Denn sie wissen noch nicht, was sie tun ...

Die Boston-Bewegung, eine neue christliche Sekte, rekrutiert Studienanfänger in Berlin

Bericht von Christoph Tannenberger

  1. Einleitung
  2. "bussing & tubing"
  3. Vom Campus verbannt
  4. Studentengemeinde
  5. Aussichten und Strukturen
  6. Verbreitung und Führer

Einleitung

"Entschuldigung, wo ist noch einmal der Raum JK 2511, wie viele benotete Scheine brauche ich bis zum Vordiplom, wo kann ich günstig eine Wohnung bekommen ...?" Eine Fülle von Eindrücken läßt die Gedanken eines jungen Studenten im ersten Semester schnell einmal Karussell fahren. Die von vielen beklagte Orientierungslosigkeit kann sich noch potenzieren, wenn das Studium in einer fremden Stadt angefangen wird. Aber auch zur Zwischenprüfung erleben viele Studenten die große Sinnkrise - alles wird in Frage gestellt. In dieser Zeit sind helfende Hände aus dem Chaos sehr gefragt.

Manchmal jedoch ziehen die vermeintlichen Helfer noch tiefer ins Chaos: Zum Beispiel dubiose Vereinigungen, die eine vorübergehende Desorientierung bei ihren Opfern ausnutzen. Vereinigungen wie "TM - Transzendentale Meditation" oder "UL - Universelles Leben" begnügen sich damit, in den Unis nur zu plakatieren, was nicht bedeutet, daß sie weniger gefährlich sind. Ganz andere Saiten zieht allerdings die Boston Church of Christ (BCC) auf, die in Berlin aktiv ist unter dem Namen "Gemeinde Jesu Christi e.V."; sie ist eine neue, extreme christliche Sekte.

Für einen "hochgradig totalitären Kult" hält Markus Wende, Student am Institut für Religionswissenschaften an der Freien Universität Berlin (FU) die BCC und ihren Berliner Ableger. Pfr. Thomas Gandow, Sektenbeauftragter der evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg kennt "keine Sekte, die derzeit aggressiver wirbt".

"bussing & tubing"

In U-Bahnen und Bussen sprechen die Anhänger der Sekte ihre Kommilitonen an und laden zu Semestereröffnungsparties ein. Aberr auch Einladungen zu sogenannten internationalen Studentengottesdiensten, die die Boston-Bewegung in der Weddinger "Neuen-Nazareth-Kirche" am Leopoldplatz veranstaltet, werden verteilt. Die "Neue-Nazareth-Kirche" untersteht der pflingstlerischen "Gemeinde Gottes", die mangels eigener Masse das Gebäude an alle möglichen Gruppen untervermietet und auch mit den Boston-Jüngern teilt. Dort werden die Neuankömmlinge immer herzlich begrüßt. "Nach einem sehr netten Gespräch tauschte ich mit jemandem die Telefonnummern. Ziel der Aktion war es, mich mit zum Gottesdienst zu nehmen", deutet Aussteiger Helmut Schmidt die Taktik. Wer einmal in dieses System hineinrutscht, weiß schnell nicht mehr, wo ihm der Kopf steht: Mit ständigen Aktivitäten, gemeinsamen Freizeiten, Bibelstunden und Gottesdiensten wird der Neuling fest in die Sekte eingebunden.

Der Schlüssel zum "christlichen Leben" sei das Aufgeben der eigenen Interessen und der persönlichen Rechte. Helmut Schmidt ging es auch so: 2Wenn man seine alten Freunde nicht bekehrenkann, soll man den Kontakt zu ihnen abbrechen", schildert er seine Erlebnisse.

Vom Campus verbannt

Wie aktiv die Boston-Bewegung an der FU ist, weiß Markus Wende. Neben seinem Studium vertritt er im Allgemeinen Studentenausschuß (AStA) der FU die Arbeitsgemeinschaft (AG) Sekten. "Über 80% der Teilnehmer unserer Sprechstunde kamen wegen der Boston-Bewegung", berichtet er. "Das hat gereicht." Im Dezember des vergangenen Jahres genehmigte das Studentenparlament (StuPa) einen von ihm eingebrachten Beschlußvorschlag, der Gruppierung, vor denen in einer Broschüre der Senatsvewaltung gewarnt wird, ein Werbeverbot erteilt und das Anmieten von Räumen der FU für diese untersagt. Amtlich wurde es dann am 22. Januar diesen Jahres: Der Akademische Senat der FU beschloß die vom Studentenparlament eingebrachte Vorlage bei zwei Enthaltungen. Als TM die FU mit einer Plakataktion überfiel, wurde die Plakate nach einem schriftlichen Hinweis der Universitätsverwaltung an TM umgehend entfernt.

Die Boston-Bewegung ließ aber nicht locker: Zu Beginn des laufenden Wintersemesters stürzten sich die nach einer Schätzung Wendes ca. 30 - 40 aktiven Mitglieder der BCC an der FU auf die Erstsemester, bei denen sie ein erhebliches Rekrutierungspotential sehen. Die "AG Sekten" konnte blitzschnell mit Warnplakaten reagieren. "Die hingen aber keine 48 Stunden" sagt Wende. Alle 40 Plakate wurden von unbekannter Hand wieder entfernt.

"Kritisch" sieht Wende auch die gesamtberliner Situation: Wenn Humboldt-Universität (HU) und Technische Universität (TU) nicht mit dem FU-Beschluß gleichzögen, gäbe es auf Dauer kleine Erfolge in Dahlem, aber noch größere Probleme in der Innenstadt.

So beurteilt auch Henrik Plasse, Pfarrer derEvangelischen Studentengemeinde (ESG), die Situation: "Gerade auf dem Weg zum Hörsaalgebäude der TU wird massiv von Anhängern der Boston-Bewegung geworben. Aber auch andere Vereinigungen nutzen den universitären Rahmen für ihre Aktionen."

An anderen europäischen Unis hat sich die Sekte auch schon Gegner gemacht: Die britische Zeitung "The Mail" berichtete schon am 22. Januar 1989, zwei Universitäten hätten der "Central London Church of Christ", wie sie sich dort nennt, wegen ihrer Gehirnwäschemethoden bereits Campusverbot erteilt. In den USA ist die Boston-Bewegung von 22 Colleges gebannt worden. "Ein richtiges Hausverbot für die Boston-Bewegung an der FU zu erzielen, wäre hier unmöglich. Wenigstens haben wir ein Werbe- und Vermietungsverbot", resümiert Wende.

Studentengemeinde

Studentenpfarrer Plasse kennt den Seelsorgebedarf an den Berliner Hochschulen am besten: "Gerade junge Studenten, die neu in der Stadt sind, würden lieber mit einem Pfarrer aus der Studenten-Gemeinde reden." Zum zuständigen Gemeindepfarrer trauen sie sich nicht zu gehen, da sie sich noch nicht mit der jeweiligen Wohn-Gemeinde Identifizieren, als Studenten auch häufig innerhalb der Stadt umziehen. Gerade deswegenwären mehrere Studentenpfarrer so notwendig, sagt Plasse. Durch die allgemeine Finanznot der Kirche bedingt, existiert für drei Berliner Hochschulen nur noch eine Studentenpfarrstelle. Das Haushaltsvolumen der ESG wird im Jahre 1999 nur noch 15% des 1995er Haushaltes ausmachen. Die Landeskirche begründet ihre Entscheidung laut Pfarrer Plasse damit, daß gerade die Ortsgemeinden gestärkt werden müßten.

Aussichten und Strukturen

Wende schätzt die Möglichkeiten, das Anwerben neuer Jünger an den Unis zu unterbinden, auf Dauer ebenfalls als schlecht ein. 80% der BCC besteht aus Studenten, denn da hat die Sekte auch ihren Ursprung: Guru Thomas "Kip" McKean gründete sie 1979 als Abspaltung von einem Bund autonomer Baptisten. Massenhaften Zulauf bekamen McKean und seine Jünger zuerst auch an amerikanischen Universitäten. Seitdem rekrutieren die "Soldaten für Gott" erfolgreich wie keine andere Sekte. Seit 1988 wird Deutschland mit einem "Plan für den Blitzkrieg" vom Satan befreit. Ihr Erfolgsrezept heißt "Discipling" - Jünger machen. Jeder Neuling bekommt einen Discipler, der ihn täglich betreut und seinenWeg zum "wahren Christentum" anleitet. Da jedes Mitglied der Boston Church einmal neu war, hat also auch jeder einen Discipler, dem er unterstellt ist. Die sich ergebende Struktur ist extrem hierarchisch und totalitär. Jeder hat einen Missionierungsauftrag. Täglich sollen möglichst zweimal, also morgens und abends Menschen angesprochen werden, um diese zur BCC zu bringen. "Alle anderen Menschen außerhalb der Boston-Church sollen nämlich verlorene Seelen haben, sofern sie sich nicht bekehren lassen wollen" berichtet Helmut Schmidt.

Verbreitung und Führer

Verbreitung

Weltweit haben die "International Churches of Christ" mehr als 120 000 Anhänger in 140 Ländern. 1979 wurde die Sekte in den USA gegründet. In Deutschland agitieren sie von München aus seit 1988; in Berlin seit 1991.

Führer

Führer und Sektengründer ist Thomas "Kip" McKean, geboren 1954. Mit einigen treu ergebenen "Elders" steuert er das Überwachungssystem aus Los Angeles. Intern wird er als Guru angehimmelt: "Kip, wir werden Dir weiterhin folgen, wie wir Christus folgen.

HOPE

HOPE Worldwide und HOPE Deutschland e.V. steht für "Helping Other People Everywhere". Dieser Verein wird von der Boston-Bewegung unterstützt und gibt vor, humanitäre Projekte zu unterhalten. Dazu sollen in Deutschland Projekte mit alten Menschen, Obdachlosen und "Fremden" gehören. Der BERLINER DIALOG hat darüber berichtet, daß HOPE in den USA im Verdacht steht, Spendengelder für Rekrutierungsstipendien verwandt zu haben. (C.T.)


Christoph Tannenberger,
20, studiert nach Ableistung seines Zivildienstes Neuere Deutsche Literatur und Geschichte in Berlin und ist Volontär beim BERLINER DIALOG.