DIE ZEIT


32/2005 

Ein gutes Geschäft

Afrika, Lateinamerika, Osteuropa – die evangelikalen Kirchen wachsen weltweit

Von Andrea Böhm

God’s own country nennen die Amerikaner gern ihr Land, »God bless America« ist das obligatorische Schlusswort jeder Rede des Präsidenten. Im Anspruch auf Gottes Segen ist den USA allerdings Konkurrenz erwachsen. Koreanische Christen sind überzeugt, dass Korea Gottes auserwähltes Land sei – bis auf Weiteres zumindest der südliche Teil. In Seoul befindet sich die derzeit größte Kirche der Welt: Die Yoido Full Gospel Church mit über 700.000 Mitgliedern. Sie sind Pfingstgemeindler, glauben wie die Evangelikalen an die Unfehlbarkeit der Bibel und das ausdrückliche Bekenntnis zu Jesus als Herrn und Retter.

Anders als die Evangelikalen suchen sie die Begegnung mit dem Heiligen Geist. Ihre Gottesdienste sind eine Mischung aus Predigt, Wunderheilung, Dämonen-Austreibung und Ekstase. Christliche Kritiker haben dem Kirchengründer David Yonggi Cho vorgeworfen, er vermische protestantische Lehre mit traditionellen Elementen des Schamanismus und Okkultismus. Aber genau darin liegt ihr Erfolg: Pfingstgemeinden und die ihnen verwandten Charismatiker wachsen weltweit so schnell wie keine andere christliche Glaubensgemeinschaft, weil sie Rituale der einheimischen Religionen integrieren.

Cho gilt als einer der Pioniere in der globalen Bewegung der Riesenkirchen. 1968, als in den USA noch niemand von megachurches sprach, drängten sich jeden Sonntag 8.000 Menschen in seinen Gottesdienst. Um der Massen Herr zu werden, entwarf Cho das »radikal neue« System der »Zellen«, das heute so viele Megakirchen kopieren: kleine Gruppen, die sich unter Leitung eines geschulten »Zell-Führers« zu Gebet und Bibel-Lektüre treffen und sich ab einer bestimmten Größe teilen. So ähnlich funktionierten auch kommunistische Bewegungen, doch das hört man nicht gern.

Anfang der achtziger Jahre eröffnete Cho die ersten »Satellitenkirchen« in Seoul und Umgebung, um die Mutterkirche zu entlasten. Bis 2010, so das Plansoll, will die Yoido Full Gospel Church 5000 Satellitenkirchen in Korea betreiben.

Evangelikale Kirchen – egal, welcher Färbung – gedeihen vor allem in Lateinamerika und Afrika. Die Misión Carismatica Internacional des kolumbianischen Prediger-Ehepaars Cesar und Claudia Castellanos zählt über 200.000 Mitglieder. In der nigerianischen Hauptstadt Lagos leitet Pastor William Kumuyi das Deeper Christian Life Ministry mit 120.000 Anhängern.

Das »entchristlichte« Europa ist dagegen ein hartes Pflaster. Hier sind die Wachstumsraten der Evangelikalen im Vergleich zu anderen Regionen der Welt kümmerlich – aber es gibt Ausnahmen. In der Ukraine ist nach Angaben der Zeitschrift Harper’s Magazine die Zahl evangelikaler Christen in den letzten zwölf Jahren von 250.000 auf drei Millionen gewachsen.

Die Namen ihrer Kirchen demonstrieren neues Selbstbewusstsein. The Embassy of the Blessed Kingdom of God for All Nations, die Vertretung des gesegneten Königreichs Gottes für alle Nationen – so hat Pastor Sunday Adelaja seine Gemeinde in Kiew genannt.

Adelaja, Sohn einer wohlhabenden nigerianischen Familie, fand Jesus, als er mit 19 Jahren in seiner Heimatstadt Lagos eine Fernsehpredigt von William Kumuyi sah. Auf der Suche nach einem Stipendium habe ihn Gott zuerst an die Fakultät für Journalistik der Universität Kiew geleitet, ihn dann 1986 in einer Vision beauftragt, vor Massen zu predigen. Adelaja hatte bis zur Kirchengründung 1994 noch einige Gespräche mit dem Allmächtigen. Auf seiner Website reklamiert er, monatlich 1.000 Seelen zu retten, täglich 2.000 Arme in Suppenküchen zu versorgen, insgesamt 3.000 Alkoholiker und Drogensüchtige zu enthaltsamen Christen gemacht und dem »Herrn Tausende von Mafia-Mitgliedern zugeführt« zu haben: »Die ›Vertretung Gottes‹ hat sich voll und ganz der Transformation sämtlicher Bereiche der Gesellschaft gewidmet.« Adelajas Gemeinde verzeichnet heute 20.000 Mitglieder.

Diese sehen in der Embassy of God weit mehr als Europas größte evangelikale Kirche: Sie ist Gottes Instrument, um die Ukraine zu »erwecken«. Ihre Gebets- und Fastenaktionen waren demnach der Auslöser für die Orange Revolution und ein Mahnruf an Europa. »Wir müssen Führungspersonal heranziehen«, erklärte Adelaja unlängst auf einer Pastoren-Konferenz im US-Bundesstaat Colorado. »Sonst tun es die Homosexuellen. Oder die Muslime.«

Nicht jede Megakirche malt solche Feindbilder, manche lassen das Böse im Bereich des Metaphorischen, und womöglich verdanken viele Pastoren ihren Erfolg einer ganz weltlichen Verheißung: der Verheißung des materiellen Wohlstands. Wer durch Jesus »wiedergeboren« wird, verspricht Pastor Cho in Seoul, dem schenkt Gott nicht nur einen Platz im Himmel, sondern auch wirtschaftlichen Erfolg auf Erden. »Im Namen Jesu, kauft Grundstücke, kauft Häuser!«, ruft Pastor Adelaja.

Fernsehsender, Buchverlage, Immobiliengeschäfte – »Megakirchen sind Megabusiness«, schreibt das Wirtschaftsmagazin Forbes. Es ist ein Business mit himmlisch niedrigen Betriebskosten. Im Unterschied zur säkularen Geschäftswelt können sich die Pastoren auf ein Heer von Freiwilligen stützen.

(c) DIE ZEIT 04.08.2005 Nr.32