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BERLINER DIALOG 26, 1-4 2002 - Epiphanias 2003

 

Der Staat darf warnen
Immer wieder wird behauptet, der Staat dürfe nicht vor Sekten warnen.
Die Gerichte haben Warnungen längst für zulässig erklärt...
Von Ingo Heinemann

Darf der Staat nur allgemein gehaltene Warnungen aussprechen oder darf er auch Namen und Markenzeichen nennen? Im Verbraucherschutz ist dies seit vielen Jahren entschieden. Die Stiftung Warentest hätte ihre Tätigkeit einstellen können, wenn ihr verboten worden wäre, Firmen und Marken zu nennen. Denn selbstverständlich hat eine negative Beurteilung auch negative Auswirkungen. Auch die staatliche Finanzierung hat daran nichts geändert. Ebensowenig die Tatsache, daß von der Kritik auch Grundrechte betroffen sein können. Immer wieder wird hingegen behauptet, der Staat dürfe keine Namen nennen. Mal wird zur Begründung das Grundrecht der Religionsfreiheit genannt, mal das Eigentumsrecht oder die Berufsfreiheit.

Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 881/89) längst entschieden:
Der Staat darf warnen. http://www.AGPF.de/Bundesverfassungsgericht-1BvR881-89.htm
In diesem Fall ging es um den Maharishi-Kult. Das Gericht hat Warnungen zur Gefahrenabwehr für die Bürger für zulässig erklärt und zwar auch dann, wenn es sich lediglich um einen Verdacht handele. Der Staat müsse nicht abwarten, bis dieser Verdacht auch wissenschaftlich erhärtet sei.
Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht durch eine Reihe von Entscheidungen bestätitgt, so zum Beispiel die Osho/Bhagwan-Entscheidung:
http://www.AGPF.de/Bundesverfassungs gericht-1BvR670-91.htm
In diesen Entscheidungen ging es nicht um konkrete Waren oder Agebote, sondern um Methoden und Verfahren von Psychomarkt-Anbietern.
2002 hatte das Bundesverfassungsgericht den Glykol-Skandal von 1985 zu beurteilen (1 BvR 558/91 Beschluss vom 26.6.2002).
http://www.AGPF.de/Bundesverfassungs gericht-1BvR558-91.htm
Damals hatten verschiedene Firmen ihrem Wein zwecks Geschmacksverbesserung das Frostschutzmittel Glykol zugesetzt. Der Staat hatte Listen veröffentlicht.
Hier stand die Warnung vor konkreten Produkten im Vordergrund, also der Verbraucherschutz:
Das Bundesverfassungsgericht:
"Die Rechtsordnung zielt auf die Ermöglichung eines hohen Maßes an markterheblichen Informationen und damit auf Markttransparenz. Dem dienen etwa die rechtlichen Vorkehrungen zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, die Festlegung von Werberegeln und Maßnahmen des Verbraucherschutzes, der vor allem durch Bereitstellung von Informationen bewirkt wird." (Absatz 46).
Das Gericht sieht Gefahrenabwehr und Verbraucherschutz durch den Staat als Staatsleitung durch Kommunikation an:
"Staatsleitung wird nicht allein mit den Mitteln der Gesetzgebung und der richtungsweisenden Einwirkung auf den Gesetzesvollzug wahrgenommen, sondern auch durch die Verbreitung von Informationen an die Öffentlichkeit (vgl. Beschluss des Ersten Senats vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - Osho). (Absatz 50)

  L e i t s ä t z e zum Beschluss des Ersten Senats vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 -
 1. Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bietet keinen Schutz dagegen, dass sich der Staat und seine Organe mit den Trägern dieses Grundrechts sowie ihren Zielen und Aktivitäten öffentlich - auch kritisch - auseinander setzen. Diese Auseinandersetzung hat allerdings das Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates zu wahren und muss daher mit Zurückhaltung geschehen. Diffamierende, diskriminierende oder verfälschende Darstellungen einer religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaft sind dem Staat untersagt.
 2. Die Bundesregierung ist aufgrund ihrer Aufgabe der Staatsleitung überall dort zur Informationsarbeit berechtigt, wo ihr eine gesamtstaatliche Verantwortung zukommt, die mit Hilfe von Informationen wahrgenommen werden kann.
 3. Für das Informationshandeln der Bundesregierung im Rahmen der Staatsleitung bedarf es über die Zuweisung der Aufgabe der Staatsleitung hinaus auch dann keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung, wenn es zu mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen führt.

Die staatliche Teilhabe an öffentlicher Kommunikation hat sich im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt und verändert sich unter den gegenwärtigen Bedingungen fortlaufend weiter. Die gewachsene Rolle der Massenmedien, der Ausbau moderner Informations- und Kommunikationstechniken sowie die Entwicklung neuer Informationsdienste wirken sich auch auf die Art der Aufgabenerfüllung durch die Regierung aus. Regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit war herkömmlich insbesondere auf die Darstellung von Maßnahmen und Vorhaben der Regierung, die Darlegung und Erläuterung ihrer Vorstellungen über künftig zu bewältigende Aufgaben und die Werbung um Unterstützung bezogen ... Informationshandeln unter heutigen Bedingungen geht über eine solche Öffentlichkeitsarbeit vielfach hinaus ... So gehört es in einer Demokratie zur Aufgabe der Regierung, die Öffentlichkeit über wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld ihrer eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit zu unterrichten. In einer auf ein hohes Maß an Selbstverantwortung der Bürger bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme ausgerichteten politischen Ordnung ist von der Regierungsaufgabe auch die Verbreitung von Informationen erfasst, welche die Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der Problembewältigung befähigen. Dementsprechend erwarten die Bürger für ihre persönliche Meinungsbildung und Orientierung von der Regierung Informationen, wenn diese andernfalls nicht verfügbar wären. Dies kann insbesondere Bereiche betreffen, in denen die Informationsversorgung der Bevölkerung auf interessengeleiteten, mit dem Risiko der Einseitigkeit verbundenen Informationen beruht und die gesellschaftlichen Kräfte nicht ausreichen, um ein hinreichendes Informationsgleichgewicht herzustellen." (Absatz 51)
Deshalb zitiert das Gericht auch seine eigene Osho/Bhagwan-Entscheidung.
Es macht also keinen grundsätzlichen Unterschied, ob die Warnung den Methoden und Verfahren von Sekten gilt - wie etwa der "transzendentalen" Meditation des Maharishi - oder den Angeboten des Psychomarktes.


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