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BERLINER DIALOG 14, 3-1998 - Advent

Mädchen- und Frauenbeschneidung
von Gabriele Lademann-Priemer

In ungefähr 30 Ländern der Erde wird die Frauen- oder Mädchenbeschneidung praktiziert. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind ca. 80 Mio. Frauen von dieser Verstümmelung betroffen.

Bei der leichtesten Form der Frauenbeschneidung wird die Klitoris eingeritzt, es gibt aber auch radikale Formen der Verstümmelung bis hin zur Entfernung der kleinen Labien und dem Vernähen der Vulva. In der Regel wird die Beschneidung an Säuglingen oder Mädchen bis zu 14 Jahren vollzogen, es sind aber auch Beschneidungen von erwachsenen Frauen bekannt. Die Folgen der Beschneidung reichen von Einschränkung des Lustempfindens bis zur Unfruchtbarkeit. Die Operation selbst führt wegen unhygienischer Bedingungen und mangelnder medizinischer Kenntnis der Beschneiderin (meist handelt es sich um Frauen) oftmals zum Tode. Schätzungen zu Folge stirbt jedes vierte Mädchen an den Folgen des Eingriffs.

Alter Brauch
Die Beschneidung ist ein uralter Brauch, dessen religiöse und rituelle Bedeutung umstritten ist. Es gibt z.B. die Erklärung, daß die Klitoris ein männliches Relikt darstelle so wie die Vorhaut ein weibliches. Die Frau werde demnach erst zur Frau und der Mann erst zum Mann, wenn die Relikte beschnitten sind. Verbreitet war die Beschneidung bei sogenannten Naturvölkern, sie wurde und wird auch von christlichen afrikanischen Völkern praktiziert sowie in manchen islamischen Ländern. Der Prophet Mohammed fand sie offenbar in Altarabien vor. Die Knabenbeschneidung gilt im Islam als geboten, für die Mädchenbeschneidung gibt es eine mildeste Form. Dennoch breitet sich die Mädchenbeschneidung gemeinsam mit dem Islam aus.

Raumvermietungsanfrage für Beschneidungsfeier
Die Verbreitung hat auch Folgen für Deutschland. Es ist bekannt geworden, daß eine Familie bei einer christlichen Vereinigung angefragt hat, ob sie Räume für die Beschneidungsfeier ihrer Tochter mieten könnte. Die Anfrage wurde abschlägig beschieden.
Es ist vorgekommen, daß bei einem Sozialamt ein Antrag auf finanzielle Unterstützung zur Beschneidung eines Mädchens gestellt wurde, auch dieses wurde abgelehnt. In Deutschland wiesen Frauenärzte bei einer Fragebogenaktion die Beschneidung von Mädchen und Frauen als Verstümmelung zurück, saudiarabische Familien aber betonen, sie bringen ihre Töchter in "westliche Kliniken" zur Beschneidung. Nach deutschem Recht könnte ein Arzt wegen "vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung" straf- und berufsrechtlich belangt werden. Auf das Einverständnis der Eltern oder des Mädchens könnte sich ein Arzt nicht berufen, es handelt sich um einen verstümmelnden Eingriff ohne medizinische Indikation (vgl. Der Frauenarzt, Jg. 37, I/1996).

Asyl vor drohender Verstümmelung
Die Durchführung einer derartigen Operation wäre in Deutschland eine kriminelle Handlung. Es ist jedoch bekannt, daß englische Privatkliniken die Frauenbeschneidung durchführen.
Eine somalische Frau hat in Deutschland einen Asylantrag wegen der ihr in Somalia drohenden Beschneidung gestellt. Entgegen anderslautenden Gutachten ist sie offenbar nicht vom Alter von 20 Jahren an davor geschützt. Wie der Antrag auf Dauer behandelt wird, muß sich zeigen, zunächst ist ihr ein Bleiberecht für 2 Jahre gewährt.

Zentralrat der Muslime gegen Frauenbeschneidung
Obwohl sich der Zentralrat der Muslime in Deutschland am 20. September 1995 entschieden gegen die Frauenbeschneidung ausgesprochen hat, ist das Thema offenkundig keineswegs erledigt. Ferner gibt es Initiativen, die diesem grausamen Brauch auch im Ausland ein Ende machen wollen.

"Schutz vor Verführung"
Es gibt eine Reihe von Gründen, die der Abschaffung der Mädchenbeschneidung hinderlich sind. Vor allem Frauen halten an dem alten Brauchtum fest. Es gibt die Vorstellung, eine unbeschnittene Frau finde keinen Ehemann. Die Beschneidung garantiere die Jungfräulichkeit und schütze das Mädchen vor Verführung, aber auch Vergewaltigung. Tatsächlich muß bei den radikalen Formen der Beschneidung die Vagina gewaltsam manchmal vom Ehemann mit einem Messer - für den Geschlechtsverkehr - geöffnet werden. Umgekehrt läßt sich nach unerwünschtem Geschlechtsverkehr die "Jungfräulichkeit" auch durch Vernähen der Öffnung wiederherstellen. Kinder von Prostituierten und Behinderten, die ohnehin keine Aussicht auf Heirat haben, werden nicht beschnitten. Die Beschneidung soll die "zügellose Sexualität" der Frau dämpfen. Die äußeren weiblichen Geschlechtsteile gelten als unrein und stinkend, so werden sogar hygienische Gründe für die Operation geltend gemacht. Die Beschneidung hat zudem eine wirtschaftliche Seite: die Beschneiderin bekommt Lohn und lebt davon. Es scheint, als ob der Lohn nicht geschmälert wird, wenn das Opfer die Prozedur nicht überlebt. Operation und Todesfolge werden offenbar nicht im unmittelbarem Zusammenhang gesehen.
In Bangolo / Elfenbeinküste ist laut Pressemeldungen allerdings das "Lied der Beschneidung" verstummt. Aufgrund der Aufklärungsarbeit von Frauengruppen haben die Beschneiderinnen ihr Werkzeug weggelegt: Rasierklingen und verschiedene pflanzliche Mittel, mit denen sie versuchten, Blut zu stillen und Wundinfektionen zu verhindern, die häufig zum Tode führen. "Die Welt hat sich verändert, die jungen Mädchen flüchten, sie wollen nicht mehr beschnitten werden", sagt eine alte Frau, die selbst Beschneiderin war. Noch vor einigen Jahren war die Beschneidung Brauch, denn: "Bei uns hatte eine Frau, die nicht beschnitten war, keinen Platz in der Gesellschaft. Sie hatte nicht das Recht, ihre Meinung zu sagen, und fand auch niemanden, der sie heiraten wollte." Heute sagen junge Männer: "Beschnittene Frauen haben keine Lust auf Sex", diese Aussage deutet eine Wandlung an, denn es war bisher durchaus das Ziel, der weiblichen Sexualität Schranken zu setzen.

An der Elfenbeinküste wird ein Gesetzentwurf beraten, der die Beschneidung verbietet. Noch würde die Übertretung folgenlos bleiben. In Togo dagegen sieht das Gesetz Gefängnisstrafen von 2 Monaten bis zu zehn Jahren und Geldstrafen zwischen 300,- und 3000,- DM vor.
Erforderlich ist allerdings der Wandel, Gesetze und Verbote sind nur die eine Seite und im Zweifelsfall nicht die wirksame.

Menschenrechte sind Frauenrechte
Die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" von 1948 und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland stellen fest, daß der Mensch das Recht auf "körperliche Unversehrtheit" hat (GG Art. 2,2). Auch im Islam gilt die Unversehrtheit des Menschen als Norm.

Frau Prof. Spuler-Stegemann möchte eine "ethisch qualifizierte" Religionswissenschaft betreiben. Sie kritisiert Mädchenbeschneidung nicht vom westlichen Standpunkt, sondern mit Hilfe innerislamischer Argumente und zeigt, daß die Mädchenbeschneidung keineswegs zwingend, sondern auch aus moslemischer Sicht ein Verstoß gegen die Unverletzlichkeit des Menschen ist.

Für den Staat und die Kirche in Deutschland stellt sich die Aufgabe, die Menschenrechte zu schützen und Sorge dafür zu tragen, daß Frauen, denen in islamischen Ländern die Beschneidung droht, nicht aus Deutschland ausgewiesen werden.
Information und Aufklärung geschieht gelegentlich durch die Presse, außerdem engagiert sich hier "(I)NTACT - Internationale Aktion gegen die Beschneidung von Mädchen und Frauen" in Saarbrükken. Die Information geschieht unabhängig von der jeweiligen Religionszugehörigkeit der Betroffenen. Es wird betont, daß die Frauenbeschneidung kein eigentlich "islamisches Thema" ist.
In diesem Zusammenhang ist auf den Aufsatz von U. Spuler-Stegemann, Mädchenbeschneidung, in: Kritik an Religionen, G.M. Klinkhammer, St. Rink, T. Frick (Hrsg.), Marburg 1997, S. 207-219, sowie auf den entsprechenden Abschnitt in ihrem Buch "Muslime in Deutschland", Freiburg 1998, hinzuweisen. Hier findet man auch weiteres Quellenmaterial.


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