft. Beim Austritt wurde gemäß dieser Satzungsbestimmung ein Betrag fällig. Das Ex-Mitglied zahlte zunächst, forderte dann aber in der Klage vor dem LG München I den Betrag zurück 174) und zwar erfolgreich. Das Gericht gab dem Rückzahlungsanspruch mit der Begründung statt, die Regelung der Sekte, beim Austritt seien die Leistungen zurückzugewähren, stellten eine unzulässige Erschwerung des Austritts aus der Sekte dar. Dies sei zum einen nicht mit $ 391 BGB vereinbar, wonach Mitglieder eines Vereins zum Austritt berechtigt sind. Zum anderen verstoße die Vorschrift der Sekte gegen Art. 4 GG, der auch das Recht auf Austritt aus einer Religionsgemeinschaft schütze. Damit hatte der Ex-Scientologe den Betrag rechtsgrundlos geleistet und konnte ihn über $ 812 BGB zurückfordern.

Damit ist ein Bereich angesprochen, der nach Durchsicht der Rechtsprechung offensichtlich noch keine allzu große Rolle gespielt hat 175): Die Rückforderung von Beiträgen und Leistungen während der Sektenmitgliedschaft beim Austritt. Bezieht man in diese Überlegungen die in den vorangegangenen Teilen dargestellten verheerenden finanziellen Auswirkungen einer Sektenmitgliedschaft mit ein, so kann sicher dieser Aspekt nicht vernachlässigt werden. In der Regel dürfte es aber im Einzelfall schwer sein, Beiträge, die ein Sektenmitglied während der Mitgliedschaft geleistet hat, zurückzufordern. Dazu müßte nachgewiesen werden, daß die Sekte arglistig getäuscht hat 176), oder daß sich das Sektenmitglied zur Zahlung in einem Zustand dauernder und krankhafter 177), oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit 178) verpflichtet hat. Dafür dürfte der Nachweis in der Regel schwierig sein.

Sofern also nicht in den Satzungen der Sekten ungültige Zahlungsansprüche normiert sind - wie im obigen Rechtsprechungsbeispiel - dürfte die Rückforderung von Zahlungen an die Sekte im Einzelfall schwierig sein. Auch hier muß wieder betont werden, daß grundsätzlich jeder selbst über die Verwendung seiner Kapazitäten bestimmen kann und muß. Bedauerlich ist dies vor allem dann, wenn ehemalige Sektenmitglieder sich finanziell für die Sekte dermaßen verausgabt haben, daß sie nach dem Austritt der Sozialhilfe anheimfallen. Ob und inwieweit die Verarmung eines Sektenmitglieds als Indiz für die Unwirksamkeit der Leistungen an die Sekte heranzuziehen ist, wurde bisher - soweit ersichtlich - nicht geklärt. Ein interessanter Aspekt ist es aber schon, zumal dann, wenn eine Sekte den Mitgliedern vorgaukelt, sie im Leben erfolgreicher zu machen, andererseits dann aber zu deren Verarmung führt. Eine Täuschung liegt in solchen Fällen meines Erachtens auf der Hand 179).

Arbeits- und sozialrechtliche Aspekte

Arbeitsrecht

Zahlreiche Beispiele könnten für die arbeitsmäßige Vermarktung von Sektenmitgliedern angeführt werden. Ob man nun an den DJ in der Sekten-Disco denkt, oder an den Buchverkäufer, oder ... 180) Hier stellt sich zunächst unter rechtlichen Gesichtspunkten die Frage, ob zwischen Mitglied und Sekte ein Arbeitsverhältnis im juristischen Sinne vorliegt. Bei einormer Arbeitszeit werden Sektenmitglieder weit unter ihrer Leistung bezahlt. So stellte das Arbeitsgericht München 1985 in einem Urteil fest 181), daß ein Scientology-Mitglied für die Sekte 2 1/2 Jahre lang 48 Wochenstunden arbeitete und dafür insgesamt wenig über 8000,- DM erhielt.

Zum einen wurde dieses Verhältnis zwischen Sekte und Mitglied als Arbeitsverhältnis bewertet. In der Begründung betont das Gericht die Abhängigkeit des Mitglieds, die auch dazu führte, daß es seine Arbeitskraft nicht mehr anderweilig zur Verfügung stellen konnte. Ferner grenzte das Gericht diese Tätigkeit ab zu den Tätigkeiten in gemeinnützigen oder kirchlichen Verbänden, die dort keine Arbeitsverhältnisse im rechtlichen Sinne sind, wenn der beschäftigende Verband den Mitarbeiter "von allen Sorgen um die wirtschaftliche Existenz freistellt" 182), was speziell bei der Scientology nicht der Fall sei.

Zwar ist dieser Rechtsprechung der Sache nach völlig zuzustimmen. Die darin liegende Gefahr ist aber unübersehbar: Sekten könnten auf die Idee kommen, ihre arbeitenden Mitglieder quasi zu kasernieren, um sich eventuelle arbeitsrechtliche Entgeltansprüche vom Halse zu halten. Wenn sich diese erschreckende Vision realisieren sollte, so wäre die Gefahr, die von den Jugendsekten ausgeht, noch einmal eine Stufe höher gekommen: Sie würden dann - motiviert aus arbeitsrechtlichen Sachzwängen - regelrechte Klöster aufbauen. Die Konsequenzen für die Mitglieder und für die Allgemeinheit sind unschwer vorstellbar. Das Arbeitsgericht München hat folgerichtig das von der Sekte geleistete Entgelt als sittenwidrig und wucherisch ($ 138 I, II BGB) bewertet und sprach dem ehemaligen Mitglied einen Anspruch auf angemessenes Entgelt aus $ 612 II BGB zu, das sich der Höhe nach an entsprechenden Tarifverträgen orientierte.

Sozialrecht

In der Regel kommen hier zwei Fragenkomplexe zum Tragen. Zum einen ist zu klären, ob es sich bei der Mitarbeit in einer Jugendsekte um eine religiös oder sittlich motivierte, gemeinnützige Tätigkeit handelt. Dann nämlich käme Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung gemäß $ 6 I Nr. 7 SGB V in Betracht. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts fehlt es aber dabei in der Regel an der erforderlichen festen Bindung an die Sekte (die etwa durch ein Gelöbnis bekräftigt werden müßte), Vor allem aber dürfte die Gemeinnutzbezogenheit der Tätigkeit fehlen 183). Des weiteren kommt es für die Versicherungspflicht regelmäßig auf Mindesteinkommen und eine Mindestarbeitszeit (15 Wochenstunden) an (vgl. $ 8 i.SV. m. $ 18 SGB IV). In Anbetracht der erheblichen Sozialrelevanz der Sozialversicherungspflicht sollte man bei der Bemessung des Arbeitsentgelts nicht auf tatsächlich geleistetes, sondern auf das angemessene Arbeitsentgelt abstellen, welches Mitglieder von Jugendsekten beanspruchen können. Man stelle sich nur vor, daß ansonsten allein aufgrund geringer Arbeitsentgelte Mitglieder von Jugendsekten hinsichtlich einer 15-stündigen Wochenarbeitszeit von der Sozialversicherungspflicht befreit wären (vgl. etwa für die gesetzliche Krankenversicherung $ 7 SGBs V) 184). Dies würde dem Normzweck der Regelungen zur Versicherungsfreiheit völlig widersprechen.

Zusammenfassung

Es hat sich gezeigt, daß der Staat den Jugendsekten nicht hilflos ausgeliefert ist. Es bestehen staatlicherseits zum einen Möglichkeiten, gegen Jugendsekten mit informellen Mitteln vorzugehen. Ferner sollten sich Verwaltung und Rechtsprechung in Einzelfällen nicht davon abhalten lassen, genau zu prüfen, ob tatsächlich Ausübung eines Bekenntnisses vorliegt oder reine Geschäftemacherei. In allernächster Zukunft muß aber auf juristischer wie politischer Ebene eine Diskussion über verstärkte Maßnahmen gegen diese Psycho-Kulte in Gang kommen. Zum einen ist die Förderung von Privatinitiativen durch die öffentliche Hand zu ermöglichen. So richtig es ist, jeden Fussballverein zu unterstützen, so unverständlich erscheint es zum Schluß dieses Sektenreports, daß z. B. Elterninitiativen vom Staat bisher keine finanzielle Unterstützung erfahren dürfen. Wenigstens auf dieser Ebene könne die öffentliche Hand den Betroffenen ein paar Sorgen abnehmen und redliche Informationsarbeit unterstützen.

Außerdem ist über eine verstärkte staatliche Kontrolle auf dem Psycho-Markt zu diskutieren 185). Wenn für seriöse Heilberufe Ausbildungs- und Zulassungsverfahren vorgeschrieben sind, so sollte man sich auch den angeblich therapeutischen Umtrieben von Psychokulten in dieser Hinsicht verstärkt zuwenden. Gerade angesichts der zum Teil verheerenden psychischen Wirkungen, die bei ehemaligen Sektenmitgliedern festzustellen sind, sollte man ohne Scheu über Zulassungsverfahren nachdenken. Weder Religionsfreiheit, noch andere Grundfreiheiten beinhalten das Recht, der Allgemeinheit durch ihre Ausübung erheblich beschädigte Menschen zu hinterlassen.

Es ist also Mut angesagt, Mut sich gegen die Aushöhlung von Freiheitsrechten durch Mißbrauch zu wehren !


Anmerkungen:


145) Zweifelnd im Hinblick auf Scientology: VG Hamburg, NVwZ
      1991, 806ff. (810)

146) OVG Münster, NVwZ 1989, S. 878 (879) mit Angabe von
      BVerwGE 61, 152

147) Vgl. BVerfGE 41,50

148) Vgl. zuletzt: BVerwG, NJW 1991, S. 1770, BVerfG, NJW 1989,
      S.  3269 (3270).

149) Vgl u. a. Richter/Schuppert, Casebook Verfassungsrecht, 2.
      Auflage (1991), S. 40 ff

150) BVerfGE 42, S. 322

151) vgl Art 4 I, 140 GG i. V. m. Art 136, 137 I Weimarer
      Reichsverfassung woraus nach BVerfGE 33, 28ff das Gebot zur
      Neutralität des Staates in weltanschaulichen und religiösen
      Fragen folgt.

152) So schon BVerfGE 39, S. 1ff; vgl auch Casebook
      Verfassungsrecht (Fn.  5), S. 21

153) vgl. zuletzt BVerwG NJW 1991, S. 1770ff mit zahlreichen
      Rechtsprechungsbeispielen.

154) BVerfG, NJW 1989, S. 3269 ff.

155) BVerfG, NJW 1989, S. 3269 (3270f)

156) Schatzschneider (NvwZ 1991, S. 3202f) z.B. sieht den Bund
      nicht als zuständig an; die Länder wären nach dieser
      Ansicht zuständig.  Andere Autoren z. B. Heintzen, VerwArch 1990,
      S.532 (550f) sehen in der Argumentation des VerwG und des BVerfG einen
      unzulässigen Rückschluß von einer Aufgabe der
      handelnden staatlichen Stelle auf eine entsprechende
      Eingriffsbefugnis.

157) OVG Münster, NVwZ 1991, S. 176f (177)

158) OVG Münster, a.a.O. S. 178

159) BVerwG, DVBl. 1992, S. 1038 ff.

160) BVerwG, a.a.O., S. 1042

161) Vgl. dazu Schatzschneider, NVwZ 1991, S. 3202 f.

162) NVwZ 1991, S. 806 ff. (noch nicht rechtskräftig); vgl
      Besprechung dazu von Görlich, NVwZ 1991, S. 751 ff.

163) Vgl. dazu das Kapitel "Scientology"

164) Vgl. näher dazu Angaben im Abschnitt "Scientology"

165) Vgl. NVwZ 1991, S. 810 f.

166) Ähnliche Ansätze in der Literatur
      zusammenfassend: Franz, NVwZ 1985, S. 81 ff (S.83)

167) Vgl. dazu NJW 1989, 2497

168) OLG Düsseldorf, NJW 1988, S.2615

169) OLG Düsseldorf, a.a.O.

170) Palandt / Edenhofer, $ 1937, 5

171) Vgl. dazu sub 1.

172) Zur Frage, ob ein Testament nach dem Erbfall angefochten
      werden kann (vgl $ 2078 II BGB), wenn der Erbe sich der
      Hare-Krishna-Bewegung zuwendet: Bejahend, OLG München, NJW 1983,
      2577f.

173) NJW 1987, S. 847f.

174) Anspruchsgrundlage: $ 812 I 1 1.Alt.BGB

175) Vgl. auch Schatzschneider, BayVBl. 1985, S. 32 (325)

176) mit der Folge der Anfechtbarkeit der getätigten
      Rechtsgeschäfte, $ 123 BGB

177) $ 104 Nr. 2 BGB; Rechtsfolge:
 Geschäftsunfähigkeit

178) Vgl $ 105 II BGB: Die Beweislast trägt aber auch
      hier das ehemalige Mitglied (vgl. BGH WPM 1980, kS. 521). Zu $ 105 II
      BGB zahlen beispielsweise die Fälle, in denen eine
      Willenserklärung unter Hypnose abgegeben wurde (vgl.
      Pal./Heinrichs, 3 zu $ 105 BGB)

179) Vgl. Palandt /Heinrichs, Nr.2 zu $ 123 BSGB: Arglistige
      Täuschung setzt "eine Täuschung zum Zweck der Erregung oder
      Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus".

180) Vgl. insgesamt zu diesem Komplex: Scholz, ZfSH/SSGB 1992,
S. 619 ff.

181) ArbG München, Urt. vom 9. 4. 1985 -3- CA 14663/82.

182) Vgl. Scholz in ZfSH /SGB 1992, S. 618 ff.

183) So BSGE 59, S. 219 ff (S. 225f) für die
      Tätigkeit in einer Druckerei der TM (vgl. dazu oben 11.1.).

184) Vgl dazu insgesamt Scholz in ZfSH/SGB 1992, S. 619 ff (S.
622f).

185) Vgl. dazu schon das Interview mit Herrn Hauser, oben sub
8.