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STANDPUNKTE

BERLINER DIALOG 14, 3-1998 - Advent

Introvigne schweigt
Zwanzig italienische Senatoren gegen Jehovas Zeugen
von Miguel Martinez

(29.11.98) Anfang November 1998 fand, was das Thema "religiöse Minderheiten" betrifft, das wichtigste Ereignis der letzten Jahre in Italien statt. Zwanzig Senatoren, die zu sechs verschiedenen Parteien, sowohl der regierenden Mitte-Links Koalition wie der Opposition gehören, richteten eine dringende Anfrage an die Regierung, keine "Vereinbarung" mit den Zeugen Jehovas zu unterschreiben, die sie beschuldigten, "nicht eine religiöse Konfession, sondern in Wirklichkeit ein Geschäftsunternehmen zu sein, das schon Dutzende von Leuten betrogen" habe.
Das Dokument, eine "Interrogazione Parlamentare" vom 12. November 1998, ist unterzeichnet von zwanzig italienischen Senatoren: Bosi, Callegaro, Minardo, Giaretta, Zilio, Preioni, Diana Lino, D'Ali, Veraldi, Andreolli, Nava, Ragno, Cusimano, Marri, Bornacin, Fumagalli Carulli, Cimmino, Napoli Bruno, Serena und Dentamaro. Es besagt, daß "sie (Jehovas Zeugen) eine Sekte (setta) sind, die ihre Mitglieder mit unterschwelligen Botschaften gehirnwäscht (plagia), und die ein Verhalten verlangt, das im Widerspruch zum Gesetz steht und diejenigen ihrer Anhänger, die nicht folgen, vor ein Gericht stellt und vertrauliche Information für Zwecke der Erpressung sammelt." (Amedeo Cortese, "Una Lobby cattolica contro i Testimoni die Geova", Il Messaggero, 15.11.98, S. 7)

Die Haltung Introvignes dazu ist interessant. Man muß sich vor Augen führen, daß er
° wiederholt unterstützt hat, daß Scientology als Religion anerkannt werden soll;
° daß er die CESNUR-Konferenz im September 1998 den Rechten von "religiösen Minderheiten" gewidmet hatte;
° daß er die Benutzung des Wortes Kult (bzw. setta) kritisiert;
° daß er bestreitet, daß "brainwashing" existiert;
° daß er beansprucht, daß "Verhalten im Widerspruch zum Gesetz" aus religiösen Gründen gerechtfertigt sein kann.

Man sollte sich auch daran erinnern, daß Jehovas Zeugen die wichtigste "religiöse Minderheit" in Introvignes eigenem Land sind. (Muslime sind zwar zahlreicher als Jehovas Zeugen, aber fast alle sind Ausländer).

Niemals vorher hat es einen solch ernsten Konflikt in diesem Land gegeben über die Anerkennung einer "neuen Religion." Deshalb würde man eigentlich erwarten, daß Introvigne mit fast noch mehr Leidenschaft reagieren würde als er es tat, als einige junge Deutsche damit "drohten" nicht ins Kino zu gehen und sich einen Film mit dem Scientologen John Travolta als Hauptdarsteller nicht anzuschauen.
Man vergleiche den Appell, der am 15. August 1996 an deutsche Behörden geschickt wurde und von den CESNUR Direktoren Massimo Introvigne (Italien) und J. Gordon Melton (Amerika) unterzeichnet wurde. Damals schrieb Introvigne: "Wir fordern die Leiter der Regierung auf Bundes- und Länderebene in Deutschland und Belgien, ebenso wie alle wirklichen Freunde der Religionsfreiheit auf, unmittelbar tätig zu werden, um sicher zu stellen, daß diese Haßkampagne ohne Verzögerung gestoppt wird."
In dem weit wichtigeren Fall der italienischen Zeugen Jehovas jedoch ist Introvigne still geblieben, jedenfalls bis jetzt, 17 Tage nachdem die Senatoren ihr Dokument eingereicht haben. [Bis heute 10.12., also nach Redaktionsschluß, hat es noch keine Äußerung Introvignes gegeben. - Red.].
Sicherlich könnte er eine Bemerkung zu dieser Angelegenheit veröffentlichen, besonders nachdem ich diesen Kommentar veröffentlicht habe. Aber es ist zu erwarten, daß seine Ausdrucksweise weniger emotional sein wird als sie war, als er Scientology verteidigte.
Der Grund ist recht einfach: Obwohl es auch eine starke grass-root-Opposition von früheren Mitgliedern und Angehörigen gegen die Anerkennung von Jehovas Zeugen gibt, ist es ein Fakt, daß fast alle der Senatoren, die gegen Anerkennung von Jehovas Zeugen sind, eng mit der Römisch-Katholischen Kirche verbunden sind.
Aber nicht nur das: Viele von ihnen gehören zur CCD, einer rechts gerichteten katholischen Partei in Italien. Introvigne ist aber Mitglied des Vorstands dieser Partei. Der Vorstand muß sich mit ihm beraten haben, bevor sie diese gewichtige Entscheidung auf diesem speziellen Gebiet trafen. Und bevor sie solche Wörter benutzen wie "Sekte" bzw "Kult" (setta) und "brainwashing" (plagio).

Uns bleibt übrig abzuwarten, ob Introvigne sich entscheidet, "auf der rechten Seite des Vatikans" zu bleiben in dem er sich still verhält, oder ob er von seinem Posten in der CCD zurücktreten wird und die volle Verteidigung der Jehovas Zeugen übernehmen wird in Übereinstimmung mit den Ideen, die er im September in der CESNUR-Konferenz über "religiöse Minderheiten" ausgedrückt hat.
In jedem Falle dürfte das Ergebnis amüsant sein.

Dr. Miguel Martinez, in Italien aufgewachsener Mexikaner, wurde im Alter von 20 Jahren Mitglied des politisch-esoterischen Kults "Neue Akropolis" und stieg zu einem der Führer auf. Nachdem er Zweige der Organisation in Italien aufgebaut hatte, wurde er zum "Nationalen Kommandanten" der "Neuen Akropolis" für Ägypten ernannt. Er verließ die Organisation 1990.
Danach promovierte er in Orientalistik mit einer vergleichenden Studie der Rolle der Heiligen Stätten in Jerusalem im praemillenialistischen Dispensationalismus und im radikalen Islamismus. Er arbeitet z. Zt. über Helena P. Blavatsky und über sogenannten "Christlichen Zionismus" und über kulturelle und politische Nah-Ost-Fragen.


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