Der Aum Shinri-Kyo-Kult des Shoko Asahara

von Alexander L. Dvorkin
Neben Material des Aum ShinriKyo-Kultes wurden in diesem Text Veröffentlichungen in den Zeitungen "Orthodox Moscow" und "Workers Tribune", aus den Bulletins des Religiösen Informationsdienstes "Metaphrasis" und Informationen aus einem Flugblatt des A.S. Chomijakow Rehabilitationszentrums verwendet.

Inhalt

  1. Die Zeit war reif für einen neuen Kult in Rußland
  2. AUM-Kult in Rußland und seine Freunde
  3. Herkunft und Geschichte
  4. Lehre
  5. AUM und Endzeit
  6. Aufbau
  7. Punktesystem
  8. Zaike und Shukke
  9. Übungen
  10. Geld
  11. Vom Eintritt zum Bruch (shukke) mit der Vergangenheit
  12. AUM und Christentum
  13. Erfahrungen höherer Welten
  14. AUM und die gegenwärtige Situation in Rußland
Erst die tragischen Vorfälle in der Tokioter Untergrundbahn im Frühjahr 1995 haben das öffentliche Augenmerk auf "AUM Shinri-Kyo" und den Gründer Shoko Asahara gelenkt

Als allmählich immer mehr Einzelheiten über diesen bizarren Kult und die Ereignisse, die zur Verhaftung von Shoko Asahara führten, bekannt wurden, fragte man sich, wie es so weit kommen konnte.

Wie konnte es geschehen, daß eine Organisation, die in Japan Waffen anhäufte, die todbringende Chemikalien herstellte und Tokio von der Oberfläche der Erde "ausradieren" wollte, daß eine Organisation, die in Japan bereits Leben zerstört und Familien gespalten hatte und ständig mit dem Gesetz in Konflikt geriet, im Nachbarstaat Rußland fast unbegrenzte Unterstützung von Beamten im Regierungsrang erhielt, so daß sie wachsen und immer stärker werden konnte?

Die Zeit war reif für einen neuen Kult in Rußland

Bald nachdem das Ende der Welt das die "Weiße Bruderschaft" angekündigt hatte, nun doch nicht stattgefunden hatte und die Flut ihrer Drucksachen versiegte, wurde Moskau mit einer Unzahl von farbigen Flugblättern überschwemmt, die das Porträt eines langhaarigen, bärtigen orientalischen Herrn zeigten. Er bezeichnete sich als den "hochwürdigen Lehrer Shoko Asahara" und den "Geist der Wahrheit" und versprach all denen, die ihm folgten, Glückseligkeit und Rettung von Schmerzen. Man erfuhr außerdem, daß seiner Lehre mit dem zungenbrecherischen Namen "Aum Shinri-Kyo" "die wahren buddhistischen Schriften und wahre Yoga-Quellen zugrunde liegen" und daß sie zugleich auch "eng mit dem Christentum zusammenhängt, d. h. mit den Lehren Jesu Christi übereinstimmt".

Die Flugblätter informieren uns, daß "Aum Shinri-Kyo" eine Religion auf wissenschaftlicher Grundlage ist, die jedem in allen Belangen hilft: Sie heilt Krankheiten, verhilft zu phänomenalem Erfolg in Beruf und Studium sowie zu Reichtum in dieser Welt und gleichzeitig Erleuchtung und Befreiung in der zukünftigen Welt. Zur Bestätigung finden sich darin Aussagen und Fotografien von mehreren Menschen mit zufriedenem Lächeln, die schon all das Versprochene erlangt haben, sowie Fotografien von Asahara zusammen mit einer Reihe von wohlbekannten und nicht so bekannten Leuten (hauptsächlich Buddhisten, aber auch eine Anzahl von russischen gesellschaftlichen und religiösen Persönlichkeiten).Alle Interessierten werden eingeladen zu Konzerten astraler Musik des Orchesters "Kiren", über das sich eine Anzahl von Leuchten des russischen Musiklebens in den höchsten Tönen geäußert haben.

Die Flugblätter versprachen jedenfalls all denen, die sich dem Kult anschließen, daß sie in den Genuß der "weisen Führerschaft der besten Jünger des Lehrers Asahara" kommen würden.

AUM-Kult in Rußland und seine Freunde

Die religiöse Vereinigung "Aum ShinriKyo" (wörtliche Übersetzung: "Der Weg oder die Lehre vom wahren -Aum". ("Aum" ist eins der buddhistischen Mantras) erschien in Japan im Jahre 1986 auf der Bildfläche. Sie hatte dort zuletzt etwa fünfundzwanzig Untergruppen und einige Kommunen, in denen die Vollzeitmitglieder leben. Sie hat Außenstellen in New York, Bonn und Sri Lanka. Schon vor 1995 ist vielen Menschen in Japan von dem Kult Schaden zugefügt worden. Im Jahre 1989 wurde die Vereinigung für die Opfer von Aum Shinri-Kyo in Japan gegründet; ihr Vorsitzender war Herr Sakamoto, ein Rechtsanwalt, der im November 1994 zusammen mit drei weiteren Mitgliedern seiner Familie entführt wurde. Die Vereinigung kümmert sich hauptsächlich um die Kinder von AUMMitgliedern und andere Opfer des Kults.

In Rußland begannen die Aktivitäten des Kults 1992. Seine Einführung wurde durch eine mächtige Anzeigenkampagne eingeläutet. In den ersten Monaten wurden ungefähr 1,5 Millionen Dollar für eine tägliche einstündige Sendung in Radio "Majak" ausgegeben und noch einmal die gleiche Summe für ein halbstündiges Fernsehprogramm einmal wöchentlich. Große Beträge wurden für Zeitungsanzeigen aufgewandt, Millionen von farbigen Flugblättern und Plakaten wurden hergestellt, Werbung lief über das Lautsprechersystem der Moskauer Untergrundbahn. Dazu fand AUM in Rußland Anerkennung in den höheren Kreisen des Staatsapparates und profitierte von der Protektion einflußreicher Persönlichkeiten, die dem Kult ihre Unterstützung angedeihen ließen.

Daß Aum Shinri-Kyo nach Rußland kam, hängt direkt mit dem engsten Vertrauten des Präsidenten der Russischen Föderation zusammen, der in den höheren Rängen russischer Entscheidungsträger recht einflußreich ist. Dieser Mann ist Oleg Lobow, der Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation. Asahara wurde auch vom damaligen Vizepräsidenten der Russischen Föderation, Alexander Ruzkoj und dem (damaligen) Sprecher des Obersten Sowjet Ruslan Chasbulatow empfangen. Nach mehreren Treffen mit Asahara in Tokio und Moskau wurde Lobow Präsident der neugegründeten Russisch-Japanischen Universität, die einen durchaus vagen Lehrplan hatte. Er brachte diese Universität jedoch sofort in einem großen Gebäude in einem angesehenen Teil des Zentrums von Moskau unter. In genau demselben Gebäude wurde eine der Zweigstellen von "Aum Shinri- Kyo" eröffnet. Asahara und seine Statthalter bekamen russische Dauervisa und Limousinen mit Regierungskennzeichen der Russischen Föderation.

Diese Verbindungen ganz oben trugen Frucht: Im gleichen Jahr 1992 noch wurde "Aum Shinri-Kyo" mit einem Zentrum in Moskau beim Justizministerium eingetragen. (Mitte 1994 wurde der Kult in Moskau nochmals eingetragen unter dem Namen "Die Lehre der Wahrheit AUM".) Alle ein bis zwei Monate wurden Massen-Initiationszeremonien im Olympiastadion und andernorts durchgeführt. Der Aufbau der Gruppe ist klar gegliedert. Moskau ist in Zonen eingeteilt, diese wieder in Regionen. Jeder Sektion steht eine Person vor. Die führenden Positionen sind mit Japanern besetzt. Nach eigenen Angaben von "Aum Shinri-Kyo" hatten sie im Januar 1995 in Moskau 35000 Anhänger. Diese Zahl ist wahrscheinlich übertrieben. Immerhin gab es im Januar sieben AUM-Zentren in Moskau und sechs weitere Zweigstellen in Rußland (u. a. in St. Petersburg, Murmansk, Archangelsk, Wladikawkas und Baschkirien)

Herkunft und Geschichte

Shoko Asaharas wirklicher Name ist Chizuo Matsumoto. Er wurde 1955 in dem Städtchen Jatsushiro in der Provinz Kumamoto geboren. Seit seiner Geburt war er auf einem Auge blind, schwer sehbehindert auf dem anderen. Nachdem er die Schule für Kinder mit Sehbehinderungen verlassen hatte, arbeitete er als Spezialist für Akupunktur und Moxibustion. Nach seiner Eheschließung arbeitete er in einer chinesischen Apotheke in Funabashi im Distrikt Chiba. Er rechnete betrügerisch Krankenkassenzahlungen in Höhe von 6,7 Millionen Yen durch Fälschung von Rezepten ab und mußte den Betrag zurückzahlen. Im Jahre 1981 eröffnete er seine eigene Apotheke in der gleichen Stadt, die aber nicht recht lief. Dann bildete er die "Himmlische Segnungsgesellschaft" und als ihr Vorsitzender produzierte er Schwindelmedizin und bot Rheumatismus-Kuren für Leute über sechzig an. Bei diesen Geschäften soll er 40 Millionen Yen verdient haben.

Er wurde festgenommen und zu einer Geldbuße von 20.000 Yen verurteilt.

Nach Angaben in seinen eigenen Büchern jedoch praktizierte er gleichzeitig seit 1977 Yoga und entwickelte seine eigene Lehre. 1984 eröffnete er ein YogaInstitut in Shibuya, Tokio. Gleichzeitig gründete er AUM Ltd. für den Handel mit religiösen Waren und wurde geschäftlich als Direktor der Firma tätig.

1985 gab Asahara bekannt, daß er frei schweben könne, und verhieß, daß er ein Jahr später leicht wie ein Vogel werde fliegen können. 1986 nahm seine Organisation einen religiösen Charakter an; AUM Shinzen no Kai wurde gegründet und Mitglieder wurden aufgenommen. Im gleichen Jahr erlangte Asahara im Juni im Himalaja die "endgültige Erleuchtung", während seine Organisation sich ab Juli 1987 den Namen "Aum Shinri-Kyo" zulegte und viele Untergruppen überall in Japan bildete.

Vom August 1989 an geriet die Organisation in Japan in schlechten Ruf, weil zu dieser Zeit Konflikte zwischen AUM und den Einwohnern einer Anzahl von Dörfern entstanden; es hatte kriminelle Umtriebe gegeben.

Nach einigen Quellen besitzt Asahara in Japan auch eine Kette billiger Restaurants, aus denen ihm ein gesichertes gutes Einkommen zufließt.

Asahara deutet gern an, daß er als Haupt einer religiösen Organisation "für die Wahrheit gelitten" habe: "Um der Wahrheit willen wird AUM seinen guten Namen opfern ... Aum ist der repressiven Gewalt des Staates einschließlich der Massenmedien ausgesetzt".

Der Organisation wurde vorgeworfen, sie sei finanziell korrupt, hinterziehe Steuern und verwende Gelder, die für religiöse Zwecke gespendet wurden, zum persönlichen Vorteil.

Lehre

Die Lehre des Kults basiert auf tibetischem Buddhismus, aber hinzu kommen Methoden zur gezielten Erlangung von übernatürlichen Kräften und nach 1990 auch endzeitliches Denken.

Asahara schreibt z.B.: "AUM enthält das Wesentliche aller religiösen Systeme, die es jemals auf dieser Erde gegeben hat"; "AUM ist die einzige religiöse Organisation, die eine erschöpfende Erklärung der Wahrheit bietet" usw. Das Ziel der Organisation wird so beschrieben: "Die eigene Immaterialität verstehen, die eigene Zugehörigkeit zu höheren Welten und den Auserwählten; Gesundheit zu garantieren, übermenschliche Gaben und Möglichkeiten, den Tod schmecken und die Erfahrung anderer Leben gewinnen."

In Wirklichkeit ist die religiöse Lehre von Aum Shinri-Kyo eklektischen Charakters, d.h. aus allen möglichen Quellen zusammengeschustert: aus Elementen des nördlichen Buddhismus (Mahayana), tibetanischem esoterischem Buddhismus, indischem Yoga, Taoismus, Tantrismus usw. Man sollte hinzufügen, daß russische Buddhisten Asahara mit kritischem Blick betrachten und glauben, daß er "von der wahren Lehre Buddhas abgewichen" sei.

AUM und Endzeit

Aber der "Lehrer" beruft sich auch gern auf christliche Texte. In seiner Interpretation der Offenbarung des Johannes sagt Asahara zum Beispiel, daß ein "Harmageddon" (3. Weltkrieg) am 1. August 1997 stattfinden werde. Damit sind wir bei AUMs Endzeitlehre. Asahara definiert AUM als "Schöpfung, Existenz und Vernichtung des Universums", und deshalb sei es notwendig, sich auf die "Ankunft des Heilands am Ende dieses Jahrhunderts" vorzubereiten.

"Satan, der Teufel, ist Herr dieser Erde" spricht Asahara "deshalb muß die Erde zerstört werden." Er schrieb auch: "Wenn die Lehre AUM weit verbreitet ist, wird es einen großen Krieg geben ... Nur wer verborgen ist in den Bergen, wird gerettet werden ... Diese Erde ist die Welt der Vipern, voll tödlichen Giftes ... Wir werden diese Welt zu verlassen suchen ... Das ist der Anfang unserer spirituellen Exerzitien."

Aufbau

Der Kult ist nach strengen Prinzipien aufgebaut. Jedes neue Mitglied wird in einer Computer-Datei erfaßt, ihm wird eine Personalnummer zugeteilt und - nach der Initiation - ein neuer Name. Beim Eintritt muß man einen äußerst detaillierten Fragebogen ausfüllen (Geburtsdatum auf die Minute genau, Blutgruppe, Angaben, in welcher Weise man der Organisation nutzen kann, bisherige Arbeitsstellen, Interessen, Führerschein, berufliche Qualifikationen, Fremdsprachenkenntnisse, ob man für die Organisation Telefongespräche führen kann oder ob ein Codename verwendet werden sollte usw.) und eine ziemlich hoch bemessene "Spende" bezahlen. Alles, was Kult Mitgliedern zustößt, wird aufmerksam registriert: Bewußtseinsveränderungen, finanzielle Zuwendungen, Farbe und Größe gespendeter Kleidung, die Zahl der verteilten Kassetten, Bücher und Plakate, Kontakte mit Freunden, Teilnahme an Seminaren und Meditationen usw.

Punktesystem

Der Kult hat einen esoterischen Charakter; die wichtigsten Wahrheiten werden vor Uneingeweihten geheim gehalten. Zwanzig Stufen der Initiation werden genannt. Am wichtigsten ist es, sich in den Augen des Lehrers Verdienste zu erwerben: Das hilft dem Mitglied, Punkte zu sammeln, die unerläßlich sind für den Fortschritt von Stufe zu Stufe. Auf der ersten Stufe gibt es zwanzig Punkte, und je weiter man aufsteigt, desto mehr Punkte sind nötig, woraus dann ein sehr langer Weg zur höchsten Stufe resultiert.

Die Punkte erhält man durch Teilnahme an verschiedenen Yogaübungen, Seminaren und Meditationen, die viele Stunden andauern, und durch die Verteilung von Asaharas Broschüren und Büchern. Durch die Verteilung von tausend Broschüren erwirbt man einen Punkt, ebenso durch das Anschlagen von zwanzig Plakaten. Für jeden neuen Konvertiten bekommt man ganze fünf Punkte. Daneben wurde ein System von Anreizen für diejenigen, die erfolgreich neue Mitglieder werben, ausgearbeitet: Wer zwei Leute anwirbt, bekommt eine mittelgroße Fotografie des "Lehrers", für zehn Anwerbungen gibt es eine große. Für zwanzig und mehr Leute erhält man die Energie des "ehrwürdigen Lehrers" mit Hilfe spirituell aufgeladener Süßigkeiten, die Fünfzig bringt einem den Titel "Heiland" ein, während man für hundert neue Mitglieder in die Ränge des "HinayanaTsandali" initiiert wird.

Zaike und Shukke

Unter den Kult-Anhängern gibt es jene, die zu Hause leben ("zaike"), und diejenigen, die ihr Zuhause aufgegeben haben ("shukke"), und in der Art von Mönchen und Nonnen als "Samanas" in Wohngemeinschaften leben. Letztere weihen Körper und Seele Asahara, schließen sich vollständig ab von der Welt, von Kontakten mit ihren Familien und der Gesellschaft und verwenden ihre Energie auf ihre eigene Seelenrettung und die anderer. Außerdem beschleunigt nach den Lehren des Kultes das Verlassen der vertrauten Umgebung den Fortschritt in religiösen Übungen und wird hauptsächlich den jungen Anhängern des Lehrers empfohlen. Die "Samanas" steigen über verschiedene Stufen auf und geben so dem Kult einen hierarchischen Aufbau. An der Spitze des Kultes steht der "geachtete Meister" Asahara, ihm folgen die führenden Jünger wie zum Beispiel die "Lehrer" Keima und Achari (Asaharas dritte Tochter, die jetzt etwa 12 Jahre alt ist) und andere "Samanas" niedrigeren Ranges. Dieser Aufbau stellt die absolute Unterwerfung der niedriger stehenden Mitglieder unter die höhergestellten sicher.

Übungen

Um in das Reich absoluter Freiheit, Glückseligkeit und Freude zu gelangen, muß man sich asketischen Übungen unterziehen. Asahara behauptet, daß es durch die Anwendung alter Geheimzeremonien und "moderner Methoden" möglich sei, in weniger als zwei Jahren übernatürliche Kräfte zu erwerben. Die Initiationszeremonie heißt "shaktipat". Nur KultMitglieder sind zugelassen, Außenstehenden wird die Teilnahme strikt verweigert. Ein Asahara wohlgesonnener Mann beschreibt die Zeremonie folgendermaßen: "Die Stimme Asaharas wird immer leiser, dann wird sein Gesichtsausdruck leer, sein Gesicht nimmt eine fahle Farbe an und beginnt anzuschwellen, seine Lippen werden purpurrot, er verfällt in tiefe Trance. Bei diesem Ritual kommt es darauf an, daß Asahara seinen Jüngern seine Energie dadurch übermittelt, daß er ihre Stirn mit seinem Zeigefinger berührt. Dieser Kunstgriff kann die spirituelle Energie, die am unteren Ende der Wirbelsäule verborgen liegt (die Kraft der "KundaliniSchlange" - A. D.) freisetzen. Gleichzeitig nimmt Asahara das sündige Karma seiner Jünger auf sich: sowohl die Sünden, derer sie sich in diesem Leben schuldig gemacht haben, als auch die aus früheren Inkarnationen."

Eine Übung, die als "Verehrung des Ritsui" bezeichnet wird, beinhaltet das Lied "AUM, ich habe Zuflucht gefunden in dem Guru und Shiva", dann das Sich-Niederwerfen auf den Boden und Verehrung (Anbetung). Diese Übung dauert über zehn Stunden. Bei wieder einer anderen Übung sitzt man in der Lotus-Position und atmet bis zu 25 Mal tief ein und aus, und dann, nachdem mit dem letzten Ausatmen die Lungen geleert worden sind, werden mit dem Anhalten des Atems drei Körperöffnungen geschlossen: die Kehle, der Magen und der Anus.

Es gibt noch einige andere Übungen, aber um zu ihnen zugelassen zu werden, muß man erst "Shaktipat" erhalten haben.

Sogenannte "Initiation" und weitere Unterweisung wird durchgeführt, wenn Asahara Leute als "reif für die Erleuchtung" auswählt. Solche "Initiationen" mit unterschiedlichen Techniken und Beigaben kosten zwischen 50.000 und 100.000 Yen. Eins dieser Rituale besteht im Trinken von Asaharas Blut, bei einem anderen soll sein Sperma eingenommen werden.

Eine "Initiation" besteht in dem Erweb eines "Pulsha" genannten Ansteckknopfes mit Sicherheitsnadel, ein "Trainingssystem, das in geometrischem Maßstab die Spiritualität anheben" soll. Die Knöpfe gibt es in verschiedenen Farben, und man darf immer nur einen tragen, der mit der eigenen Entwicklungsstufe korrespondiert.

Es gehört zu den Stufen des "Sado Tantra", daß junge weibliche "Samanas" (Nonnen) Geschlechtsverkehr mit Asahara haben; einige Opfer sind in Japan aktenkundig geworden.

"Aum Shinri-Kyo" benutzt auch mechanische und elektronische Apparaturen zur Bewußtseinskontrolle: Die Mitglieder müssen die "Erleuchtungshelme" tragen, die Vibrationen und ultratiefe Geräusche aussenden (Bei einigen der früheren Anhänger zeigten sich nach dem Tragen dieser Helme Brandwunden auf dem Kopf), auch die synthetischen Matratzen, auf denen die Mitglieder schlafen, sind von elektrischen Drähten durchzogen. Weitverbreitet ist der Gebrauch von Gasen und anderen Chemikalien, die sowohl intravenös als auch oral genommen werden. Eine der "Samanas" erbrach Pillen, die sie eingenommen hatte, sie mußte ihr Erbrochenes wieder vom Fußboden aufessen.

Nahrung und Schlaf der "Samanas" werden auf ein Mindestmaß eingeschränkt: zwei bis vier Stunden Schlaf und zwei Teller Reis pro Tag.

Von großer Bedeutung in der Praxis von Aum Shinri-Kyo ist die Erweckung der "Kundalini". Die Anhänger Asaharas glauben, daß die Schlange Kundalini durch das Kreuz in das Rückgrat krieche, von dort geradewegs ins Gehirn aufsteige und das frühere Bewußtsein der Person zerstören und verschlingen müsse. Asaharas Technik der Erweckung Kundalinis ist verhältnismäßig simpel: "Man muß in der Lotus-Position sitzen und die Schließmuskeln des Afters abwechselnd anspannen und entspannen", bis man sich so eine Art Orgasmus verschafft hat. Dies gilt auch als das wahre Erwachen der Persönlichkeit für das astrale Supra Leben.

Geld

Es gibt weitere Exerzitien, aber um sie probieren zu können, muß man eine Schenkung machen, d. h. eine Geldspende geben. Es sieht so aus, als sei alles in AUM käuflich. Mach eine Schenkung (und zwar eine große), und du steigst sofort auf von Stufe zu Stufe. Zahle fünf Millionen Rubel oder mehr, und du erhältst eine Kassette mit einer Aufzeichnung geheimer Mantras und sogar den Titel "Inhaber der großen Verdienste des Spenders". Für die Praxis des "geheimen Yoga", die in Moskau vom Chef des Moskauer Büros, Herrn Matreya Syitashi (Fumihiro Dzeo), durchgeführt wird, muß man dreihundert Dollar bezahlen. Für ein Treffen mit Shoko Asahara am 2. Oktober 1994, das nicht länger als zwei oder drei Minuten dauerte, wurden einhundert Dollar bezahlt. Die höheren Ebenen der Initiation kosten mehrere tausend Dollar. Jedermann macht deshalb Zuwendungen.

Vom Eintritt zum Bruch (shukke) mit der Vergangenheit

Asahara manipuliert geschickt die Herzen seiner Anhänger, indem er sagt: "Von zu Hause wegzugehen ist das Beste, was man tun kann, wenn man das Heil schnell finden will"; "In einem früheren Leben hast du religiöse Askese geübt"; "Wenn du nicht von zu Hause weggehst, hast du nur noch ein Jahr zu leben"; "Du mußt von zu Hause weggehen, Familie und Eltern verlassen, heimatlos werden" usw. Den Gläubigen wird erzählt, daß die Bindung an Familie und Freunde hinderlich sei auf dem Wege zur Befreiung, daß sie wegen dieser Familienbindung "scheußlich stinken".

Die auf das Verlassen der Familie folgende Stufe des Lebens im Kult besteht in Schenkungen in Form einer Aufnahmegebühr und Zahlungen für Riten und Kultgegenstände. Verläßt jemand sein Zuhause, verlangt AUM selbstverständlich eine höhere Zuwendung und eine Erklärung mit dem Wortlaut: "Ich will all meinen Besitz AUM überlassen und ihn nicht zurückfordern, selbst wenn ich AUM verlasse." Als Vorbereitung auf "Shukke", den Bruch mit dem früheren Leben und den Eintritt in den Stand der "Samanas" verlangt AUM, daß der "ganze Besitz, den eine Person zur Verfügung hat, vollständig in Bargeld umgewandelt werden soll". Denjenigen, die keine materiellen Sicherheiten bieten oder die geforderten Spenden geben können, ist die Initiation nur erreichbar, wenn sie eine große Zahl neuer Kult-Mitglieder auftreiben können.

So hat Aum Shinri-Kyo, die sich selbst als frei von allen materiellen Interessen darstellt, ein gut funktionierendes System aufgebaut, Geld aus den Anhängern herauszupressen. In Japan (und auch in Rußland) sind Fälle bekannt geworden, in denen sich der Kult von Anhängern trennte, nachdem sie all ihren Besitz abgeliefert hatten, und sie ohne alle Mittel für den Lebensunterhalt auf die Straße warf. Geldgier zeigt sich so offen, daß man oft seinen Augen nicht traut. Zum Beispeil erklärte Asahara in einer Zeitschrift des Kultes: "Gib mir all deinen Besitz und folge mir. Dann werde ich, der ich alle Gesetze des Universums verstehe und Herr bin der höheren Wahrheit, dir das Gesetz predigen, so daß du in den Besitz der unbegrenzten Freiheit und der absoluten Glückseligkeit gelangen kannst."

AUM und Christentum

Damit kommen wir zu Shoko Asaharas neuester Botschaft: Er behauptet seit dem 24. Oktober 1991, Christus (oder der Geist, der in alle Wahrheit führt) zu sein. Nicht mehr, nicht weniger: "Ich verkündige, daß ich der Christus bin" (Shoko Asahara: Declaring Myself the Christ. Disclosing the True Meaning of Jesus Christ's Gospel. Translated and Edited by Aum Translation Commitee, Shizuoka, Japan, 1992) ist der Titel seines Buches, auf dessen Umschlag er abgebildet ist, an einem Kreuze hängend mit einer Dornenkrone und einem Tuch um seine Lenden. Und mit diesen Worten beginnt sein Buch: "Ich verkündige hiermit, daß ich Christus bin. Ich nehme an, du wirst davon überzeugt sein, wenn du dies Buch gelesen hast. Vor dem 23. Oktober 1991 hatte ich keine einzige Seite des Neuen Testaments gelesen außer der Offenbarung des Johannes. An jenem Tage aber wurde ich davon überzeugt, daß dies Buch Prophezeiungen darüber enthält, wie ich der Heiland (Messias) bin." Asahara schrieb diese Worte am 24. Oktober, d. h. einen Tag, nachdem er das Neue Testament kennengelernt hatte. Wie er es gelesen hat, zeigt sich zum Beispiel daran, daß er von einem Evangelium spricht, das über die Apostel berichtet, sowie von verschiedenen Evangelien nach St. Paulus.

Asaharas wahre Einstellung zum Christentum findet man anderswo, in der Zeitung "Mahayana". Er schreibt: "Seit langer Zeit schon wird diese Welt von Freimaurern manipuliert, von denen man zwei Arten unterscheiden kann. Die eine Art sind Freimaurer, die an Vorhersagen glauben und die Ankunft Christi erwarten ..." In anderen Worten: Der "ehrwürdige Lehrer" hält die ganze christliche Kirche für eine freimaurerische Einrichtung.

Das Werk besteht aus drei Teilen: Im ersten unternimmt Asahara es, zu beweisen, daß er selbst - im Gegensatz zu vielen falschen Christussen und vielen falschen Propheten - der echte Christus sei, im zweiten enthüllt er die "wahre Bedeutung" des Evangeliums, und im dritten informiert er uns darüber, daß Buddhismus und Christentum absolut identisch seien.

Die wahre Bedeutung des Neuen Testaments wird im zweiten Teil des Buches auf äußerst langatmige und konfuse Weise enthüllt. Es scheint, daß die wichtigste Botschaft des Neuen Testaments die alltägliche Notwendigkeit sei, Asahara finanzielle Spenden zukommen zu lassen. Und zwar je höher, desto besser.

Diese wahre Bedeutung des Christentums, die bisher allen verborgen war, erweist sich als identisch mit dem ursprünglichen Buddhismus. Asahara der Geist der Wahrheit und zweite Christus - hat Christus übertroffen. "Jesus Christus wurde gekreuzigt, ich jedoch, der nächste Christus, soll nicht gekreuzigt werden, aber ich muß weiter gehen und die Wahrheit über die ganze Welt verbreiten.(S.134)" Man kann die Frage stellen, warum er sich dann am Kreuz hängend darstellt? Weiterhin informiert uns Asahara, daß Jesus Christus kam, die Seelen der Gläubigen in die "heiligen Himmel" zu bringen, aber er, der Erdbeben und Hungersnöte, Vulkanausbrüche und Wirbelstürme vorhersagt, kann seinen Anhängern zu einer noch höheren Ebene verhelfen - zum Nirwana, "der Welt der großen und vollständigen Zerstörung weltlicher Begierden".

Erfahrungen höherer Welten

Ich dokumentiere hier, was einige KultMitglieder sagen, die stolz den erreichten Zustand beschreiben.

Ein gutes Motto können die Worte eines 23jährigen Studenten abgeben, der sagte, daß er während seiner Zeit in AUM "eine deutlich geringere Zahl von Gedanken" gehabt habe. Und ein anderer Student, Dimitrij, 24: "Jeden Tag saß ich nach Maßgabe meiner Kräfte in der LotusPosition. Einmal begann mein Körper zu schwanken, dann gab es häufige Impulse nach oben. Die Energie schoß nach oben, und der Körper fing an, hohe und häufige Sprünge zu machen." Sergej, 32: "Ich fühlte, wie eine mächtige Kraft vom Guru ausging, mein Körper füllte sich mit Energie, und ich begann hochzufliegen in die Luft und dann herabzusteigen, wobei ich mich ekstatisch fühlte." Ludmilla, 50: "Als das Wasser purifiziert war, gab es zunächst ein mächtiges sexuelles Begehren, dann stieg ein kaltes Gefühl aus der Magengrube auf, mein Gesicht schwoll an, meine Sehkraft verstärkte sich. Während ich in AUM meditierte, ergoß sich ein magisches Licht von oben herab auf mich ..."

Hier sind noch weitere Berichte: "Vor meinem inneren Auge entstand etwas, das mich an eine graugefärbte Schlange erinnerte. Sie wand sich in Spiralen vom Kreuz das Rückgrat aufwärts. Als die -Schlange meinen Kopf erreichte, begann sie sich darin zu drehen. Mein Kopf fing an, schnell zu drehen, und dabei blitzte ein weißes Licht darin" (G. Koter, Ingenieur, 37). Und hier das Zeugnis von Frau Hachino aus Japan: "Ich setzte die Übungen fort, und von den Übungen begann ich eine Wirkung zu spüren und Freude. Darüber hinaus stieg der Schmerz von Tag zu Tag an. Zuerst spürte ich Schmerz in den Zehen. Dann fühlte ich, wie er zu meinen Knien aufstieg, dann zu den Hüftgelenken, dann zum Brustkorb und am letzten Tage zu meinem Kopf."

Die Geschichte einer weiteren Person aus Japan, Takahisa Horii, ist noch charakteristischer: "Es geschah am dritten Tage während der -Meditation der Vollendung... Zunächst hörte ich ein rumpelndes Geräusch ... Ich fühlte, wie mein SahasraraChakra gewaltsam nach oben gezogen wurde. Ich beließ es dabei, da ich annahm, daß dies der Ausgang aus diesem Körper der Inkarnation sein könne. Unglücklicherweise gelang mir dieser Ausgang nicht, aber zur gleichen Zeit begann ich ein silberweißes Licht zu sehen, das mich dann vollständig umfing ... Intensive "Praxis der Raserei" fuhr fort. Obgleich ich von Natur aus empfänglich bin für Vibrationen, hörte ich, gleich nachdem ich den Praxisraum betreten hatte, ein rumpelndes Geräusch und fühlte eine Energie, von der sogar mein Kopf zu zittern anfing. Als ich dort praktizierte, floß ein gelblich grüner Schleim unaufhörlich aus mir heraus. Ich erlebte sogar Schmerzen, als ich in der LotusPosition saß, obwohl ich das sonst ohne jede Schwierigkeit tun konnte. Diese Geschehnisse überzeugten mich, daß das ein ungeheurer Ort war, ein ungeheurer Ort."

AUM und die gegenwärtige Situation in Rußland

Viel später auch als dieses Referat ausgearbeitet wurde, haben die Ereignisse in der Untergrundbahn in Tokio stattgefunden. Jedermann hätte aber die zerstörerische Wirkung des Kultes vorab erkennen können: Es gab genug Warnungen in Rußland wie auch in Japan. Dennoch scheinen die hochgestellten Beschützer des Kults nichts bemerkt zu haben. Ohne die Tragödie in Tokio hätte auch das Gericht in Moskau nicht die Entscheidung gefällt, AUM zu verbieten und wäre es nicht zur Verabschiedung einer einschlägigen Gesetzesänderung im russischen Parlament, der Staatsduma, gekommen (Näheres an anderer Stelle in dieser Zeitschrift).

Heutzutage ist "Aum Shinri-Kyo" in Rußland praktisch von der öffentlichen Szene verschwunden, sie haben ihren Beschützern höheren Orts nichts als Skandal und Enttäuschung eingebracht. Andere und viel mächtigere Organisationen haben jedoch ihren Platz eingenommen und ihren Einfluß auf Rußland schrittweise aufgebaut. ...

Ich bin kein russischer Nationalist, aber vielleicht trifft es zu, daß das Schicksal der Welt im heutigen Rußland entschieden wird. Und manchmal scheint es mir, als hätten wir nicht die Kraft, dieser Herausforderung zu begegnen, und stünden auf verlorenem Posten. Dennoch gilt für uns die Verheißung Christi, die im Ev. des Johannes, Kapitel 16, Vers 33 steht: "In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden."

Übersetzung: Guntram Thilo, Berlin


Prof. Dr. Alexander Dvorkin ist Leiter des St. Irenäus-Centers in Moskau, der dortigen Partnerorganisation des DCI und Professor für Kirchengeschichte an der Russisch-Orthodoxen Universität in Moskau. Der vorliegende Aufsatz beruht auf seinem Vortrag beim "SkaadeSeminar 1995" in Aarhus, Dänemark vom 10. bis 15. Juli 1995 "Outburst of Occult Authoritarianism - Seminar on the revival of autoritarian and occult movements and their challenge to the Christian churches and the classical religions".


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