Eltern- und Betroffeneninitiative in Leipzig

Ein Verein stellt sich vor

Eltern- und Betroffeneninitiative in Leipzig

Die Eltern- und Betroffeneninitiative gegen psychische Abhängigkeit Sachsen e.V. (im folgenden kurz EBI) besteht seit über fünf Jahren. Ihre Entstehung und Geschichte ist exemplarisch für Initiativen in den neuen Bundesländern und beispielhaft für Verantwortungsübernahme und Bürgersinn. Wir dokumentieren deshalb hier wesentliche Teile aus einer Selbstdarstellung der Gruppe. - Red. Die Entstehung unserer Initiative hängt hauptsächlich damit zusammen, daß im Jahre 1991 im sächsischen Raum niemand zu finden war, der sich öffentlich mit der für Leipzig und Sachsen völlig neuen Sektenproblematik auseinandersetzte. Es gab weder Aufklärung und Prävention noch Hilfe für Betroffene, obwohl es bereits erste Fälle betroffener Familien in Sachsen gab. Waren es am Anfang genau sieben Mitglieder, die ja auch zur Gründung eines Vereins benötigt wurden, so ist unsere Mitgliederzahl in der Zwischenzeit erfreulich angewachsen. Fast 50 Mitstreiter aus Sachsen, Thüringen, Berlin und Bayern sowie Ehrenmitglieder aus anderen Teilen Europas gehören heute zur EBI.

Anstoß

Die Tatsache, daß sich die Herkunftsorte der Mitglieder keineswegs nur auf ein bestimmtes Territorium begrenzen lassen, zeigt auch, daß sich die EBI in Leipzig als ein gewisses Bindeglied und Mittelpunkt zwischen München und Berlin versteht, zumal der Gründungsgedanke ursächlich mit Pfr. Haack (München) und Pfr. Gandow (Berlin) eng verbunden war. Die beiden hatten in Leipzig im März 1991 eines der ersten Seminare zu Fragen der Sekten und neuen Jugendreligionen in den Neuen Bundesländern geplant. Leider erlebte Pfr. Haack dieses Seminar nicht mehr. So kamen Pfr. Rüdiger Hauth aus Westfalen und Pfr. Thomas Gandow aus Berlin, aber auch Herr Norbert Reinke vom Bundesjugendministerium aus Bonn. Während dieser Veranstaltung wurde einigen jungen Leuten durch erste Betroffenenberichte aus Leipzig die Brisanz des Auftretens von neuen Jugendreligionen und ähnlichen Gruppierungen bewußt. Ausschlaggebend für den Gedanken, "etwas tun zu müssen", waren aber politische Äußerungen bei diesem Seminar, die die Situation bezüglich Sekten und totalitären Neureligionen im Osten Deutschlands eher zu bagatellisieren schienen. Verharmlosende Einschätzungen werden bis heute immer wieder einmal verbreitet - im eklatanten Gegensatz zum Befund, den jeder in Leipzig mit offenen Augen sehen kann. So war die Gründung der Initiative gewissermaßen "Nun-gerade-Reaktion" derer, die die Situation an Ort und Stelle kannten.

EBI: Kein kirchlicher Verein

Die EBI ist kein kirchlicher Verein. Auch wenn eine Theologin, Theologiestudenten und andere Christen zu den Gründungsmitgliedern gehören und eine gewisse Übereinstimmung mit den Initiativen in München und Berlin besteht, versteht sich die EBI als überparteilich und bewußt nicht-konfessionell gebunden. Wichtigster Wertmaßstab für die Arbeit des Vereins ist der Aspekt der Menschenwürde. Unter diesem Gesichtspunkt arbeiten in der EBI heute Menschen, die sich als Christen, Atheisten oder Pantheisten bekennen, Hand in Hand zusammen. Diese "Offenheit" halten wir für wichtig. Der zum großen Teil konfessionslosen Bevölkerung Leipzigs und Sachsens ist es damit möglich, ohne "Hemmschwelle" Rat und Hilfe bei uns zu suchen. Dankbar erinnern wir uns an alle Hilfe, alle Unterstützung, die wir fast ausschließlich aus dem Westteil Deutschlands von den unterschiedlichsten Personen, Initiativen, Stiftungen und Vereinen erhalten haben.

Diese Hilfe und Unterstützung haben uns sehr oft den Weg geebnet, institutionelle Hürden zu überspringen und eine Breitenwirkung in der Leipziger und sächsischen Öffentlichkeit zu erzielen. Das größte Pfund, das wir selbst am Anfang unserer Arbeit einbringen konnten, war ein schier unermüdlicher Elan. Der Mut zur Improvisation, Unterstützung und Ermutigung besonders aus Berlin und München, sowie erste Erfolge in der Präventions- und Betroffenenarbeit haben uns geholfen, diesen Elan bis auf den heutigen Tag zu bewahren, obwohl die zurückliegende Zeit keineswegs frei von Konflikten und Spannungen gewesen ist. Unsere Probleme sind unter anderem darin begründet, daß das Durchschnittsalter der EBI-Mitglieder bei circa 26 Jahren liegt. Berufliche Veränderungen, Ausbildung und Studium verursachen hin und wieder Lücken, die schwer zu schließen sind. Weiterhin erschwerend war, daß die EBI aus dem Nichts heraus mit der Arbeit begann, unter großer finanzieller Belastung der ersten Mitglieder und sich erst zu einem späteren Zeitpunkt mit der öffentlichen Förderung solcher Vereine vertraut machte. Seit Ende 1993 haben wir ein eigenes Büro. Vorher mußten wir die Arbeit oft im privaten Raum tun. Unsere Aufgaben und Tätigkeitsfelder sind vielfältig und betreffen unter anderem:

Prävention

Darunter ist die Aufklärung der Öffentlichkeit über Wesen, Aufbau, Struktur und Aktivitäten von verschiedenen "Sekten" und Jugendreligionen zu verstehen. Wir halten Vorträge an Schulen, und Ausbildungsstätten, in Kirchengemeinden und Vereinen, wir arbeiten mit bei Seminaren, die von den verschiedensten staatlichen, kommunalen und kirchlichen Institutionen veranstaltet werden und veranstalten neuerdings regelmäßig das "Leipziger Kolloquium" als Fortbildungsveranstaltung über "Sekten, Psychokulte, Okkultismus" für ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter aus ganz Deutschland. Ein weiterer Aspekt der Prävention und Aufklärung ist die Zusammenarbeit mit den Medien, die wir als überwiegend positiv einschätzen.

Recherchen

Sehr oft erreichen die EBI Anfragen zu bestimmten Firmen, Vereinen und Gruppen. Im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten und unter Zuhilfenahme der verschiedenen Verbindungen, die wir zu anderen Vereinen und Personen haben, die ebenfalls mit der Sektenproblematik vertraut sind, werden diese Anfragen auch überregional geprüft. Oft verbergen sich tatsächlich Tarn- und Unterorganisationen der verschiedensten Gruppierungen hinter solchen "fragwürdigen" Firmen und Vereinen. Dann kann die EBI die Öffentlichkeit informieren und ggF. warnen.

Betroffene

Die Arbeit der EBI mit Betroffenen gliedert sich in zwei Bereiche:

  1. Die Arbeit mit Sektenmitgliedern, die aussteigewillig sind; mit Sektenmitgliedern, die eventuell von einem Ausstieg überzeugt werden können und mit Aussteigern, bei denen eine Art Nachfolgebetreuung benötigt wird.
    Wir könnten diese Personen "Direktbetroffene" nennen. Das Prinzip der Zusammenarbeit mit ihnen muß Freiwilligkeit sein. Das heißt, nur wer wirklich aussteigen möchte, dem kann geholfen werden. Das sogenannte "deprogramming", das jedenfalls in der Schilderung der Kult- Gruppen oft mit einer Art unfreiwilligen "Gehirnwäsche" verbunden ist, wird von der EBI strikt abgelehnt. Nach der ersten Beratung können wir über die Kontakte der EBI zu staatlichen und kommunalen Institutionen oft Wege bahnen, die letztendlich in Hilfe zur Selbsthilfe auslaufen sollen. Selbstverständlich bietet die EBI auch ständig die Möglichkeit zum Gespräch an.

    Sehr oft werden dabei Ursachen und Gründe deutlich, die zu einem Eintritt in eine bestimmte Gruppierung geführt haben. Wir bieten auch an, seelsorgerliche und psychologische Betreuung bei anderen Beratungsstellen zu vermitteln, mit denen wir kooperieren und gute Erfahrungen haben.

  2. Die Arbeit mit Freunden, Verwandten und Bekannten, dem nächsten sozialen Umfeld.
    Diese Arbeit ist stellenweise die komplizierteste, da sie auf dem Grundsatz "Geduld" basiert. Oft kommt es vor, daß die Zeit des Sekteneinstieges bereits lange zurückliegt, bevor die Angehörigen etwas davon bemerkt haben oder den Mut finden, sich zu melden. Es kann aber auch sein, daß ein "Sektenangehöriger", obwohl er erst kurz mit der Gruppe Kontakt hatte, sich bereits stark mit der Gruppe identifiziert. Oftmals ist aber auch der Name der jeweiligen Gruppe den Angehörigen noch gar nicht bekannt und muß erst festgestellt werden. Hin und wieder müssen wir auch erst einmal herausfinden, wo sich das Sektenmitglied, der vermißte Angehörige überhaupt aufhalten könnte. All diese Dinge brauchen sehr viel Zeit - besonders dann, wenn es sich um ein Problem handelt, das überregionale Klärung und Informationssuche erfordert. Gemeinsam mit den Betroffenen müssen wir geeignete Schritte überlegen.

    Es dürfen keine voreiligen Schlußfolgerungen gezogen werden - und keine kurzschlüssigen Schritte gemacht werden, die die Situation verschlimmern könnten. Nur eine gründliche Klärung aller Zusammenhänge kann zu einem möglichen Erfolg unserer Hilfe führen. Wichtig ist es, das Verhältnis des Sekten- oder Psychogruppenmitgliedes zu seinem nächsten sozialen Umfeld zu kennen und zu besprechen. Es geht zum Beispiel auch darum, Problem-Akzeptanz zu erreichen. Schamgefühle der Eltern sind oft nicht gerechtfertigt, weil der Sekteneintritt ihres Kindes völlig andere Gründe als " Erziehungsfehler" oder ein gestörtes Eltern-Kind-Verhältnis haben kann. Hilfe zur Selbsthilfe, und Mutmachen zu eigenen Schritten ist für uns auch hierbei ein wichtiger Grundsatz. Insgesamt stellen wir fest, daß man keine pauschalen Regeln aufstellen kann. Es gibt einige Grundsätze und Erfahrungen, die allgemein gültig sind und die wir bei jeder Erstberatung vermitteln. Dennoch ist jeder Betroffenenfall, gleich ob direkt oder sekundär betroffen, ganz individuell zu sehen und diese Individualität erfordert ein Höchstmaß an Sensibilität auch für verborgene Probleme, sowie Geduld für die Bewältigung der Probleme - oft muß dafür in Jahren gerechnet werden.

    Aus diesem Grund raten wir allen Betroffenen - auch auf dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen - von einem vollkommen selbständigen Herangehen und dem Versuch, Sektenmitglieder in "Eigenregie" aus ihrer Gruppierung herausholen zu wollen, unbedingt ab.

    Vereinsstruktur

    Um all den Anforderungen gerecht werden zu können, haben wir innerhalb des Vereins spezielle Arbeitsgruppen gebildet, die "gruppenspezifisch", also auf die verschiedenen Sekten und Kulte bezogen, aber auch aufgabenspezifisch (z.B. Beratung, Öffentlichkeitsarbeit, Archiv usw.) zu einem größeren Fachwissen gelangen sollen. Weisungsgebend für den Verein ist der aus fünf Mitgliedern bestehende Vorstand. Eine Mitgliederversammlung, die allerdings auf den Raum Leipzig beschränkt ist, findet einmal monatlich statt.

    Zusammenarbeit

    Erfreulicherweise hat sich die Zusammenarbeit mit ähnlich aktiven Vereinen sowie den verschiedenen staatlichen und kirchlichen Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten stabilisiert, wobei die sehr gute Kooperation mit dem katholischen Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten des Bistums Dresden-Meißen, Kaplan Kluge, hervorzuheben ist, die auch über einen bloßen Informationsaustausch hinausgeht.

    Perspektiven

    Aus heutiger Sicht müssen wir leider sagen, daß die Arbeit der EBI noch lange Zeit fortgeführt werden muß. Leider sind die Neuen Bundesländer und erst recht eine pulsierende Universitätsstadt wie Leipzig für die Werbung und Rekrutierung dieser Gruppen ein empfindliches und einträgliches Feld. Wir wollen in der weiteren Arbeit der EBI besonders dem ständig veränderten Auftreten und Werben all der Sekten, Kulte, neureligiösen Bewegungen und ähnlichen Gruppierungen Rechnung tragen.

    Anschrift

    Eltern- und Betroffeneninitiative
    gegen psychische Abhängigkeit Sachsen
    e.V. Wasserturmstr. 68,
    D-04299 Leipzig
    Fon: (0341) 877 51 20

    Satanische Spiele

    von Nicola Genschorek

    Die Auswüchse unserer Wohlstandsgesellschaft widern den sensiblen Thomas an. Mit dem Idealismus und der Naivität seiner 19 Jahre konfrontiert er die Eltern mit Fragen, auf die sie keine Antwort wissen. Thomas sucht seinen eigenen Weg jenseits der eingefahrenen Gleise. Aber während er sich Bewußtseinserweiterung erhofft, ersehnen seine Freunde Schadenzauber für die ungeliebete Lehrerin. So verschieden ihre Motive sein mögen, sie alle verlieren die Kontrolle über ein Spiel, dessen Fäden längst ein anderer führt. Aus Halbwahrheiten, Sehnsüchten und Zufällen werden Verführungen. Es ist ein Sog, eine Verstrickung aus Angst und Schuld, die aus normalen Jugendlichen Satanisten macht. Das Stück verspricht keine "Reality Show" zum Thema Satanismus. Gleichwohl will es sensibilisieren für ein komplexes Problem, das von der Boulevardpresse mit platten Gruselstories totgeschrieben, von der Gesellschaft jedoch totgeschwiegen wird.

    Längst hat die Okkultismuswelle Deutschland erfaßt. Kein Verlag, keine Buchhandlung kann es sich leisten, auf die Esoterik-Ecke zu verzichten. Der Psycho- und Weltanschauungsmarkt quillt über von Therapieangeboten. Ungeübt für eine fundierte Auseinandersetzung greifen viele zu beim Ausverkauf der Religionen. Oft steht dahinter nur die Suche nach dem Sinn des eigenen Lebens, mitunter jedoch auch der Versuch der IchAusweitung. Was mit belächeltem Tischerücken und Gläserschieben beginnt, endet nicht selten in panischer Angst. Neue Abhängigkeiten werden geschaffen. Aus dem Spiel mit dem schönen Grauen wird blutiger Ernst.

    Regie:
    Frank Hofmann
    Ausstattung:
    Barbara Sauer-Funke
    Dramaturgie:
    Nicola Genschorek
    Premiere:
    9. März 1996 Landesbühne Sachsen-Anhalt, Lutherstadt Eisleben
    Intendant: Ulrich Fischer
    Info-Telefon:
    03475-60 20 70

    Sonderaufführung während des Kirchentages in Leipzig am Sonnabend, 21. Juni, 19.30 Uhr, in der Kirchentagswerkstatt "Dialog in Leipzig: Sekten- und Weltanschauungsfragen", Altes Messehaus am Markt, 1. Stock