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ELTERNINITIATIVEN

BERLINER DIALOG 16, 1-1999 - Ostern

Vorschläge für Angehörige von Cult-Mitgliedern

Junge (und manchmal auch nicht mehr ganz junge) Leute, die in Cults oder "New Religious Movements” geraten sind, reagieren sehr unterschiedlicher Weise auf die starke Cult-Bindung.
Einige scheinen damit gut zurechtzukommen, einige werden sehr abhängig von der neuen Gruppe, wieder andere zeigen Anzeichen von Nervosität und Unsicherheit, werden unruhig und überspannt oder abwehrend und aggressiv in ihrer Haltung.
Viele machen den Eindruck, daß sie wie ausgewechselt sind, oft teilnahmslos und in sich zurückgezogen oder wie aufgedreht und hyperaktiv.
Einige bekommen ernstliche seelische Störungen. Bei Anfragen wird oft die Beschwerde erhoben, daß Angehörige es unmöglich finden, mit den neu angeworbenen Mitgliedern eine normale, entspannte Unterhaltung zu führen.
In solchen Fällen könnte es geraten sein, einen Freund der Familie oder einen Pfarrer oder einen kirchlichen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen als Vermittler heranzuziehen.

Was soll man tun?
1. Nutzen Sie jede Gelegenheit aus, um mit dem Cult-Mitglied in Verbindung zu bleiben. Man sollte nicht aufhören mit Schreiben oder Telefonieren, selbst wenn Briefe und Anrufe nicht erwidert werden.
Falls Sie die Eltern des Cult-Mitglieds sind: Vergessen Sie nicht, daß Ihr Kind die Frucht Ihrer Liebe, der Elternhausatmosphäre und Familientradition ist. Diese Einflüsse sind nicht leicht auszulöschen.
2. Stellen Sie fest, wie Ihr Angehöriger auf die Cult-Lebensweise reagiert. Benehmen Sie sich ihm oder ihr gegenüber gelassen und liebevoll.
Damit helfen Sie Betroffenen, entspannter zu sein, was wiederum das Aufnehmen von echtem Kontakt erleichtert.
3. Versuchen Sie, herauszubekommen, was die Gründe für den Cult-Eintritt waren. Wonach suchten Ihre Angehörigen? Was haben sie in dem Cult "gefunden”, oder vielleicht besser: Was glauben sie, dort gefunden zu haben?
Versuchen Sie, sich in die Lage hineinzuversetzen und die Hoffnungen und hochfliegenden Pläne zu verstehen. Anteilnahme und Verständnis sind wichtig für das Wiederherstellen von Vertrauen. Möglicherweise könnte man darauf hinweisen, daß sich die Pläne ohne Cult-Mitgliedschaft ebenso gut, wenn nicht besser, verwirklichen lassen würden.
Man könnte auch fragen, ob und wie der Cult eigentlich seine großen Ideen praktisch verwirklicht.
Dabei muß man sehr vorsichtig und taktvoll vorgehen, damit keine Feindseligkeit aufkommt und man nicht jemanden vor den Kopf stößt, der seinen neuen Glauben und den neuen "Freunden” in der Gruppe fanatisch anhängt.
4. Informieren Sie sich. Nur wenn Sie gut unterrichtet sind, können Sie die Lehre des Cults anzweifeln.
Dies ist wichtig, bedarf aber der Grundlage gegenseitigen Vertrauens. Elterninitiativen können authentisches und objektives Material verschaffen, und Pfarrer und kirchliche Sektenbeauftragte sollten die religiösen Aspekte erklären können. (Leider hat aber nicht jeder die nötige Vorkenntnis, und mancher Pfarrer muß erst einmal über den betreffenden Cult informiert werden).
5. Versuchen Sie, Ihren Angehörigen so weit zu bekommen, daß er anfängt, von sich aus zu denken und Fragen zu stellen. Innerhalb des Cults wird er dazu angehalten, den neuen Glauben bedingungslos und vom Gefühl her anzunehmen. Kritisches Denken ist verpönt. Sehr hilfreich könnte es sein, Beweise vorzubringen für die Vielzahl der Führergestalten mit messianischem Anspruch in den verschiedenen Cults, für ihre autoritäre Herrschweise und ihren beachtlichen Reichtum. Es können unmöglich alle von Gott gewollt sein. Was zeichnet den eigenen Cult-Leiter als so besonders aus?
Auf ähnliche Weise können auch Belege geliefert werden für die zur "Bekehrung" angewandten teils fragwürdigen psychologischen Methoden oder - wo es zutrifft - für die politische und finanzielle Motivierung, die man im Rampenlicht nicht findet, aber um so mehr hinter den Kulissen.
Stellen Sie Fragen im Zusammenhang mit Werbe- und Straßen-Sammelmethoden. Geht es dabei wirklich ehrlich zu? Wird Religion nur als Deckmantel benutzt?
Verhalten Sie sich feinfühlig in Auseinandersetzungen, aber bleiben Sie trotzdem fest bei Ihrer eigenen Überzeugung und handeln Sie so, wie es in der jeweiligen Situation um effektivsten ist. Allgemeingültige Rezepte gibt es nicht, nur Richtlinien, weil jeder Mensch anders ist und auf verschiedene Weise reagiert.
6. Viele junge Leute, die den Eindruck machen, als seinen sie vor allem an einem neuen Glaubenssystem interessiert, werden in Wirklichkeit angezogen und gehalten von der (häufig als Taktik benutzten) Wärme und Akzeptierung innerhalb der Gruppe, der sie beigetreten sind. Der gemeinschaftliche Lebensstil gibt außerdem Gelegenheit, Probleme und Schwierigkeiten, denen man in der Außenwelt begegnet, auszuweichen.
Manches ließe sich eventuell erklären, wenn man einmal in Ruhe darüber nachdächte, wie sich das Leben des jungen Menschen vor dem Cult-Eintritt abspielte. Könnte es sich um "Aussteigen" handeln, um die Flucht vor schwierigen Entscheidungen?
7. Falls der Sohn oder die Tochter zu Besuch nach Hause kommen, versuchen Sie so viel wie möglich zu erneuern an alten Freundschaften und Erinnerungen aus der Vergangenheit. Erzählen Sie ihnen, was in der Welt vorgeht, vor allem GUTE Nachrichten aus der "Normalwelt”, um der CultPropaganda, daß die Welt ganz und gar schlecht ist, etwas Positives entgegenzusetzen.
Versuchen Sie, realistisch zu berichten über das aktuelles Zeitgeschehen.
Innerhalb der Gruppe hat man meist keinen Zugang zu Zeitungen und Fernsehen.
Es ist wichtig, daß die Mitglieder daran erinnert werden, daß ihre Gruppe nicht das Monopol besitzt für guten Willen und religiöse Erlebnisse und daß bisher nichts vorgezeigt werden kann in punkto Verwirklichung von Weltverbesserung.
8. Letzten Endes muß die Entscheidung für oder gegen Eintritt in einen Cult von Ihrem Angehörigen selbst getroffen werden. Machen Sie das klar, aber dringen Sie darauf, daß Studium oder Berufsausbildung erst einmal beendet werden sollten. Zumindest sollten Sie dazu Mut machen, sich die Zeit zu lassen, dies zu Hause oder mit alten Freunden ausgiebig zu bedenken und keine voreiligen Entscheidungen zu treffen.
9. Verhalten Sie sich Cult-Führern und anderen Mitgliedern gegenüber nicht feindselig. Alle Möglichkeiten für Verbindung sollten intakt gelassen werden. Bedenken Sie aber, daß auch Sie anfällig sein könnten im Hinblick auf Überredungskunst und honigsüße Worte von der Art, die Ihre Angehörigen so beeindruckten.
Es ist ratsam, Cultz-Zentren nur in Begleitung eines sattelfesten Freundes zu besuchen.
10. Wenn Sie glauben, daß Sie wirklich Grund haben, besorgt zu sein im Zusammenhang mit medizinischen, psychologischen, finanziellen und anderen Gesichtspunkten der Cult-Bindung Ihres Verwandten, wenden Sie sich an Ihren Abgeordneten und bitten Sie, Ihren Bericht an das Gesundheitsministerium weiterzuleiten.
Führen Sie Buch über alles, was mit der Cult-Bindung des jungen Menschen zu tun hat.

Was soll man tun?
1. Geben Sie unter keinen Umständen Ihrem Angehörigen oder der Gruppe finanzielle Unterstützung.
2. Händigen Sie keine Originaldokumente aus, geben Sie lediglich Abschriften und Kopien.
3. Lassen Sie sich nicht einschüchtern und verängstigen. Sie sollten auch nicht denken, Sie hätten Grund sich zu schämen oder alles allein tragen zu müssen. Viele Familien sind in ähnlicher Lage wie Sie, und das Problem betrifft Menschen aller sozialen, religiösen und finanziellen Lebenskreisen. Niemand ist immun.
Eltern geben sich oft starken Schuldgefühlen hin und dem Gedanken, daß sie etwas versäumt hätten, und daß ihr Kind deshalb dem Cult beitrat. Diese Gefühle sind verständlich. Aber lassen Sie sich davon nicht unterkriegen oder davon abhalten, etwas Vernüftiges zu unternehmen.
4. Geben Sie nie auf! Die Situation ist nicht hoffnungslos.
Lassen Sie uns wissen, wie die Lage ist und wie wir eventuell helfen könnten, oder Sie auch uns. Es ist immer von großem Nutzen, Informationen über Cult-Aktivitäten auszutauschen. Spenden zur Produktion von Schriften und zur Deckung von Telefon- und Portokosten können dazu helfen, unser Arbeitsfeld zu vergrößern und zu verbessern.

Text: Mit freundlicher Erlaubnis von FAIR Family Action Information and Rescue,
BCM Box 3535, PO Box 12, London WC1N3XX



Wer wir sind?

Eltern- und Betroffeneninitiative gegen psychische Abhängigkeit - für geistige Freiheit Berlin e.V.
(EBI), Heimat 27, D-14165 Berlin, Fax: 030-845 09 640

Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus e.V.
(EI), Postfach 100153, D-80082 München, Fax: 089-559-56 13

Eltern- und Betroffeneninitiative gegen psychische Abhängigkeit - Sachsen e.V.
 (EBI Sachsen), Heinrichstr. 11, D-04317 Leipzig, Fax: 0341-689 48 59

Baden-Württembergische Eltern- und Betroffenen-Initiative zur Selbsthilfe gegenüber neuen religiösen und ideologischen Bewegungen e.V.,
(EBIS),Postfach 30,72663 Großbettlingen, Fax: 07022-475 59


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