SC in der TAZ

Opferlamm Scientology (TAZ vom 12.10.94)

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Subject: Opferlamm Scientology
Date: 12 Oct 1994 00:00:00 +0000
TAZ, 12.10.1994:

Opferlamm Scientology

Die Scientology Church warnt in ganzseitigen Anzeigen in den USA vor neuem Nazi-Deutschland

  • Von Felix Kreutzer

    Berlin (taz) - Seit vier Wochen bekommen New York Times- und Washington Post-Leser jeden Donnerstag ganzseitig Schreckensnachrichten aus Today's Germany geliefert: brennende Synagogen, Überfälle auf Ausländer und Auftrittsverbote für ausländische Musiker bestimmen darin das Bild. Großformatige Fotos zeigen NS-Aufmärsche mit Hakenkreuzbannern, harmlose Musiker mit Cello und Saxophon unter einem Stempel mit dem Text "Verboten" oder die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau. Die Überschriften warnen: "Nie wieder!", "Religiöse Apartheid?"

    Die Leser der beiden angesehenen Tageszeitungen werden aufgefordert, an Kohl, Kinkel und Clinton zu schreiben und nicht "die Warnsignale aus einem Land zu ignorieren, das in diesem Jahrhundert zwei Weltkriege ausgelöst hat".

    Finanzier und Autor der effektvoll plazierten Anzeigen ist die International Association of Scientologists, die Mutterorganisation der deutschen Scientology-Kirche - eine "Sekte", die laut Norbert Reinke, Referatsleiter im Bundesministerium für Frauen und Jugend, "unter dem Deckmantel der Religion und unter Anwendung von Wirtschaftskriminalität und Psychoterror ihre Mitglieder ausnutzt".

    Die Scientologen sehen sich in den Anzeigen selber als Opfer: Neben Juden, Musikern mit Auftrittsverbot und verfolgten Ausländern reihen sie sich ein in die Gruppe der in Deutschland Drangsalierten. Ihre Klage: "In Deutschland kann niemand Mitglied einer politischen Partei werden, dessen religiöse Ansichten mit der Regierung unvereinbar sind. Auf ihrem Jahresparteitag in Dresden beschloß die CDU, daß die Mitgliedschaft in der Scientology-Kirche unvereinbar ist mit der Mitgliedschaft in der Partei - undenkbar in jeder anderen Demokratie." Neben der CDU schließen außerdem SPD, FDP und die StattPartei Scientologen aus ihren Reihen aus. "Der Rest der Welt muß erfahren, daß die deutsche Regierung zu alten Traditionen der Vorverurteilung und Gewaltbereitschaft zurückkehrt", so die Hamburger Scientology-Zentrale in einer Pressemitteilung.

    Als Reaktion auf die Anzeigenkampagne in den USA erreichten das Bundeskanzleramt bisher 2.000 Briefe. Die Presseleute der "Scientology-Kirche Deutschland e.V." sprechen von 5.000 Briefen. Die Schreiben werden vom Bundeskanzleramt an das Referat Jugendsekten und Psychogruppen im Ministerium für Jugend und Familie weitergeleitet. Dort werden sie aufgrund "ihres gleichförmigen Inhalts nicht beantwortet", so Referatsleiter Weitzel. Der Kanzler bekomme lediglich eine monatliche Zusammenfassung. Im Auswärtigen Amt wird der Imageschaden für Deutschland eher als gering angesehen.

    "Gerichtliche Gegenaktionen oder Gegenanzeigen" sind nicht geplant, "um den Scientologen nicht noch mehr Publicity zu geben; eine solche Kampagne disqualifiziert sich selbst", verlautete aus Regierungskreisen. Dr. Uwe Mazura, Vizesprecher der CDU, sagte in einer Stellungnahme, daß es CDU-Broschüren nie gegeben habe, in denen Sekten, wie in den Anzeigen behauptet, als zu zerstampfende Insekten dargestellt würden.

    Deutsche Konsulate in den USA berichten von nur wenigen Reaktionen auf die Anzeigenkampagne. In einem Leserbrief in der New York Times bezeichnet Abraham Foxman von der Anti Defamation League die Anzeigen als "übertrieben und ungerechtfertigt". Und die jüdische Publikation Jewish Week beschwerte sich in einem Artikel über die Gleichstellung der Judenverfolgung unter den Nazis einerseits und dem Unvereinbarkeitsbeschluß der CDU andererseits. Das sei eine "Beleidigung aller Opfer des Holocaust".

    Die Scientology Church hat nach eigenen Angaben in Deutschland 30.000 und weltweit 8.000.000 Mitglieder. Prominente Scientology-Mitglieder sind der Filmschauspieler Tom Cruise und Lisa Marie Presley, Elvis-Tochter und neuerdings Ehefrau von Michael Jackson.