An heiligen Orten

Mit F. W. Haack unterwegs in Indien, Korea und China - Erinnerungen zum 11. 8. 1995

von Rüdiger Hauth

Inhalt

  1. Have Your Questions Ready oder: Kattas vom Dalai Lama
  2. Bum Il Jon oder: San MyungMuns "Heiliger Ort" in Pusan/Korea
  3. "Wir studierten alle Dinge sehr intensiv"
  4. Durch Führung der Ahnen am heiligen Ort.
  5. Teatime mit Faithy

Have Your Questions Ready oder: Kattas vom Dalai Lama

Am 18. Januar 1983 kamen wir um 13.00 Uhr zur Residenz des Dalai Lamas, vor der schon einige Hundert Tibeter auf den Segen ihres "Gottes" warteten. Neil Duddy hatte für jeden von uns eine "Katta" (eine Art weißen Seidenschal) besorgt, die man in Tibet "statt Blumen" überreicht und mit denen der Dalai Lama normalerweise bei der Begrüßung geehrt wird.

Am Eingangstor mußten wir eine gründliche Kontrolle über uns ergehen lassen, vorgenommen von einem baumlangen Sikh, und unsere Personalien samt Paßund Visanummern wurden in ein dickes Buch eingetragen. Dann holte uns der Privatsekretär ab und führte uns in den Empfangsraum, der mit kostbaren Teppichen und tibetischen Kunstgegenständen ausgestattet war.

Der Dalai Lama kam uns freundlich lächelnd entgegen und fragte Fritz und mich nach der Bedeutung der Symbole des "Kuffnucken-Ordens", die wir umhängen hatten. (Seit diesem Tag heißt es auf die Frage nach der Bedeutung dieser Symbole stets: ,Das ist eine sehr gute Frage; die selbe Frage hat der Dalai Lama bereits 1983 in Dharamsala gestellt-.)

Der Dalai Lama nahm nun unsere Kattas in Empfang, die wir ihm etwas umständlich über die ausgestreckten Hände legten; dann nahmen wir Platz. Nachdem wir uns vorgestellt hatten, fragte Johannes Aagaard den Dalai Lama, wie wir ihn anreden sollten. Der Dalai Lama erwiderte, daß wir in diesem Kreis die Anrede "Eure Heiligkeit" weglassen sollten, er sei nur ein einfacher Mönch.

Fritz und ich sprachen u.a. die Problematik an, die sich daraus ergibt, daß junge Leute im Westen sehr schnell die tibetische Meditation praktizieren. Ich schilderte einige Fälle mit negativen Auswirkungen. Der Dalai Lama hörte interessiert zu, fragte seinen Sekretär, ob er alles richtig verstanden habe und antwortete dann auf Englisch: Junge Leute im Westen sollten sehr vorsichtig sein und die asiatischen Meditationstechniken nicht vorschnell ausüben. Sie sollten die Hintergründe genau studieren und sich Kenntnisse verschaffen, worum es eigentlich gehe; das könne unter Umständen Jahre dauern. Die Probleme mit der Meditation seien nicht auf Jugendliche aus dem Westen beschränkt. Auch Tibeter können durch die unsachgemäße Anwendung der Meditationstechniken in große Schwierigkeiten kommen. Er kritisiert dann solche Lamas, die den jungen Leuten im Westen bereits zwei oder drei Wochen nach dem ersten Kontakt die "Einweihung" geben.

Neil Duddy fragte nach dem Konzept von Karma und Reinkarnation und danach, warum normale Menschen "buddhahood" kaum erreichen, er aber (der Dalai Lama) die Buddhaschaft voll verwirklicht habe; da antwortete der Dalai Lama ausweichend und philosophisch.

Das Gespräch dauerte schließlich dennoch fast 90 Minuten, während denen der Privatsekretär von einem Fuß auf den anderen trat, denn vorgesehen war ursprünglich kein richtiges Gespräch, sondern nur eine Begegnung von 15 Minuten und insgesamt drei Fragen ("have your questions ready").

Stattdessen gingen wir nun auch noch alle in den Garten und machten Photos. Zum Abschied übergab der Dalai Lama jedem von uns eine besonders gearbeitete Katta, wobei er sich tief verneigte und eine Segensgeste ausführte.

Auf dem Rückweg ins Dorf, die Katta hatten wir um den Hals hängen, versuchten Einheimische, uns und die Katta zu berühren, die sie wohl als vom Dalai Lama stammend erkannten.

Bum Il Jon oder: San MyungMuns "Heiliger Ort" in Pusan/Korea

Im Herbst 1984 führte uns eine Reise nach Japan und Korea. Vom 27. September bis 22. Oktober waren wir mit Johannes Aagaard und einigen dänischen Studenten in Japan unterwegs gewesen; dann trennten sich Fritz Haack und ich von der Gruppe, um noch für 12 Tage nach Korea zu fahren. Am 23. Oktober nahmen wir in der südkoreanischen Hafenstadt Pusan mit dem örtlichen Mun-Center Kontakt auf und trafen uns zu einem Gespräch. Der dortige Leiter, Mr. No Hak Woo (etwa 30 Jahre alt), berichtete, daß es in Pusan den "heiligsten Ort" der MunBewegung gäbe; dort, wo San Myung Mun 1951 in einer Hütte lebte und ihm die "Göttlichen Prinzipien" offenbart worden seien. Das jetzt "Tiger-Tempel" (Bum Il Jon) genannte Haus liege in einem nördlichen Stadtteil.

Es kostete uns einige Mühe und Überredungskunst, Mr. No zu veranlassen, uns dorthin zu fahren. Schließlich orderte er einen sekteneigenen Wagen (mit Fahrer) und brachte uns zu dem betreffenden "Heiligtum", einem dreistöckigen Neubau, dessen Eingänge mit starken Rolltoren gesichert waren.

Das ganze Haus ist um einen etwa zehn Meter langen und vier Meter breiten Felsen herum gebaut, der jetzt im Inneren hinter riesigen Glasscheiben zu sehen ist. Auf diesem Felsen soll Muns Hütte gestanden haben.

Der Raum in der zweiten Etage gilt als das eigentliche "Heiligtum". An der Stirnwand stehen zwei kostbare Sessel für die "Wahren Eltern"; an den Wänden

"Wir studierten alle Dinge sehr intensiv"

Vitrinen mit Originalstücken der Munbewegung: Die erste Ausgabe der "Göttlichen Prinzipien", die altertümlichen Schreibgeräte Muns und vieles andere.

Wir studierten alle Dinge sehr intensiv und stellten uns dann auf einen dicken roten Teppich in der Mitte des Raumes. Mr. No und der Fahrer knieten nieder und beteten inbrünstig in Richtung auf ein Bild "Vater Muns", das an der Wand hing. Etwas später mußten wir uns in das Gästebuch eintragen. Vor uns waren wohl erst drei oder vier Besucher hier: Wir erkannten den Eintrag des damaligen Präsidenten der amerikanischen Munbewegung, Dr. Mose Durst. No erklärte, daß auch höhere Funktionäre kaum die Erlaubnis erhielten, diesen Ort zu besuchen.

Foto: Rüdiger Hauth

Er zeigte auf zwei Seiten in dem Gästebuch, die er mit seinem eigenen Blut geschrieben hatte; auf der ersten hatte er in Koreanisch geschrieben (er übersetzte): "Sieg über den Kommunismus" und auf der zweiten: "Vater, ich folge Dir bis in den Tod". No berichtete, er habe sich beim Schreiben in den Finger gebissen und dann mit dem Blut geschrieben.

Durch Führung der Ahnen am heiligen Ort.

Wir selbst, so meinte er, seien nicht auf eigene Veranlassung zu diesem "heiligen Ort" gekommen; vielmehr sei es die "göttliche Vorsehung" und die "Führung der Ahnen" gewesen. Plötzlich wurde No sehr emotional. Er ergriff unsere Hände, riß sie nach oben und rief "Vater Mun, ich bringe dir diese Seelen".

Nun wollten wir doch wieder gehen. Aber zum Abschluß ging es nun noch gemeinsam zu einem regulären "Heiligen Grund", der auf einer kleinen felsigen Anhöhe hinter dem Haus lag. Auf diesem Plateau meinen die Mun-Anhänger, über sich "den Himmel offen" zu sehen, weil Mun hier mit "Gott" direkt konferiert und die "Offenbarungen" erhalten habe. Schon auf dem Wege dorthin rief No ständig: "Vater, wir kommen...". Am "Heiligen Grund" selbst betete No wieder sehr emotional, und wir sollten dann in eine Art "Mantra" einstimmen: "Vater Mun, wir danken dir"; die entsprechenden koreanischen Worte sagte er uns wieder und wieder vor.

Am nächsten Morgen fuhren wir mit dem Zug nach Seoul, wollten uns aber vorher am Bahnhof noch einmal mit Mr. No treffen. Er kam jedoch nicht. Vielleicht war es ihm über Nacht bewußt geworden, daß er (unerlaubterweise) völlig Fremden den "heiligsten Ort" der Mun-Sekte "offenbart" hatte.

Wiedersehen mit Faithy oder: Besuch bei der "Royal Family" Mose Davids Kinder in Macao Die vorletzte Reise, die Fritz Haack und ich unternommen haben, führte uns im Januar und Februar 1988 nach Nepal und Hongkong.

Ende Januar waren wir, von Kathmandu kommend, in Hongkong eingetroffen mit dem Vorhaben, die portugiesische Besitzung Macao zu besuchen, wo es eine größere Kolonie der "Kinder Gottes" (jetzt "Die Familie") gibt. Von christlichen Freunden in Hongkong wußten wir, daß sich Jonathan, der noch lebende Sohn von David Berg, mit seiner Familie und einer Reihe von Anhängern in Macao niedergelassen hatte. Eine junge christliche Chinesin, Grace Ma, die sich wie wir ebenfalls mit Sekten beschäftigte, hatte einige Monate zuvor schon einen Besuch bei Jonathan gemacht und seitdem mit ihm korrespondiert.

Am 4. Februar ging es morgens mit dem Jetfoil von Hongkong nach Macao und dort mit dem Bus nach Coloane im Süden. In der Nähe der "Hac Sa"-Bucht, einem Ausflugsgebiet, liegt "The Rising Sun Farm", die "Kolonie" der Kinder Gottes. Da Grace, die uns begleitete, dort bereits bekannt war, fiel die Begrüßung recht freundlich aus. Bei einer Tasse Tee plauderten wir zunächst mit einem jungen Engländer, der vor vielen Jahren in Afghanistan zu "Children of God" gestoßen war. Dann kam Jonathan (damals 35) und etwas später seine gerade zu Besuch weilende Schwester Faith Dietrich (damals 37).

Teatime mit Faithy.

Diese beiden hatte ich im September 1971 bei einem sogenannten Jesus-Festival in Herne/Westf. zum ersten Mal getroffen. Damals war über die Hintergründe der Kinder Gottes bei uns ja noch nichts bekannt - im Gegenteil, man hatte sie als "besonders sittenstrenge Jesus-Kommune" angekündigt.

Der Hinweis auf dieses Ereignis, von Faith überschwenglich als Beginn der "Jesus-Revolution" in Deutschland kommentiert, lockerte die Gesprächsatmosphäre spürbar auf. Jonathan und Faith schrieben nun ausführliche Grußworte in unsere Reisetagebücher, erzählten vom Alltagsleben auf der Farm, und dann stellte Jonathan seinen (damals) fast 18jährigen Sohn vor, der bald "ausgesandt" werden soll: Ein CoG-Missionar der zweiten Generation.

Es folgte eine Besichtigung des Geländes, der Viehställe und Gärten, und anschließend ein Besuch bei einigen Familien der CoG. Jonathan meinte, daß sie hier ganz frei seien: Die örtlichen Behörden würden sich nicht im geringsten um das kümmern, was hier geschehe. Ein ideales Versteck also für die "Royal Family", d.h. die Spitzenführer der Kinder Gottes.

Beim Lunch wurde ein Videoband vom letzten Weihnachtsspiel gezeigt, zu dessen Aufführung Tausende von Besuchern gekommen sein sollen; auch das Fernsehen habe darüber berichtet. Damit sollte in der Öffentlichkeit wohl das Image einer harmlosen christlichen Gemeinschaft propagiert werden.

Nach dem Lunch gab es eine Stunde lang Einzelgespräche: Fritz Haack redete mit Jonathan, Grace mit Ruth (Jonathans zweiter Frau) und ich mit Faith Dietrich. Faith erzählte mir damals, daß sie noch Kontakt zu ihrer Mutter, Jane Miller, habe, die zu dieser Zeit in Mexiko lebte. Diese war Ende der 60er Jahre von Mose David zugunsten eines damals 17jährigen Mädchens namens Maria verlassen worden.

Während des Gesprächs zeigte mir Faith das "Book of Remembrance", eine Art Foto-Dokumentation der Kinder Gottes, von den Anfängen in Kalifornien 1966 bis in die 80er Jahre hinein. Diese Bände der Familiengeschichte werden als sehr privat bezeichnet und enthielten tatsächlich auch Fotos und Dokumente, die sonst wohl nirgends zu sehen sein werden.

Faith Dietrich spielte für uns: "Du mußt ein Baby sein, um in den Himmel zu kommen"

Foto: F.W. Haack, Archiv Hauth

Dann bat ich Faith, einige Lieder der Kinder Gottes zur Gitarre zu singen, was sie nach einigem Zieren auch tat. Als sie die frühe CoG-Hymne "You got to be a Baby to go to Heaven..." anstimmte, liefen Jonathan aus geschlossenen Augen Tränen über das Gesicht. Er sagte, daß dieser Song schon viele Jahre nicht mehr gesungen worden sei. Empfand er vielleicht eine sentimentale Erinnerung an jene Zeit, als sich die Kinder Gottes noch als rein evangelistische Jesus-People verstanden und es den Sündenfall des "Flirty Fishing" noch nicht gegeben hatte?

Als Abschluß des Nachmittags trat eine kleine Kinder-Truppe von 5- bis 15jährigen auf, zum Teil Jonathans Sprößlinge, die er mit seinen beiden Frauen Esther und Ruth hat; es waren wahrscheinlich (der Hautfarbe nach zu urteilen) aber auch Flirty-Fishing-Kinder dabei. Sie präsentierten den Gästen eingeübte Songs in englischer und chinesischer Sprache, mit denen sie sonst, wie uns erklärt wurde, in Restaurants und Nachtclubs auftraten, um Geld zu sammeln. Alles wirkte auf uns sehr künstlich und dressiert, besonders die erotischen Bewegungen der älteren Mädchen.

Wir verabschiedeten uns und bekamen noch die neuesten Materialien der Gruppe. Beim Gehen fiel mein Blick auf eine "Gebetstafel", die an einer Säule hing. An jedem Tag der Woche sollte hiernach für bestimmte Leute gebetet werden. Am Montag etwa für "Dad and Maria", an anderen Tagen für Aufseher, Missionare usw. Aus dem Gespräch mit Faith war zu entnehmen, daß sie zu dieser Zeit wohl als reisender "Chief-Supervisor" der etwa 8000 Kinder Gottes in aller Welt fungierte.

Die Begegnung mit David Bergs Kindern und der gesamte Aufenthalt in der geheimen Weltzentrale der Children of God, über die wir ja seit 1972 so viel geschrieben und geredet hatten, war für Fritz Haack und mich ein besonderes Erlebnis.

Als wir nach einem kleinen Stadtbummel durch Macao abends zum Jetfoil zurückgingen, stand Jonathan an der Fähre und winkt uns zu. Quer durch die Abfertigungshalle rief er, daß es für ihn ein schöner Tag gewesen sei und wir beim nächsten Mal sehr viel mehr Zeit mitbringen müßten.


Pfr. Dr. Rüdiger Hauth, 55,
Mitglied unseres wissenschaftlichen Beirates, ist Beauftragter der Westfälischen Kirche für Sekten- und Weltanschauungsfragen und seit 1995 Vorsitzender der Konferenz der Beauftragten für Sektenund Weltanschauungsfragen in der EKiD (EKW).Gemeinsam mit Friedrich-Wilhelm Haack führte er die "aufsuchende Apologetik" als Arbeitsform in die kirchliche Arbeit in Deutschland ein. In Zusammenarbeit mit dem DCI und der ökumenischen Konsultation Landeskirchlicher Beauftragter (KLB) organisiert und leitet er heute religionswissenschaftliche Studien- und Forschungsreisen auf allen Kontinenten.

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