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 BERLINER DIALOG 20, 1-2000 Trinitatis

 STANDPUNKTE

Staat und Psychogruppen
Modellprojekt bleibt hinter den Handlungsempfehlungen zurück
Kommentar zur Ausschreibung von Eduard Trenkel

Grundsätzlich ist der Ansatz, psychosoziale Beratungsstellen für die Wahrnehmung des konfliktträchtigen Religions- und Weltanschauungsmarktes zu schulen, sicher zu begrüßen. Die Ausschreibung und die Ansätze des Modellprojektes bleiben jedoch weit hinter den Forderungen der Betroffenen und vor allem auch hinter den Handlungsempfehlungen der Enquetekommission des 13. Deutschen Bundestages zurück.

Pfarrer Eduard Trenkel ist Beauftragter für Sekten und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldek. Foto: privat

Eduard Trenkel

So stellt der Endbericht der Enquetekommission unter Punkt 4.2.6 ausdrücklich fest: "Die Enquete-Kommission ist der Auffassung, daß das Informations- und Beratungsangebot nur durch eine Zusammenarbeit von Juristen, Medizinern, Psychotherapeuten, Seelsorgern, Religionswissenschaftlern, Schuldnerberatern und anderen betroffenen Fachgebieten gewährleistet werden kann." (Buchausgabe S. 132)
Daraus folgert die Kommission die Notwendigkeit der Errichtung einer öffentlich rechtlichen Stiftung vom Bund und von den Ländern, die folgende Aufgabenfelder abdecken sollte:
° Schaffung eines inhaltlich und finanziell qualifizierten Rahmens für die mit der Thematik befaßten Beratungsstellen;
° Anregung oder Durchführung von Forschungsarbeiten, selbständig oder durch Vergabe von Aufträgen;
° systematische Erfassung des bestehenden Materials in einer Bibliothek bzw. Publikation durch neue Medien für die Allgemeinheit;
° Aufklärung der Öffentlichkeit durch Publikationen, die selbst herausgegeben oder angeregt werden;
° Erarbeitung und Durchführung von Fort- und Weiterbildungsprogrammen für mit der Thematik befaßte Personen;
° Aufarbeitung von einschlägiger z.B. sozialpädagogischer und psychologischer Literatur zum Thema, die in Form von Empfehlungshandreichungen an die mit der Thematik befaßten Institutionen gegeben werden kann;
° Förderung des nationalen und internationalen Austauschs beispielsweise durch Fachkongresse;
° Vermittlung zwischen den einzelnen mit der Thematik befaßten Stellen sowie ggf. zwischen Einzelpersonen und Beratungsstellen.

Beratung von Einzelpersonen und privaten Beratungsstellen
Hinter diesen, von allen Betroffenen begrüßten Forderungen bleibt das Modellprojekt zurück, sowohl hinsichtlich der Trägerschaft, wie auch hinsichtlich des gewählten Adressatenkreises für die Qualifizierung. Es steht damit in Gefahr, die Umsetzung der sinnvollen Aufgabenbestimmungen der einzurichtenden Stiftung zu verzögern oder gar zu verhindern.

Psychosoziale Beratung nur kleiner Teil des tatsächlichen Beratungsbedarfs
Psychosoziale Beratung im Bereich Sekten- und Weltanschauungsfragen stellt gemessen am gesamten tatsächlichen Bedarf einen nur kleinen Anteil am Beratungsgeschehen dar.
2/3 der Anfragen zielen nach den Erfahrungen der Beratungsstellen auf sachliche Information, höchstens 1/3 der Anfragenden sucht eine persönliche Beratung und nur ein geringer Anteil dieses Drittels eine therapeutische Beratung und Begleitung.
Juristische und seelsorgerliche Hilfe, Orientierungshilfe z.B. durch religionswissenschaftliche Zuordnung einer Gruppierung, aber auch Entscheidungshilfe auf dem Hintergrund einer kritisch-reflektierten eigenen Position scheinen der tatsächlichen Bedarfslage der Anfragenden weit mehr zu entsprechen. So hatte die AGPF (Aktion für Geistige und Psychische Freiheit, Arbeitsgemeinschaft der Betroffeneninitiativen e.V., Bonn) in einem Schreiben an die Vorsitzende der Enquetekommission die Ergebnisse einer Befragung über die Bedürfnislage der Anfragenden bei Sektenberatungsstellen wie folgt mitgeteilt:
75% der Anfragen bezogen sich auf Auskünfte oder Beratung zu bestimmten Gruppierungen aus dem religiös-weltanschaulichen Bereich,
60% erfragten Informationen und Fakten,
15% Verhaltenstips,
7% Rechtsberatung und Rechtshilfe,
3%  Psychologische Beratung/Psychotherapie.

Angesichts dieser Ergebnisse erscheint die Ausschreibung des Modellprojekts und seine Zielsetzung als eine grobe Verkürzung und an den tatsächlichen Bedürfnissen aller Betroffenen vorbeizulaufen.
Die kurze Ausschreibungsfrist von 3 Wochen und die Bedingungen der Ausschreibung lassen den Verdacht aufkommen, hier werde durch vorschnelle "Therapeutisierung" einer qualifizierten und differenzierten Beratungsarbeit durch unterschiedliche Träger und Beratungsansätze bewußt das Wasser abgegraben.

Im Interesse der Betroffenen bleibt deshalb die politische Umsetzung der weitergehenden Handlungsempfehlungen der Enquetekommission im Widerspruch zu dem ausgeschriebenen Modellprojekt dringend zu fordern.


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