Der "Lebende Gott" ist im Gefängnis

aber die "Weiße Bruderschaft" lebt weiter

von Alexander Dvorkin

  1. Das Vorleben des Propheten
  2. Die dunklen Geldquellen der Weißen Bruderschaft
  3. Das Leben geht weiter...

Der skandalträchtigste Prozeß in der Geschichte der Ukraine ist beendet: Am 9. Februar 1996 wurden die Führer der berüchtigten "Weißen Bruderschaft" zu verschiedenen Zuchthausstrafen verurteilt. Yury Krivonogov (alias Yuoann Svami) bekam 7 Jahre, Pyotr Kovalchuk (alias Patriarch-Pope und Apostel Petrus) bekam 6 Jahre und Marina Tsvigun-Krivonogova (alias inkarnierter Gott auf Erden Maria Devi Khristos) erhielt 4 Jahre.

Die Menge der vorliegenden Akten, 25 große Bände, war enorm. Über tausend Zeugen und Opfer des Kultes waren verhört worden. Die Untersuchung dauerte über zwei Jahre und kostete eine astronomische Summe.

Jedoch blieben die wichtigsten Fragen unbeantwortet: Wieviel Geld hat die "Weiße Bruderschaft", wer finanziert sie, wieviele Mitglieder hatte sie vor zwei Jahren und wieviele Mitglieder arbeiten heute noch im Untergrund? Und noch eine andere Frage: Warum wurden nur drei Leute vor Gericht gestellt? Die oberste Hierarchie dieses Kultes bestand aus mindestens sechs Leuten.

Yanina Sokolskaya, die einen großen Artikel in der Zeitung Izvestia schrieb "Der Prophet der Weißen Bruderschaft hat für den KGB gearbeitet" (26. Dezember 1995) glaubt, daß die Wahrheit absichtlich verborgen blieb.

Das Vorleben des Propheten

Yury Krivonogov war nicht immer Prophet und Täufer des "Lebenden Gottes", Fünf Jahre früher vorher war er ein gewöhnlicher Wissenschaftler und arbeitete im Institut für Neurologie und Psychiatrie in Kiew. Die Kollegen erinnern sich an ihn als einen sehr ausgeglichenen, sehr zuverlässigen und sehr pünktlichen Menschen. Nur sehr wenige von ihnen wußten etwas über seine weiteren Interessen. Schon in den 80iger Jahren betrieb er Forschungen in bezug auf verschiedene Methoden, die Beeinflußbarkeit des menschlichen Gehirns zu steigern. 1988/89 fing er mit seinen eigenen Studien über die Effekte der Hypnose, der Selbsthypnose und der Methoden okkulten Einflusses an. Die Ermittlungen fanden heraus, daß viele Ärzte ihm bedeutende Hilfe bei seiner Forschung geleistet hatten. Viele seiner Arbeiten wurden als Broschüren veröffentlicht und können noch heute in den öffentlichen Bibliotheken in der Ukraine gefunden werden, zugänglich für jeden Leser.

Einige Dinge lernte Krivonogov von der Hare Krishna-Bewegung (ISKCON), der er beigetreten war. Er sagt, daß er es tat, um mehr über "mind control" zu lernen. Jedoch scheint es, daß seine kraftvolle Persönlichkeit zu viel für die "Krishna"Bewegung war und schließlich wurde er aufgefordert sie wieder zu verlassen. Danach startete Krivonogov seine Vorlesungstour und erzählte den Leuten über die Methoden hypnotischer Bewußtseinskontrolle. Er besuchte dutzende von großen und mittleren Städten und sprach oft in den besten Konzerthallen. Die Kiewer Untersuchungsbehörden fragen sich, mit wessen Hilfe er in der Lage war, diese Räumlichkeiten zu erhalten. Auf einer dieser Vorlesungstouren traf Krivonogov seine spätere dritte Frau Marina Tsvigun, die unter seinem Einfluß der "Lebende Gott Maria Devi Khristos" wurde.

Dies war der sichtbare Teil des "vorgöttlichen Lebens" von Yury Krivonogov. Aber die "Poryatunok"-Elterninitiative in Kiew hat den anderen, viel interessanteren Teil seiner Vorgeschichte ausgegraben. Yury Stepanov, einer der Vorsitzenden von Poryatunok erinnert: "Schon in den achtziger Jahren sandte Krivonogov seine Artikel über die Methoden der Bewußtseinskontrolle an einen Doktor Zhashkov, Doktor der Psychophysik, der am KGB-Forschungsinstitut in Nikolaev arbeitete. Seine Artikel waren sehr kurz und geschäftsmäßig und sehr intelligent. Es gibt nichts überflüssiges in ihnen und absolut keinen Bluff, sie sind immer auf den Kern der Dinge zugespitzt. Auf wenigen Seiten hat Krivonogov seine Konzepte von der Welt und biologischen Objekten beschrieben - dem menschlichen Wesen, der Gesellschaft, der Familie und über die Methoden, wie man die Kommu- nikationskanäle zwischen ihnen blockieren kann. Krivonogov sandte seine Ausarbeitungen an diese Abteilung des KGB, weil er genau dazu von ihnen angestellt war und bezahlt wurde." Anna Mulyun, die Anklägerin im "Weißen Bruderschafts"-Prozeß sagte dazu: "Das Amt des Generalstaatswalts hat diese Informationen schon 1992 untersucht. In den Dokumenten, die entdeckt wurden, spielt der Name von Dr. Zhashkov eine prominente Rolle. Er ist ein sehr bekannter Spezialist auf dem Gebiet von Suggestion und Gedankenkontrolle." Jedoch wurden diese Fakten im Verlaufe des Prozesses nicht wieder erwähnt. Irgendjemand hat entschieden, sie geheimzuhalten. Könnte es sein, daß diese KGBKontakte Krivonogov bei der Organisation seiner Vortragsreisen behilflich waren?

Die dunklen Geldquellen der Weißen Bruderschaft

Die zweite Frage ist finanzieller Art: Woher hat die "Weiße Bruderschaft" das Geld bekommen? Es wird gesagt, von Rußland. Möglicherweise aus der Stadt Vladimir. Es war in den Wäldern in der Nähe von Vladimir, wo Krivonogov das erste Treffen der "Weißen Bruderschaft" abhielt und ihnen den "Lebenden Gott Maria" zusammen mit ihren Hierarchen zeigte.

Es ist bekannt, daß die "Weiße Bruderschaft" nur mit Bargeld umging, das in einer sehr effektiven Kette von Hand zu Hand gegeben wurde. Die Beträge blieben unbekannt. Einer der "Brüder" aus Kiew erzählt, daß allein durch seine Hände einige hunderttausend Dollar gegangen seien. Er sagt, es sei Geld, das er- löst wurde durch den Verkauf von Apartments, Autos oder anderen Wertsachen von neuen Rekruten. Er gab dies Geld den verantwortlichen Personen. Wo die das Geld hintransferierten, ist unbekannt.

Ein anderer Zeuge war verantwortlich in der "Bruderschaft" für das Drucken und die Verteilung der Literatur. Er behauptet, daß es gelang, genug Geld dafür durch Spenden der Anhänger zu erhalten. Die Untersuchung konnte keinen Beweis für das Gegenteil herausfinden. Jedoch kann sich niemand, der irgend etwas mit dem Fall der "Weißen Bruderschaft" zu tun hat, vorstellen, daß es keine zentrale Finanzierung in der "Bruderschaft" gab. Die Untersucher beschreiben die große Villa, die die Krivonogovs für sich selbst in Kiew gebaut hatten. Sie ist mit einem vier Meter hohen Zaun umgeben, an dessen Spitze drei Reihen elektrischer Stacheldraht verlaufen. Das geräumige Gebäude war mit königlichem Luxus ausgestattet. Es gab auch einen geheimen Untergrundausgang aus dem Anwesen, für den Fall der Gefahr. Die Untersucher der Ermittlungsbehörden sind sicher, daß, um es bezahlen zu können, die Krivonogovs eine Menge Geld zusätzlich zu den Spenden ihrer Anhänger hätten bekommen müssen. Die Krivonogovs lebten dort ganz offen, und das, während sie von der Polizei gesucht wurden. Die Polizei kam erst zur Villa, als sie nicht mehr anders konnte: Die Nachbarn hatten sich darüber beschwert, daß die "Götter" in ihr umzäuntes Gebiet Land hineingenommen hatten, das jemand anders gehörte. Aber als die Polizei endlich kam, waren die Krivonogovs schon ausgeflogen. Sie wurden erst festgenommen, als es schier unmöglich war, sie nicht zu verhaften, nämlich bei dem "Gebetsdienst", den die "Weißen Brüder" in der St. Sophien-Kathedrale in Kiew organisiert hatten.

Monate vorher hatte die Polizei sie zwar gesucht, konnte sie aber nicht finden, obwohl beide in Kiew lebten, in gemieteten Apartments und dort auch viele Leute trafen. Peter Kovalchuk wurde erst festgenommen als er selbst zu einem Polizeirevier kam und sich freiwillig stellte.

Die Polizisten behaupten, daß sie keinen Erfolg bei der Suche haben konnten, weil die "Weiße Bruderschaft" in einer Art totaler Geheimhaltung operierte, unter Ausnutzung ihrer reichen Erfahrung von Untergrundaktivitäten. Die "Bruderschaft" war vermutlich in kleine Gruppen von drei bis zehn Mitgliedern eingeteilt, deren Führer alle drei Tage wechselten und an einen anderen Platz verzogen und dabei professionell ihre Spuren verwischten. Möglicherweise lernten sie diese Techniken des Untergrundlebens aus speziellen Anweisungen, die von Yury Krivonogov geschrieben wurden.

In Gerichtsverfahren lagen die Berichte der Gruppenführer offen. Selbst Außenstehenden ist klar, daß die Polizei durch dieses Material die Zahl der Kultmitglieder feststellen, die Adressen und die Paßwörter herausfinden und Wege zur Verhaftung der Mitglieder bahnen könnte.

Das Leben geht weiter...

Während die Krivonogovs und Kovalchuk ihre Zeit im Gefängnis ableisten, setzt die "Weiße Bruderschaft" ihre Existenz fort und funktioniert weiter. Der neue Führer ist einer der früheren Verwalter der Organisation namens Gennady Nikolajevich Polischuk, der seinen "Mitbrüdern" als "Gebar" bekannt ist. Zusammen mit zwei anderen Führern der "Weißen Bruderschaft", Ierophan (mit bürgerlichem Namen Soloviov) und Israel (bürgerlich: Zhuravel), bereitete er das "Ende der Welt" in Kiew im November 1993 vor, mietete Apartments für die Krivonogovs und plante auch die Aktion der Besetzung der St. Sophien Kathedrale. Er war der einzige "Bruder", der die besetzte Kathedrale verließ, bevor die Polizei kam. Der Staatsanwalt Mulyun sagt, daß Krivonogov Befehle für "Gebar" hinterließ, die Organisation während der Zeit seiner Verhaftung zu leiten. Die "Bruderschaft" hat ihr Überleben bereits geplant.

Jetzt wird "Gebar" von der Polizei gesucht, aber genauso wie die Krivonogovs vor ihm, kann er nicht gefunden werden. Soloviov wurde zwar verhaftet, aber nach dem Verhör ließ die Polizei ihn laufen, "weil er alles ehrlich gestanden hat", wie sie sagen. Israel-Zhuravel war sogar zuerst als Zeuge für den Prozeß eingeladen, aber später entschied der Richter, ihm keine Umstände zu machen, "weil er neutral ist und nichts verraten wird".

Die neuen Führer der "Bruderschaft" sehen ebenfalls nicht wie verrückte Fanatiker aus. Sie sind sehr gut organisiert und sind offensichtlich fähig, die Organisation sehr straff zu kontrollieren. Heute beten hunderte von Leuten auf den Straßen von Kiew für Gesundheit und Wohlergehen des "Lebenden Gottes". Die Stadt ist wieder überschüttet mit Plakaten und Büchern mit den Lehren der "Weißen Bruderschaft" und den Gedichten, die von Marina Krivonogova-Tsvigun im Gefängnis geschrieben werden. Die Ideen des Herrn Krivonogov sind le- bendig und wirksam. "Gebar" hat ein anderes Datum für das Ende der Welt bekanntgegeben - das Ende des Jahres 1996. Es scheint, daß das Krivonogov-Paar bekommt, was es wollte: Sie wurden Märtyrer und das hat ihre Popularität und ihre Anziehungskraft erhöht. Wenn die KGB wirklich etwas mit dieser Geschichte zu tun hat, hat sie auch erhalten was sie wollte: Die wichtigsten Geheimnisse der "Weißen Bruderschaft" blieben geheim. Das Experiment kann weiter gehen.


Alexander Dvorkin, Ph. D., 40, studierte in New York und Rom. Er ist jetzt Professor für Kirchengeschichte an der Russisch-Orthodoxen Universität Moskau und Leiter des Informations und Beratungszentrums "St. Irenäus von Lyon", der Partnerorganisation des DIALOG CENTER INTERNATIONAL in Moskau. Foto: DCI, Aarhus