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BERLINER DIALOG 13, 2-1998 - Michaelis

Ein Brief aus London
mit unangenehmen Fragen an die gewesene Enquete-Kommission
von Ursula MacKenzie

In der Michaelis-1997-Ausgabe des Berliner Dialog berichtete ich von meiner Teilnahme an einer öffentlichen Anhörung in Bonn, geleitet von der EnqueteKommission für 'sogenannte Sekten und Psychogruppen'. Inzwischen hat diese Kommission ihre Arbeit beendet, und gestern erhielt ich ihren umfangreichen Endbericht.
Das Begleitschreiben ist sechs Wochen früher datiert. So nehme ich an, daß ich einer der letzten Empfänger des Berichts bin. Da nicht nur die Kommission, sondern auch die Regierung im Zustand der Auflösung begriffen ist, kann man mit der Bearbeitung von Beanstandungen kaum mehr rechnen.
Ich habe noch nicht den gesamten Bericht von 236 eng bedruckten und mit reichlichen Fußnoten versehenen Seiten gelesen, sondern habe gewissermaßen erst mal die "Rosinen" herausgepickt.
Die Handlungsempfehlungen für die Regierung finde ich gut und lobenswert. Man kann nur hoffen, daß der neue Bundestag davon Notiz nimmt.
Bedauerlich ist allerdings die Schlußfolgerung der 'Grünen', daß Scientology ein Spezialfall wäre und daß andere Gruppierungen nicht als schädlich betrachtet werden könnten. Sie haben offensichtlich keine praktischen Erfahrungen!
Weil mich das Thema besonders interessiert, las ich dann, was über internationale Zusammenarbeit geschrieben worden war. Was ich fand, war unangenehm überraschend: Auf Seite 112 unter 'Beratungs- und Informationssituation' fand ich einen "Auszug" aus meinem eigenen Bericht für die öffentliche Anhörung. Als solches müssen Leser es wenigstens ohne Zögern annehmen. Leider entspricht dieser 'Auszug' aber in keiner Weise dem, was ich in Wirklichkeit gesagt habe.
Erstens hat man mir eine (positive) Selbstdarstellung der Organisation INFORM untergeschoben. In Wirklichkeit hatte ich mich bei der Anhörung sehr kritisch über INFORM geäußert. Ich hatte auch all die mir in den Mund gelegten Einzelheiten ihres Tätigkeitsfeldes überhaupt nicht erwähnt. Einige der aufgezählten Punkte waren mir selbst noch nicht einmal bekannt.
Als ich nachschlug, was sonst noch über Großbritannien berichtet wurde, fiel mir auf, daß diese Beiträge von Prof. Beckford stammen, der starke Verbindungen zu INFORM hat.
Die Enquete-Kommission hat allerdings nicht nur von mir, sondern auch von anderen Sprechern gehört, daß INFORM in Großbritannien als sehr umstritten gilt. Es gibt schließlich auch andere Informationsquellen.
Was mich aber noch viel mehr ärgerte, war, daß man mir sogar negative und irreführende Bemerkungen über meine eigene Organisation FAIR in den Mund gelegt hat!
Ich zitiere: "... (FAIR) nehme Beweise nur von sektenkritischen Personen an und operiere vor allem mit den Zeugenaussagen hunderter enttäuschter ehemaliger Mitglieder religiöser Bewegungen und deren Angehörigen."
Ich habe weder von "Beweisen" noch von "Zeugenaussagen" gesprochen und wurde auch nicht danach gefragt. Diese Bemerkungen sind also frei erfunden. Von wem und zu welchem Zweck?
Tatsächlich sind für FAIR wie für andere seriöse Stellen die besten Beweismaterialien interne Kultmaterialien wie z.B. Scientology-Preislisten, die MasterSpeaks-Reden von Mun und die berüchtigten 'Disciples Only' MO-letters der Kinder Gottes.
Ehemalige haben wir bei FAIR immer sehr vorsichtig und rücksichtsvoll behandelt, weil viele von ihnen viel Zeit brauchen, um wieder rational denken zu lernen. Die meisten müssen auch erst einmal ihr eigenes Leben wieder in normale Bahnen lenken.
Es gibt viele "Ehemalige" und Aussteiger, wie z.B. Steven Hassan, Jon Atack und Elke Nietsche, deren Aussagen und Schriften unschätzbar wertvoll sind.
Neuerdings laufen Aussteiger auch Gefahr, als "Apostaten", als Fanatiker mit umgekehrtem Vorzeichen, abgestempelt zu werden.
Eltern sind oft sehr öffentlichkeitsscheu und wollen ihre Geschichte nicht einmal anonym erzählen, weil der Inhalt erkennbar sein könnte und dann zu Entfremdung von ihren kult-verwickelten Kindern führen könnte. Auch deshalb haben wir bei FAIR stets zur Besonnenheit geraten.
Es würde mich sehr interessieren, wer meinen Namen benutzt hat, um FAIR in ein schlechtes Licht zu rücken. Dergleichen kennt man sonst nur von Sektenschriften, in denen Kritiker unglaubwürdig gemacht oder angeschwärzt werden, und allenfalls noch von der Boulevardpresse. Aber wenn es sich um den Bericht einer Parlamentskommission handelt, finde ich solch einen Vorgang sehr beunruhigend.
Was wurde da gespielt, und gibt es in dem Bericht noch mehr Aussagen, die - wie wir in Britannien zu sagen pflegen - nur mit einer großen Prise Salz genommen werden dürfen?
Ich hoffe dennoch, daß die Mehrheit der Enquete-Kommission und ihrer Mitarbeiter in den zwei Jahren ihrer Wirksamkeit davon überzeugt worden sind, daß viele der Gruppen, die sie studiert haben, für den Einzelnen und für die Gesellschaft eine ernstzunehmende Gefahr darstellen.
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