Seite 56-58 n_rechtsweiter Seite 59-61 (21 KB) n_links Start-Seite 1
  

BERLINER DIALOG 26, 1-4 2002 - Epiphanias 2003

 

How Scientology turned its biggest critic
Wie Scientology die Wende ihres größten Kritikers erreichte
Von DEBORAH O'NEIL, Times Staff Writer, St. Petersburg Times, 7. Juli 2002 *
http://www.sptimes.com/2002/07/07/TampaBay/How_Scientology_turne.shtml

Jahrelang war Bob Minton der Hauptopponent in einer der für Scientology unangenehmsten öffentlichen Schlachten. Jetzt, in einer verblüffenden Umkehrung, hilft Mintons Aussage Scientology dabei, den Lisa McPherson-Fall zu bekämpfen.

Die handgeschriebene Liste war drei Seiten lang, eine Aufrechnung des Ärgers und der Kosten, die Robert Minton der "Church of Scientology" verursacht hatte:
* Bekämpfung des 'wrongful death' Falles (ziviler Schadensersatzprozeß bei schuldhafter Tötung) Lisa McPherson: $ 14,4 Millionen.
* Verwicklung in Prozesse rund um die Welt: mehr als $ 6 Millionen.
* Sicherheitsausgaben um Scientologen in Clearwater vor Kritikern zu schützen: $ 2,9 Millionen.

Das Ende war eine $ 40.000 RICO Klage [Racketeer Influenced and Corrupt Organisation, also eine Schadenersatzklage Klage wegen Organisiertem Verbrechen]. Ein Anwalt von Scientology erklärte Minton, daß die Scientology $ 40.000 ausgegeben hatte für "Recherchen" für Ansprüche gegen ihn wegen "Organisiertem Verbrechen".
Die Gesamtrechnung wurde Minton am 28. März anläßlich eines Treffens in einer Anwaltskanzlei in New York City präsentiert. Es war das erste von mindestens 20 Verhandlungstreffen im März, April und Mai zwischen Scientology-Führern und Anwälten von Scientology und dem Erzfeind von Scientology, Millionär Robert Minton.
* Übersetzung von Peter Widmer und Thomas Gandow mit Hilfestellung von Gerry Armstrong und Caroline Letkermann; der Ausdruck "the church" wurde der besseren Verständlichkeit im Deutschen wegen grundsätzlich mit "Scientology" übersetzt. Gemeint ist die Scientology-Organisation. [Anmerkungen der Übersetzer bzw. der Redaktion in eckigen Klammern.]

Minton und Scientology engagierten sich während Jahren in einen erbitterten öffentlichen Kampf, gaben Millionen aus zur gegenseitigen Vernichtung.
Nun verhandelten sie über einen Waffenstillstand. Kurz danach wurde Minton zum Starzeugen von Scientology.
Mintons Kehrtwende wurde im April während Zeugenaussagen vor Gericht öffentlich. Seine ehemaligen Verbündeten, die Kritiker von Scientology, konnten sich nur fragen: Warum tut er dies?

Antworten kamen in den vergangenen Wochen bei Zeugenaussagen im Gerichtssaal von Richterin Susan Schaeffer, Bezirk Pinellas, ans Tageslicht. Zusammen mit Gerichtsakten und Interviews enthüllte die Zeugenaussage den Umfang der Bemühungen von Scientology, ihren meistgehaßten Kritiker zu neutralisieren. Einzelheiten der gründlichen, unaufhörlichen Offensive von Scientology werfen ein Licht darauf, wie die erstaunliche Zusammenarbeit von Minton mit Scientology zustande kam.

Es ist klar, daß Minton durch die juristischen Attacken von Scientology erdrückt wurde. Ein Jahr lang benutzte Scientology discovery motions (Auskunftsanträge) und depositions (Verhöre unter Eid durch Scientology-Anwälte aufgrund gerichtlicher Anordnung) um seine persönlichen und geschäftlichen Angelegenheiten zu durchstöbern.
Scientology kam so zu seinen Bankaufzeichnungen wie auch zu Informationen über in seinem Besitz befindliche Schußwaffen.

Scientology gelangte in den Besitz der Telefonrechnungen [aller Telefonanrufe mit Nummern] seiner heute nicht mehr existierenden Anti-Scientology- Organisation, dem Lisa McPherson Trust, der bis Ende letzten Jahres in Clearwater ansässig war.
Und Minton war besorgt, daß Scientology weitergehen würde und auch seine Frau mit in den Konflikt ziehen würde indem sie versuchten könnte, depositions (Verhöre) von ihr zu verlangen. Sie war seinen Aktivitäten gegen Scientology stets aus dem Weg gegangen.

Noch und noch wurden depositions (Verhöre) von Minton angeordnet und die Scientology Anwälte quetschten ihn über seine finanziellen Geschäfte aus. Wenn sich Minton auf sein Recht des Fifth Amendment der Aussageverweigerung bei möglicher gegen Selbstbeschuldigung berief, befahl im ein Richter zu antworten.
Wenn Minton zu einer deposition nicht erschien, konnte er wegen contempt of court (Mißachtung des Gerichts) bestraft werden.

Scientology Anwältin Monique Yingling bezeugte, daß sich Scientology auf der Spur der Enthüllung schwerwiegender Mißbräuche des rechtlichen Verfahrens, falscher eidesstattlicher Versicherungen und falscher Behauptungen im Fall McPherson glaubte.
"Ich denke, Mr. Minton spürte wirklich die Hitze", sagte sie. "Er war in einer Lage, in der er zu Aussagen zu Dingen gezwungen worden wäre, über die er nicht aussagen wollte."

Yingling hatte Recht. Minton war überwältigt.
"Es war, wie wenn der Terminator hinter dir her ist", sagte er.

Und bei der ersten Verhandlungssitzung am 28. März machte Scientology klar, daß sie ihn verantwortlich hält für Millionen von Dollars Kosten für rechtliche Auseinandersetzungen, die er unterstützt hatte.
"Es war mir immer klar, daß es nur eine 'tiefe Tasche' war, hinter der sie her waren", sagte Minton.

Nun, nach sechs Jahren an der Kampffront gegen Scientology, will Minton aussteigen.

"Verstehen Sie, das war wirklich hart", sagte Minton kürzlich vor Gericht. "Ich - ich kann es einfach nicht mehr weiter machen. Ich will es nicht mehr."

Der wohlhabende Kreuzritter
Nur acht Monate zuvor stand Minton in Cleveland vor einer Versammlung und nahm stolz eine Menschenrechts-Auszeichnung entgegen, welche ihn für "außergewöhnlichen Mut" und den "Kampf gegen die Tyrannei über die menschliche Psyche" auszeichnete

Als national bekannter Kritiker von Scientology sprach Minton in seiner Dankrede von "terroristischen Kulten", nicht durch Osama bin Laden angeführt sondern durch "ähnlich gesonnene Terroristen" wie L. Ron Hubbard, der Gründer von Scientology, und den gegenwärtigen Führer von Scientology David Miscavige.

Minton war der "Öffentliche Feind Nr.1" von Scientology.

Robert S. Minton
Robert S. Minton
Foto: Claudia Bartels

Insgesamt hatte der Investment-Bankier im Ruhestand 10 Millionen Dollar ausgegeben zur Unterstützung von Kritikern, Anwälten, die mit Scientology kämpfen und Anti-Scientology Bemühungen in aller Welt. Er gab dem Anwalt Ken Dandar aus Tampa 2 Millionen um damit zur Finanzierung des wrongful-death Prozesses zu helfen, der Scientology für den Tod von Lisa McPherson verantwortlich macht, einer Scientologin die 1995 starb, nachdem sie während 17 Tagen in der Pflege durch Mitscientologen war.
Die Scientologen hielten nicht die andere Wange hin, laut Minton und anderen Kritikern
Sie verteilten Flugblätter über Minton an seine Nachbarn in New Hampshire und Boston, welche ihn als "Hass-Stifter" bezeichneten, der in "KKK [Ku Klux Klan-] Manier" einen Angriff auf eine Religion führt, steht in einer von Kritikern zusammengestellten "Chronologie der ständigen Belästigungen und Schikanen", festgehaltenen Reihenfolge der "Belästigung", die in die Gerichtsakten Eingang fand.
Scientologen demonstrierten gegen ihn vor seinem Wohnhaus und auf Flughäfen. Wie Minton sagt, schickte ein Scientology-Funktionär Fotos und einen Brief an seine Frau, ihn des Ehebruchs beschuldigend.
Scientology bohrten in Mintons Finanzen. Minton erzählte, wie Mitarbeiter von Scientology die Behauptung in Umlauf setzten, er habe einem nigerianischen Diktator geholfen, 12 Milliarden Dollars zu waschen als Teil einer Geschäftsaktion vor 12 Jahren. Gegen Minton wurde nie Anklage erhoben und er bezeichnet die Behauptung als Fälschung. [Einen Prozeß gegen diese Verleumdung in Deutschland gewann Minton in zweiter Instanz. - Red. Berliner Dialog]
"Ich habe nie zuvor eine solchermaßen konzertierte Bemühung gesehen, um eine einzelne Person zu vernichten", sagte Jesse Prince, einst ein hochrangiger Scientologe, der Scientology verließ und mit Minton Freundschaft schloß.

Mitte 2001 änderte Scientology ihre Strategie, sagte Minton, und benutzte das Justizsystem, um ihn zu bekämpfen.

Im Frühling [2002] kam Minton zu der Einsicht, daß er seine Differenzen mit Scientology beenden müßte.
Am Samstag dem 16. März griff Minton um die Mittagszeit zum Telefon und rief Mike Rinder bei der "Scientology Church International" in Los Angeles an.
"Es war ein Gewehr auf mich gerichtet", sagte Minton. "Mr. Rinder ist der Mann, der seinen Finger am Abzug hatte."

Hinter verschlossenen Türen
Hoch oben auf der Forderungsliste von Scientology: Einstellung des wrongful-death Prozesses wegen Lisa McPherson. Der Fall war ursprünglich für Juni zur Verhandlung angesetzt.

Minton hatte den Fall finanziert und Scientology nahm an, daß er ihn kontrolliere, sagte Yingling, die am Treffen teilnahm. "Wenn er ihn kontrolliert, könnte er ihn auch einstellen".

Ein anderer Anwalt berechnete die Schäden, von denen Scientology behauptet, daß Minton sie verursachte. Eine Gesamtsumme von 28 Millionen Dollar.
Es wurde auch eine Klage wegen Organisierten Verbrechens gegen Minton und Andere erwähnt. Minton sagt zwar, daß Scientology ihn nie mit einer RICO Klage konfrontierte. Prince sagte jedoch zu Protokoll des Gerichtes, daß ihm Minton nach dem Treffen einen von Scientology vorbereiteten Entwurf einer RICO Klage zeigte, welche 110 Millionen Dollar für die Schäden von ihm forderte.

Für Dandar, den Anwalt im Fall McPherson, gibt es nur eine Möglichkeit die Erwähnung von RICO zu interpretieren. "Es ist zweifellos eine echte Drohung", sagt er.
Dandar erklärt, er glaube, daß Minton mit etwas bedroht wurde, was Scientology bezüglich seiner überseeischen finanziellen Angelegenheiten entdeckte. Minton berief sich auf den Fifth Amendment als er für Details über seine Finanzen unter Druck gesetzt wurde und befragt wurde, ob er sein Einkommen dem IRS [Steuerbehörde] unvollständig gemeldet habe.

Am Karfreitag, dem 29. März 2002, sagte Dandar, daß er von Minton einen verzweifelten Telefonanruf bekam.
"Ken, du mußt mir helfen", erinnert sich Dandar an Mintons Worte. "Diesmal haben sie mich erwischt. Wenn du den Fall am Montagmorgen nicht aufgibst, wird das Blut und der Tod meiner Töchter, meiner Frau und von mir selbst an deinen Händen kleben."

Prince sagte in einem Gerichtsdokument, daß Minton ihm erzählte: "Scientology hat genügend Informationen gesammelt ... um ihn strafrechtlich zu verfolgen, zu verurteilen und ins Gefängnis zu bringen. Insbesondere, sagte [Minton], daß Scientology Informationen habe um auch seine Frau zu verurteilen."

Der Sprecher von Scientology, Ben Shaw, erklärte wiederholt, daß Scientology Minton nie bedrohte oder manipulierte. Yingling sagte bei der Zeugenaussage dasselbe. Auch Minton sagt, daß Scientology ihn in keiner Weise bedroht hat. Er sagte, Kritiker wie Prince würden Geschichten erfinden.

"Was mich bei all diesen Zeugenaussagen am meisten verblüfft, ist, daß recht viele Leute willens sind, alles zu tun, um Scientology als völlig böse darzustellen", sagte Minton, und bestätigt, daß er sich einst ebenso verhielt. "Was es mir zeigt, ist, wie tief der Hass der Leute gegenüber Scientology sitzt."
Viele dieser Kritiker weisen darauf hin, daß diese so radikale Umkehr von Minton nur das Resultat einer extremen Drohung, von Zwang oder Erpressung sein kann.

"Sie haben ihn völlig ausgebrannt", sagte Steve Hassan, ein Psychotherapeut und Experte für Bewußtseinskrontrolle aus Boston, der Minton seit Jahren kannte. "Sie hätten ihn völlig vernichtet, wenn er nicht zusammenarbeitet."

Geständnisse in Clearwater
Ihr Treffen am 6. April im Büro von [Scientology-Anwalt] Pope war der Wendepunkt. Es war so wichtig, daß Rinder - ein Spitzenvertreter von Scientology, der für die rechtlichen und öffentlichen Angelegenheiten von Scientology verantwortlich ist - seine Anwältin Yingling aus Paris einfliegen ließ; sie war dort in anderen Angelegenheiten beschäftigt.

Scientology hatte seit langem den Verdacht von unkorrekten Vorgängen im McPherson-Prozeß. Rinder erklärte bei diesem Treffen, wie Minton berichtete: "Ich erwarte wirklich von Ihnen, ernsthaft darüber nachzudenken, die Wahrheit über die Vorgänge in diesem Prozeß zu erzählen".

Minton entschuldigte sich kurz[um den Raum zu verlassen]. Draußen entschied er, daß es Zeit sei um zu gestehen. Minton zufolge wurden in dem Fall Lügen erzählt. Er erklärte, daß er befürchtete, Scientology würde diese Lügen vor Gericht aufdecken und daß er dann wegen Meineid ins Gefängnis kommen würde.

Er war so verzweifelt, daß er sich in die Büsche übergeben mußte.

In Erinnerung an die Verhandlungen sagte Minton: "Es war nicht etwas, was ich tun wollte. Ich war nicht darauf aus, Scientology zu vertrauen und insbesondere nicht Mike Rinder."

Wieder drinnen, begann er Rinder eine Reihe von Lügen zu enthüllen, von denen er sagte, sie auf Dandars Weisung unter Eid ausgesagt zu haben.

Yingling sagte, daß sie schockiert war, Mintons Bericht zu hören über das, was sich im Fall ereignet hatte.

The Times versuchte, von Rinder einen Kommentar zum vorliegenden Artikel zu bekommen, aber er antwortete auf wiederholte Anrufe nicht. Shaw, der Sprecher von Scientology, erklärte, die Scientologen seien zufrieden, daß die Wahrheit schließlich ans Licht kommt.

Nun verwendet Scientology die Zeugenaussage von Minton, um ihren Versuch zu unterstützen, den Prozess einzustellen. Dies führte bei Dandar dazu, daß er nicht nur für den Fall McPherson kämpfen muß, sondern auch um sein eigenes Ansehen. Dandar bestritt alle Anschuldigungen durch Minton, und erklärte, daß Mintons Lügen erst nach seinem Treffen mit Scientology begannen.

Die Zeugenaussagen vor Schaeffer werden diese Woche [Juli 2002] wieder aufgenommen. "Sie vermitteln dem Gericht eine Farce", meint Dandar. "Sie bringen Minton dazu, als dieser erbärmliche lügende Zeuge zu erscheinen, der beichten möchte. Er erschien mit der Behauptung, ein Meineidiger zu sein, weil ihm gesagt wurde, dies zu tun."

Weggehen
Das Leben vieler Kritiker wurde durch Scientology bestimmt, genau so wie seins, sagt Minton. "Ich will mein Leben nicht weiterhin durch Scientology bestimmen lassen."
Wenn er seinen Rechtsstreit mit Scientology beigelegt habe, sagte Minton, möchte er nur noch weggehen.

Scientology wird dies nie zulassen, sagt der ehemalige Scientologe Lawrence Wollersheim, einer der wenigen, die erfolgreich gegen Scientology klagten. Er beschuldigte Scientology des mentalen Mißbrauchs, der ihn an den Rand des Selbstmords führte. Nach Jahren rechtlicher Auseinandersetzungen wurde ihm kürzlich ein Urteil über 8.6 Millionen Dollar ausgezahlt.
Wollersheim erklärt, daß Minton ein wesentliches Angriffsziel für Scientology darstellt. "Sie werden von ihm nicht ablassen bis er dezimiert ist, bis er in eine stationäre Einrichtung eingeliefert ist, bis er mittellos ist."
Minton nahm dies zur Kenntnis, schien jedoch nicht besorgt.
Er hat jetzt nur ein Problem, nur eine einzige Sorge: einen Waffenstillstand mit Scientology.

Kürzlich teilte er einem Richter mit: "Ich will nur meinen Frieden."


Seite 56-58 n_rechtsweiter Seite 59-61 (21 KB)
n_oben Anfang

n_links Start-Seite 1