Deutscher Bundestag Drucksache 14/4358
14. Wahlperiode vom 10.10.2000
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl, Aribert Wolf, Klaus Holetschek,
Maria Eichhorn, Hartmut Koschyk, Erwin Marschewski (Recklinghausen),
Meinrad Belle, Wolfgang Zeitlmann, Günter Baumann, Dr. Joseph-Theodor
Blank, Sylvia Bonitz, Hartmut Büttner (Schönebeck), Wolfgang Dehnel,
Renate Diemers, Thomas Dörflinger, Anke Eymer (Lübeck), Ilse Falk,
Ingrid Fischbach, Norbert Geis, Martin Hohmann, Walter Link (Diepholz),
Beatrix Philipp, Hans-Peter Repnik, Dr. Klaus Rose, Dietmar Schlee,
Thomas Strobl (Heilbronn), Gerald Weiß (Groß-Gerau), Hans-Otto Wilhelm
(Mainz) und der Fraktion der CDU/CSU
Psychogruppen mit hohem Gefährdungspotenzial - Tätigkeiten,
Auswirkungen, Gegenmaßnahmen
Unter den Psychogruppen mit hohem Gefährdungspotenzial ist insbesondere
die "Church of Scientology e.V." (Scientology-Organisation, kurz: SO) zu
nennen.
Laut Bundesarbeitsgerichtsurteil vom 22. März 1995 besteht bei der SO
eine gewerbliche Gewinnerzielungsabsicht. Die Scientology-Organisation,
die als extremistische Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet
wird, strebt auch nach Auffassung der Bundesregierung "die
Weltherrschaft an" (SO-Broschüre des BMFSFJ, 6. Auflage, November 1998:
17).
Im Endbericht der Enquête-Kommission "Sog. Sekten und Psychogruppen"
wird sie als Organisation mit hohem Gefährdungspotenzial beschrieben,
die organisationstypische Straftaten begeht. Die Innenministerkonferenz
vom 6. Mai 1994 bezeichnete die SO als Organisation, "die unter dem
Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Elemente der
Wirtschaftskriminalität und des Psychoterrors gegenüber ihren
Mitgliedern mit wirtschaftlichen Betätigungen und sektiererischen
Einschlägen vereint".
Dennoch wird die SO durch das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (BMFSFJ) wie eine harmlose Meditationsgruppe
behandelt. Dem aber steht das Motto des SO-Gründers entgegen: "Erobern
Sie, egal wie, die Schlüsselpositionen, ... als Personalchef einer
Firma, als Sekretärin des Direktors, als Berater der Gewerkschaft -
irgendeine Schlüsselposition ...".
Wir fragen die Bundesregierung:
- Warum liegt die Federführung beim Thema SO innerhalb der
Bundesregierung beim BMFSFJ und nicht bei Bundesministerium des Innern
(BMI)?
- Teilt die Bundesregierung die Auffassung der "Französischen
Regierungsbehörde zur Bekämpfung der Sekten" in ihrem aktuellen Bericht
an den französischen Premierminister (siehe Meldungen der Süddeutschen
Zeitung vom 8. und 9. Februar 2000), wonach die SO (zitiert aus dem
französischen Bericht):
- die Menschenrechte und das gesellschaftliche Gleichgewicht bedroht,
- eine Organisation mit totalitärer Struktur ist,
- die Würde des Menschen missachtet und eine Beeinträchtigung der
öffentlichen Ordnung darstellt,
- zu solchen Gruppen zu rechnen sind, die fortgesetzt und mit gewissem
Erfolg versuchen, demokratische Institutionen und offizielle
internationale und private Organisationen zu infiltrieren,
- und dabei andauernd Gesetze des Landes, in dem sie aktiv wird,
missachtet, unter anderem dadurch, dass die Kunden der SO betrogen und
genötigt werden?
- Ist die Bundesregierung bereit, aufgrund der Beurteilung der SO durch
die französische Regierung eine gemeinsame französisch-deutsche
Initiative auf EU-Ebene zu ergreifen mit dem Ziel, ein gemeinsames und
koordiniertes Handeln der europäischen Mitgliedstaaten gegen die sich
aus der SO ergebenden Gefährdungen zu bewirken?
- Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Anerkennung der
SO als eine Kirchen gleichgestellte "Glaubensgemeinschaft" in Schweden?
- Trifft es nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zu, dass nach
geheimdienstlichen Aktivitäten gegen einzelne Mitglieder der
amerikanischen Steuerbehörde Internal Revenue Service (IRS) abrupt eine
steuerrechtliche Anerkennung der SO durch die IRS am 8. Oktober 1993
zustande kam, nachdem die IRS über 25 Jahre lang zuvor (auch vor Gericht
mit Erfolg) feststellen ließ, dass die SO keine Religionsgemeinschaft,
sondern ein gewerbliches Unternehmen sei, dem keine Steuerbefreiungen
zugesprochen werden dürfe (vgl. The New York Times vom 3. März 1997) und
welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus für die steuerliche
Behandlung der SO in Deutschland?
- Trifft es zu, daß die US-Regierung, ohne Einschaltung der üblichen
diplomatischen Wege versucht hat, Einfluss zu Gunsten der SO in
Deutschland zu nehmen (vgl. Hamburger Morgenpost vom 12. Februar 2000),
und wie reagiert die Bundesregierung darauf?
- Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Umstand, dass
die USA Maßnahmen zum Schutz der demokratischen Verfassung unseres
Landes (u. a. die sog. Schutzklausel) unter dem Gesichtspunkt von
nichttarifären Handelshemmnissen ("discriminatory policy") kritisieren
(The Trade Representative's Annual Report 1999, issued from the
Executive Office of the President, Title VII Report, in accordance to
President's Executive Order 13116, signed on 31. 3. 1999, to identify
"in [foreign] government procurement, a significant pattern or practice
of discrimination against U. S. products or services which results in
identifiable harm to U.S. businesses")?
- Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung im Besonderen unternommen,
um gegenüber der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ihre
Beurteilung der von der SO ausgehenden Gefährdung für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland
darzulegen und gegenüber der amerikanischen Regierung um Verständnis für
das aus dieser Haltung sich ergebende Handeln zu werben?
- Ist die Bundesregierung bereit, die Erforschung von totalitären
Methoden im Bereich gewerblicher Lebensbewältigungshilfen und von
totalitären Lern-, Management- und Organisationstechniken im Hinblick
auf die Gefahren, die sie für eine offene, demokratische Gesellschaft
langfristig darstellen, zu initiieren?
- Hält die Bundesregierung die Errichtung einer zentralen Stelle
("Scientology-Beauftragter") zur Koordination der Erforschung und
Eindämmung des gesamten Scientology-Systems, seiner Führungsstrukturen,
organisatorischen Verzweigungen und den von ihnen ausgehenden
Aktivitäten auf deutschem Boden für sinnvoll?
- Trifft es nach Auffassung der Bundesregierung zu, dass sich die SO
unzulässige Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen, seriösen Anbietern
auf dem Therapie-, Weiterbildungs-, (Franchise-) Organisationstechnik-
und Managementtrainingssektor verschafft (vgl.
Bundesarbeitsgerichtsurteil vom 22. März 1995) und welche gewerbe-,
handels- und vereinsrechtlichen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung,
um das Führen der Bezeichnung "Kirche" durch und für die SO zu
verhindern?
- Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die SO aufgrund
ihrer Strukturen und Ziele systematisch gegen das Arbeitsrecht, gegen
den Kinderschutz (darunter gegen die Schulpflicht), gegen Gesetze zur
Bekämpfung von Steuerhinterziehung (Umgehung der Konzernrechnungslegung)
und Betrug (gegenüber Kunden und Mitarbeitern) und gegen das
Heilpraktikergesetz verstößt, und ist sie bereit, strafrechtlich
relevantes Verhalten im Hinblick auf ein mögliches vereinsrechtliches
Verbot im gesamten Bundesgebiet zu dokumentieren?
Welche Schritte gedenkt sie zu unternehmen, um zu verhindern, dass
unsere verfassungsgemäße Ordnung untergraben wird?
- Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus Gesetzesverstöße
gegen u. a. das Heilpraktikergesetz, gegen das Sozialversicherungsrecht
(z. B. keine Sozialversicherungsabgaben bei Überstundenarbeit von
hauptamtlichen Mitarbeitern, die diese Überstundenleistung auf Anweisung
der SO als "ehrenamtliche Tätigkeit" ausweisen müssen) und gegen das
Verbot der Nötigung (Berichte über Anstiftung von SO-Anhängern durch die
SO zum Terror gegen Aussteiger und Kritiker der SO)?
- Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, das angesichts der
organisationstypischen Delikte der SO Vollzugsdefizite bei den
staatlichen Behörden bestehen, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?
- Trifft es nach Erkenntnissen der Bundesregierung zu, dass Mitglieder
der OSA ("Office of Special Affairs"; SO-Geheimdienst) und SeaOrg
(paramilitärische Kaderorganisation für Sonderaufgaben) in Schikane-,
Zersetzungs- und Psychofoltermethoden ("fair game-policy" / sog.
Freiwild-Doktrin, "harassment-techniques") geschult werden, und welche
Folgerungen zieht sie daraus für die Behandlung der SO in Deutschland?
- Sieht die Bundesregierung einen Anfangsverdacht auf strafrechtlich
relevantes Verhalten von Mitgliedern der SO gegeben, um ein
vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die SO zur Prüfung des
Verbots dieser Organisation einzuleiten, insbesondere, wenn die jüngsten
Strafurteile aus Frankreich und Kanada gegen die SO berücksichtigt
werden?
- Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass ein vereinsrechtliches
Ermittlungsverfahren gegen die SO deutlich verbesserte
Ermittlungsmöglichkeiten gegen die SO ergebe?
- Gedenkt die Bundesregierung der Empfehlung der Enquête-Kommission zu
folgen und Religionsgemeinschaften in den Regelungsumfang des
Vereinsgesetzes mit einzubeziehen und damit verbesserte
Verbotsmöglichkeiten von Gesetze systematisch verletzenden Sekten,
Psychogruppen und "Religions"gemeinschaften zu eröffnen ?
- Wie möchte die Bundesregierung die Vergabe von öffentlichen
Aufträgen an von "Scientology" direkt kontrollierte Firmen und solche
Firmen, die die von "Scientology" entwickelten Betriebsführungstechniken
und / oder von Scientology-Trainern vermarkteten totalitären
Personaltrainingsmethoden benutzen, verhindern?
- Zieht die Bundesregierung eine Verschärfung der sogenannten
Schutzklausel gegen die SO bei Auftragsvergaben in Erwägung?
- Befürchtet die Bundesregierung bei einer weiteren Anwendung der
bestehenden Schutzklausel Repressalien seitens amerikanischer
juristischer oder natürlicher Personen im Hinblick darauf, dass die SO
behauptet, es handele sich bei der Schutzklausel um einen sogenannten
Sektenfilter und nicht um den Schutz vor totalitären und
menschenverachtenden Organisations- und Konditionierungstechniken
gegenüber den eigenen Mitarbeitern und Kunden?
- Bis wann möchte die Bundesregierung eine bundeseinheitliche
Schutzklausel einführen?
- Wie gedenkt die Bundesregierung aus datenschutzrechtlichen Gründen,
und um Schaden von der deutschen Wirtschaft abzuwenden, darauf
hinzuwirken, dass nur solche sicherheitsrelevanten Software-Produkte auf
dem deutschen Markt vertrieben werden dürfen, die eine geheimdienstliche
bzw. illegale Ausforschung der Kunden nicht schon im Programm
einschließen (so genannte "Trojanische Pferde")?
- Zieht die Bundesregierung insbesondere in Erwägung, langfristig nur
solche Programme staatlicherseits zu verwenden, deren Quellcodes
offengelegt sind?
- Ist die Bundesregierung hinsichtlich des
Diskeeper-Defragmentierungsprogramms eines hochrangigen Scientologen der
Ansicht, dass nur dann eine Verwendung dieses Software-Programms
zulässig sein sollte, wenn das Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnik (BSI) den Quellcode des Programms einsieht und die
Möglichkeit erhält, auch Folgeversionen des Programms zu überprüfen
(vgl. die Computer-Fachzeitschrift c't Nr. 25 / 1999, S. 58)?
- Wie viele Wirtschaftsunternehmen kontrollierten die SO und ihre
Unterorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland direkt durch
Kapitalbeteiligung und Verträge und indirekt durch Führungspersonal, die
der SO oder ihren Unterorganisationen angehören?
- Stimmt insbesondere die vom Informationsdienst der Bayerischen
Wirtschaft (ibw-Report vom 18. Mai 2000) genannte Zahl von 300 von der
SO in Deutschland kontrollierten Firmen, und wenn ja, welche Unternehmen
sind dies?
- Welche rechtlichen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um eine
Unterwanderung der deutschen Wirtschaft durch Mitglieder der SO zu
verhindern, insbesondere durch eine branchenübergreifende
Kartellbildung?
- Plant die Bundesregierung, die personelle Ausstattung des
Sektenreferats beim Bundesverwaltungsamt zu erhöhen?